Börsenprofi Thomas Grüner erklärt Warum die Stimmung wieder mal schlechter ist als die Lage

Mit einer Laufzeit von über zehn Jahren stellt der laufende Bullenmarkt global betrachtet mittlerweile die Aufwärtsphase mit der längsten zeitlichen Dauer dar. Wo bleibt die Euphorie? Eine berechtigte Frage, denn mit der Zeit folgt die Stimmungskurve eines Bullenmarkts üblicherweise verschiedenen Phasen: Am Anfang ist der Pessimismus allgegenwärtig, mit der wirtschaftlichen Erholung folgt die skeptische Phase, diese wird schrittweise in zunehmenden Optimismus umgewandelt, welcher sich in der finalen Phase zu einer gefährlichen Euphorie entwickelt.
Ein Musterbeispiel stellt der Bullenmarkt der 90er Jahre dar: In den Bullenmarktjahren sechs bis neun verdreifachten sich die KGV, eine neue Zeitrechnung schien anzubrechen, bis die Technologieblase bekanntermaßen mit einem lauten Knall platzte.
Wie ist es also um die Stimmungskurve heute bestellt, nach mehr als zehn absolvierten Jahren? Es herrscht immer noch eine erstaunliche Skepsis. Zugegeben, es mangelt nicht an Problemstellungen: Die US-Zinsstrukturkurve wurde Ende März kurzzeitig invers, der Brexit bleibt ein permanenter Störfaktor, die Einkaufsmanagerindizes im Industriesektor zeigen Schwächen. Zudem wurden die Wachstumsprognosen für das Jahr 2019 erneut verringert - vom IWF, der WTO und der OECD.

Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
Wie geht man aber mit diesen Problemstellungen um? Wird bei der kurzzeitigen Inversion der US-Zinsstrukturkurve auf die unmittelbare Erholung hingewiesen, oder auf die Tatsache, dass es um die globale Zinsstrukturkurve weitaus besser bestellt ist? Wird bei den Brexit-Diskussionen auch die geringe globale Marktrelevanz thematisiert? Einkaufsmanagerindizes im Industriesektor schwächeln, der dominierende Dienstleistungssektor zeigt dagegen Expansion an - worauf liegt der Fokus? Sorgt man sich um die geringfügig reduzierten Wachstumsprognosen oder freut man sich über ein Wachstum von rund drei Billionen US-Dollar im globalen BIP?

Die Antworten auf diese Fragen belegen eindeutig, dass man sich in der aktuellen Marktphase um die "kleinen" negativen Dinge sorgt, statt das robuste Gesamtbild in den Vordergrund zu rücken. Bullenmärkte enden mit einem überraschenden Keulenschlag oder scheitern an der euphorischen Erwartungshaltung der Anleger. Für beide Kriterien kann man im Jahr 2019 festhalten: Es droht keine unmittelbare Gefahr. Drei Billionen US-Dollar Wachstum kann man nicht so einfach vom Tisch wischen - selbst angesichts der Handelskonflikte, des Brexits und der diversen Wachstumsdellen ist die Gefahr einer unmittelbaren Rezession äußerst gering. Und was die Marktstimmung angeht: Hier ist offensichtlich noch viel Luft nach oben und jede Menge positives Überraschungspotential vorhanden. Erst wenn die Berichterstattung gravierende Schwachstellen ignoriert und sich auf positive, aber fundamental irrelevante Themen beschränkt, sollten die Alarmglocken schrillen.
Die kurzzeitige Inversion der US-Zinsstrukturkurve veranschaulicht das skeptische Prinzip "Fokus auf marginale Änderungen" sehr deutlich. Wirtschaftlich ist eine steigende Zinsstrukturkurve sicherlich vorteilhaft, diesen Zusammenhang haben wir bis dato mehrfach thematisiert. Banken verdienen gut in ihrem Kerngeschäft, die Kreditvergabe wird stimuliert. Eine inverse Zinsstrukturkurve verdeutlicht die Problematik, dass die Kreditvergabe für die Banken möglicherweise nicht profitabel ist - so viel zum Grundprinzip. Erstaunlich ist dabei, wie mit diesem Thema der US-Inversion umgegangen wird.
Zum einen betrachtet man oft gar nicht die Zinsdifferenz zwischen Anleihen mit dreimonatiger und zehnjähriger Laufzeit - die eine hohe Aussagekraft besitzt, da die Relevanz für die tatsächlichen Kreditgeschäfte der Banken hoch ist - sondern einfach die Differenz derjenigen Laufzeiten, die ein möglichst negatives Bild abgeben. Zum anderen wird die kurzzeitige Inversion als gleichbedeutend mit einer bald eintretenden Rezession behandelt. Die Zinsstrukturkurve ist allerdings nur ein Indikator für die Kreditvergabe, welche eine wichtige Stütze für die Konjunktur darstellt - kein Timing-Instrument oder ein verlässlicher Indikator in sich.
Zwischen der Inversion einer Zinsstrukturkurve und dem Eintrittszeitpunkt einer Rezession liegen teilweise Jahre, zudem muss die Inversion auch einige Zeit andauern, um Banken wirklich in die Enge zu treiben. Die Situation in den USA hat sich bereits nach wenigen Handelstagen wieder entspannt. Aus unserer Sicht ist die globale Zinsstrukturkurve auch weitaus relevanter, da Banken mehrheitlich international agieren und die Kreditvergabe über mehrere Regionen und Währungsräume hinweg abwickeln können. Wie ist es um die globale Zinsstrukturkurve bestellt? Sie verläuft positiv und sorgt für gute Rahmenbedingungen für die Kreditvergabe auf globaler Ebene.
Wer negative Schlagzeilen produzieren will, findet mit Sicherheit dazu passende Daten. Niemals werden alle Indikatoren der Weltwirtschaft auf Grün stehen. Am Ende ist wichtig, dass die Realität besser ist als die Erwartungshaltung. Es ist auch nach über zehn Jahren im laufenden Bullenmarkt geradezu erstaunlich, dass dies immer noch so einfach gelingen kann.