Börsenprofi Thomas Grüner erklärt Die Wahrheit über die deutschen Aktien-Muffel

Aktienhändler in Frankfurt: Börse bei deutschen Anlegern eher unbeliebt.
Foto: Frank Rumpenhorst/ picture alliance / dpaPolitische Unruhen, zähe Seitwärtsmärkte: Bisher bot das Börsenjahr 2018 Anlegern wenig Anlass, sich in die absolute Wohlfühlzone zu begeben. Die Angst vor dem großen Crash ist allgegenwärtig, auch nach über neun Jahren im globalen Bullenmarkt hält sich die grundlegende Überzeugung für einen positiven Verlauf der Märkte in Grenzen. Nicht nur aus aktuellem Anlass, sondern generell gilt gerade für deutsche Anleger: Aktienmärkte spielen eine eher untergeordnete Rolle für die Geldanlage. Rund zwei Drittel des liquiden Geldvermögens der Deutschen stecken in festverzinslichen Anlagen, angesichts des anhaltenden Niedrigzinsumfelds wirkt dieses Anlegerverhalten fast schon trotzig. Auch als wichtiger Baustein für die Altersvorsorge ist die Aktienanlage eher verpönt.

Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
Ein Blick auf die Zahl der direkten Aktionäre in Deutschland verdeutlicht zwar einen leicht positiven Trend in den letzten Jahren, gleichzeitig bedeutet die Zahl von 4,92 Millionen aus 2017 aber auch, dass die reine Aktionärsquote in Deutschland nur rund 6 Prozent beträgt. Im Vergleich mit anderen Industrieländern ein dürftiges Ergebnis.

GRAFIK Börsenkurse der Woche / 2018 / KW 27 / Aktionäre
Foto: manager-magazin.deStrukturelle Vorteile
Abgesehen von den langfristig überlegenen Renditechancen: Aktienmärkte bieten für Anleger eine weitere attraktive Eigenschaft. Transparenz! Egal ob Sie Ihr Vermögen langfristig aufbauen wollen, Ihren Ruhestand planen oder einfach nur über Aktien nachdenken, weil Sie von der Perspektivlosigkeit der Festgeldanlage zermürbt sind: Als Aktionär profitieren Sie von der Transparenz Ihrer Geldanlage. Sie wissen stets, wie und wo Ihr Geld investiert ist und wer es letztendlich in den Händen hält. Die Preisbildung und die Entwicklung von Angebot und Nachfrage sind tagtäglich nachvollziehbar, zudem unterliegen börsennotierte Unternehmen umfassenden Reporting-Pflichten. Als Aktionär halten Sie eine Unternehmensbeteiligung, die als Sondervermögen eingestuft wird.
Es geht auch intransparent
Intransparente Anlageklassen gibt es viele. Ein Gegenbeispiel zum transparenten Aktienmarkt: Geschlossene Beteiligungen. Sicherlich sollte man nicht die gesamte Industrie über einen Kamm scheren, aber die Zahl der handfesten Skandale in den letzten Jahren ist durchaus sehenswert. Die Pleite der Münchener Beteiligungsgesellschaft P&R 2018 reiht sich in eine Liste empfindlicher Betrugsfälle. Erinnern Sie sich an Phoenix Kapitaldienst? Die Immobilienkönige S&K, den Prokon-Skandal oder die Goettinger Gruppe? Hinter jeder Pleite steckt eine andere Geschichte, aber das Ergebnis ist im Wesentlichen dasselbe: Anleger erleiden herbe, irreparable Verluste. Böse Überraschungen mit sich wiederholenden Ursachen: Man wusste oft nicht genau WIE das Geld investiert wird, WER es in den Händen hält und wie sich die wirtschaftliche Entwicklung über die Laufzeit tatsächlich dargestellt hat.
Ein weiteres, intransparentes Beispiel, wenn auch mit einer besseren Liquidierbarkeit sind Immobilien, welche aus vielen Gründen aktuell eine besondere Beliebtheit erfahren. Aus psychologischer Sicht hilft sicherlich, dass man nicht jeden Tag in ein "Immobiliendepot" schauen kann, welches den aktuellen Marktpreis und die demnächst anfallenden Renovierungs- und Sanierungskosten auflistet. Und mit dem Rezenz-Effekt trägt ein weiteres psychologisches Muster seinen Teil zur Beliebtheit bei.
Anleger investieren häufig gerne in solche Anlageklassen oder Teile von Anlageklassen, die sich in der kurzen Frist gut entwickelt haben. Ein Bärenmarkt bei Immobilien scheint für viele Anleger in Deutschland nicht im Bereich des Denkbaren zu liegen, vor allem deswegen, da die letzten größeren (negativen) Wertschwankungen schon eine gewisse Zeit zurückliegen. Viele Anleger haben keine Sorgen, eine Immobilie in einer der größten deutschen Städte zu kaufen. Überträgt man die Mietrendite hierfür jedoch einmal auf die Kennzahlen der Unternehmensbewertung, so zahlten Investoren 2016 bereits ein Kurs-Umsatz-Verhältnis von mehr als 29. Würden Sie eine solche Aktie kaufen?
Auch die vor kurzer Zeit noch in Verruf geratenen Zertifikate scheinen nicht von der Bildfläche zu verschwinden. Häufig werden diese mit furchtbar angenehm klingenden Namen versehen wie beispielsweise Bonus-, Sprint- oder Sicherheitszertifikat. Die Auszahlungsstrukturen sind hierbei häufig so gestaltet, dass der unwissende Anleger selten ein Verständnis für das Chance-Risiko-Verhältnis erlangt und verschleiern, dass letztendlich vor allem der Emittent damit verdient. Zwar ist das Volumen am Zertifikatemarkt noch nicht wieder auf den Höchstständen von 2007 angekommen, die Vielzahl neu geschaffener Produkte sorgt aber trotzdem nicht wirklich für eine Verbesserung der Investmentlandschaft.
Trotz aller Intransparenz: Geschlossene Beteiligungen, Immobilien und Zertifikate sind bei deutschen Anlegern eine beliebte Anlageform. Zertifikate ermöglichen es Banken, abgesicherte Gewinne zu verbuchen und auch Immobilien unterliegen gewissen, wenig beachteten Risiken. Es ist bekannt, dass sich im Bereich der geschlossenen Beteiligungen einige schwarze Schafe tummeln, dennoch gelingt es intransparenten Gesellschaften immer wieder, Anlegergeld in Milliardenhöhe einzusammeln. Warum ist das so?
Angst vor Wertschwankungen
Die Antwort auf diese Frage ist erschreckend einfach. Viele deutsche Anleger schätzen die fehlende Transparenz bei einer Geldanlage. Das klingt paradox? Ist es auch. Eine transparente Geldanlage hat eben den "Nachteil", dass Wertschwankungen offenbart werden. Volatilität wird sichtbar und ruft Verlustängste hervor. Da viele Anleger nach der Prämisse "ich will auf keinen Fall Geld verlieren!" investieren, wird die Transparenz zur emotionalen Hürde. Dagegen übt die intransparente Preisbildung eine bestimmte "Schutzfunktion" für risikoaverse Anleger aus. Wäre es nicht furchtbar, wenn Sie den Preis Ihrer Immobilie stets im Live-Ticker verfolgen könnten, orientiert am aktuell höchsten Bietergebot? Würde Sie der permanente Einblick in das Geschäftsgebaren einer Beteiligungsfirma wirklich dazu ermutigen, Ihr Geld langfristig und ohne Ausstiegsmöglichkeit zu binden? Andersherum: Wäre es nicht wunderbar, keinen Zugang zu Börsendaten zu haben und erst nach zehn oder 20 Jahren das Endergebnis Ihrer Aktienanlage zu erfahren?
Nimmt man dann die Gruppe der Investoren, die sich trotzdem an den Aktienmarkt wagen, so hört man in schwankungsarmen Zeiten von Aktionären, dass sie problemlos Wertschwankungen ertragen könnten. Und auch der berühmte Warren Buffett sagte einmal: "Kaufe eine Aktie nur dann, wenn du einen Kursverlust von 50 Prozent aushalten kannst, ohne in Panik zu verfallen. Wenn du zu Panik neigst, bleibe der Börse fern." Doch gleichzeitig erleben wir immer wieder, dass sobald die Volatilität am Markt steigt, eine große Menge an Anlegern in Panik verfällt. Der mediale Hype auf der Suche nach den explosivsten Schlagzeilen und damit dem höchsten Konsumentenanteil tut ihr übriges hierzu. Genau diese Preistransparenz sorgt gerade bei deutschen Anlegern für ein Ausblenden der Anlageklasse Aktien oder aber den Mangel einer marktgerechten Rendite.
Fazit
Viele Anleger stecken in einem Dilemma und nutzen die Transparenz einer Geldanlage nicht zu ihren Gunsten. Achten Sie stets darauf, wer Ihr Geld in den Händen hält und wie damit gewirtschaftet wird! Wer der Volatilität mutig entgegentritt, spart sich einige böse Überraschungen. Lassen Sie sich nicht von einer transparenten Preisbildung abschrecken. Denken Sie langfristig und nutzen Sie die Chancen, die der Aktienmarkt Ihnen für Ihren langfristigen Vermögensaufbau bietet.