Börsenprofi Carsten Mumm erklärt Warum Anleger auf den US-Jobmarkt achten sollten

Vor allem in den USA hat nach der Wirtschafts- und Finanzkrise eine außergewöhnlich lange Aufschwungphase stattgefunden - es bricht gerade das 11. Jahr ununterbrochenen Wirtschaftswachstums an. Der US-Standardaktienindex S&P 500 befindet sich bereits im 12. Jahr eines langfristigen Aufwärtstrends und hat sich seit seinem Tiefpunkt im März 2009 fast verfünffacht. Vor allem die unerwartet deutliche Wertentwicklung der US-Aktien in 2019 mit einem Plus des S&P 500 in Höhe von knapp 30 Prozent führte allerdings auch zu einer erheblichen Ausweitung der Bewertungsrelationen, denn parallel sind die aggregierten Unternehmensgewinne im letzten Jahr kaum gestiegen. So liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 derzeit bei 20 auf Basis der 2019er-Gewinne bzw. bei 19 auf Basis der erwarteten 2020er-Gewinne und damit deutlich über dem Durchschnittswert der letzten zehn Jahre von etwa 15.

Carsten Mumm, Chefvolkswirt und Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel.
Trotz der Länge des Aufschwungs ist der Wohlstandsgewinn gemessen am aggegierten realen BIP pro Kopf in dieser Zeit jedoch unterdurchschnittlich. Zudem gab es in den letzten zehn Jahren kein einizges Jahr mit einem Wachstum des US-Bruttoinlandsproduktes (BIP) von über 3 Prozent, wie in früheren Wachstumszyklen üblich. Auch die Produktivität der US-Wirtschaft und die Lohnentwicklung stiegen verglichen mit früheren Expansionsphasen weniger stark an. Die schwache Lohndynamik wiederum dürfte einer der Gründe für den in den letzten Jahren ebenfalls relativ moderaten Inflationsdruck in den USA sein. Im Dezember lag die Steigerungsrate der Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr bei 2,3 Prozent und damit nur leicht über dem Inflationsziel der Fed von 2 Prozent. Infolge der moderaten Inflationsentwicklung sind auch die über Derivatepreise messbaren Inflationserwartungen in den USA seit 2013 stetig gesunken - trotz wirtschaftlichen Booms bis Ende 2017, einem nahezu voll ausgelasteten Arbeitsmarkt und einer zumindest zeitweise auch in den USA ungewöhnlich expansiven Ausrichtung der Geldpolitik.
Für die weiteren Perspektiven der Konjunktur und damit auch der Aktienmärkte hängt nun einiges von den künftigen Entwicklungen am US-Arbeitsmarkt ab. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs hat in den letzten Jahren ein beispielloser Stellenaufbau stattgefunden. Die Arbeitslosenquote ist bis Ende 2019 auf 3,5 Prozent gesunken, ein Wert, der zuletzt Ende der 60er-Jahr erreicht wurde. Die hohe Anzahl an Beschäftigten ist einer der wesentlichen Faktoren für das zuletzt zwar leicht abgeschwächte, im Vergleich zur globalen Wirtschaftsdynamik aber nach wie vor robuste Wachstum der US-Volkswirtschaft. Je höher die Anzahl der Beschäftigten, umso stärker entwickelt sich der private Konsum, der mit etwa 70 Prozent einen sehr hohen Anteil am gesamten US-BIP hat.
In der volkswirtschaftlichen Theorie ist der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Konjunkturindikator. Erst nachdem bspw. die Auftragseingänge der Industrie und in der Folge die Poduktion sowie die Absätze gesunken sind, reagieren Unternehmen mit dem Abbau der Belegschaft. Angesichts eines verbreiteten Fachkräftemangels erfolgt diese Reaktion in Deutschland derzeit sogar noch langsamer, denn es dürfte schwierig sein, einmal abhanden gekommene Arbeitnehmer im Falle des nächsten Aufschwungs adäquat wieder zu ersetzen.

In den USA ist der Arbeitsmarkt allerdings deutlich flexibler als in Deutschland oder in Europa. Daher reagierten US-Unternehmen in der Vergangenheit relativ schnell mit Entlassungen auf schlechtere Geschäftsaussichten. Aus diesem Grund gehören die monatlichen Veröffentlichungen zur Lage am US-Arbeitsmarkt zu den wichtigsten Konjunkturbarometern sowohl für Kapitalanleger als auch für die US-Notenbank Fed und den US-Präsidenten. Sollte sich ein Ende des Jobbooms in den USA abzeichnen, die Anzahl der neu geschaffenen Stellen also deutlicher und dauerhaft abnehmen oder gar die Arbeitslosigkeit steigen, könnte es recht schnell zu einem Stimmungsumschwung und über einen nachlassenden Konsum möglicherweise zu einer deutlichen Verschlechterung der Geschäftserwartungen konsumabhängiger US-Unternehmen kommen.
Die Aktienkurse vieler derzeit im historischen Vergleich relativ hoch bewerteter Unternehmen dürften korrigieren. Auch die Stimmungslage in der Bevölkerung würde sich im Angesicht eines drohenden wirtschaftlichen Abschwungs und daraus resultierender Aktienkursverluste deutlich verschlechtern. Das dürfte der amtierende US-Präsident Donald Trump im Wahljahr jedoch unbedingt verhindern wollen und im Zweifel stimulierende fiskalische Maßnahmen, etwa eine erneute Steuerreform, ins Spiel bringen. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario ist daher aus heutiger gering.
Sollte sich hingegen die Auslastung des Arbeitsmarktes im Zuge einer weiter dynamischen Konjunktur noch verschärfen, könnte es doch noch zu stärkeren Lohnsteigerungen kommen - mit zwei möglichen Folgen. Sofern die Unternehmen die steigenden Kosten über ebenfalls steigende Absatzpreise ihrer Produkte auf die Verbraucher überwälzen, wäre eine Trendwende bei den Inflationserwartungen und damit auch bei der tatsächlichen Inflation möglich. Die Folge könnte eine sich selbst verstärkende Spirale aus steigenden Inflationserwartungen, steigenden Löhnen, noch weiter zunehmender Konsumgüternachfrage, anziehenden Absatzpreisen und in der Folge wiederum erneut steigenden Inflationserwartungen sein.
Da Anleger in erster Linie auf die realen Renditen, also die Verzinsung nach Abzug der Inflation achten, würden sie höhere Nominalzinsen einfordern. Steigende Zinsen hätten somit fallende Kurse von Anleihen zur Folge. Für die Fed würden steigende Inflationsraten bedeuten, dass sie ab einem bestimmten Niveau die Leitzinsen anheben müsste, womit auch bei kurzen Laufzeiten bzw. im Geldmarktsegment die Zinsen ansteigen würden. Da ein Großteil der Aktienkursgewinne - gerade in 2019 - aber auf der wieder expansiveren geldpolitischen Ausrichtung der US-Notenbank basierte, dürften erhebliche Kurskorrekturen auch an den Aktienmärkten die Folge sein.
Im zweiten Fall, wenn die Unternehmen die höheren Kosten nicht durchreichen könnten, gingen steigende Lohnkosten zulasten der Margen und würden die Unternehmensgewinne sinken lassen. Da aktuell für die Unternehmen des US-Standardaktienindex S&P 500 aggregierte Gewinnsteigerungen in Höhe von etwa 10 Prozent für 2020 erwartet werden, wären Erwartungs- und damit wohl auch Kurskorrekturen die Folge. Größere Turbulenzen an den Kapitalmärkten könnten in diesem Fall wohl durch mögliche Leitzinsenkungen der Fed vermieden werden.
So oder so sind die Aussichten auf weitere deutliche Kurssteigerungen bei US-Aktienindizes in den kommenden Monaten somit verhalten. Aufgrund des anstehenden US-Wahlkampfes dürfte Präsident Trump zwar alles Mögliche in Bewegung setzen, um zu negative Entwicklungen zu vermeiden. Trotzdem spricht einiges dafür, dass die Aktienmärkte anderer Regionen, etwa aus Europa oder den Schwellenländern, in 2020 die besseren Möglichkeiten bergen.