Londoner Aktienmarkt haussiert Brexit-Gewinner an der Börse sind - ausgerechnet die Briten!

Patriotismus zahlt sich aus - jedenfalls momentan: An der Börse in London sind die Kurse trotz Brexit gestiegen
Foto: REUTERSFür viele ist Peter Hargreaves in diesen Tagen wohl der törichte Brite par excellence: Der Mitinhaber der Investmentfirma Hargreaves Lansdown spendete erst vier Millionen Euro für die Pro-Brexit-Kampagne und verlor nach deren Erfolg einen dreistelligen Millionenbetrag, weil die Aktien seines Unternehmens an der Börse einbrachen.
War doch vorher klar, möchte man da sagen. Wie kann man nur?

Brexit-Fan Hargreaves
Foto: © Reuters Staff / Reuters/ REUTERSDoch Hargreaves steht nach wie vor zu seiner Entscheidung. Und wer sich über ihn und womöglich viele andere Briten echauffiert, die sich nach gängiger Meinung für einen Niedergang ihrer Volkswirtschaft entschieden haben, sollte einmal einen genauen Blick auf die Entwicklung an den Finanzmärkten in den vergangenen Tagen werfen.
Vielfach wurde seit dem Votum am 23. Juni über die negativen Folgen diskutiert, die ein Brexit in den kommenden Jahren etwa für den britischen Außenhandel sowie für den Arbeitsmarkt und andere Bereiche haben kann. Treibt der Brexit die britische Wirtschaft in eine Rezession? Wie viele Vorteile einer EU-Mitgliedschaft wird Großbritannien durch zähe Verhandlungen in die Nach-EU-Zeit hinüberretten können? Die Frage, so scheint es, ist nicht, ob es düster wird für Großbritannien, sondern wie düster es in Großbritannien und Europa wird.
Die jüngste Entwicklung an der Börse spricht jedoch zumindest für den Augenblick eine andere Sprache: Dort steht auf der Verliererseite zunächst mal nicht Großbritannien, sondern der Rest der Welt.
Wie der britische FTSE den deutschen Dax abhängt
Um etwa 4 Prozent liegt der deutsche Leitindex Dax gegenüber seinem Stand vor dem Brexit-Entscheid nach wie vor im Minus, trotz der Erholung der vergangenen Tage. Der europaweite EuroStoxx 50 notiert etwa in gleichem Maße negativ. Besser sieht es an der Wall Street aus, wo der Dow Jones sowie der breite S&P 500 jeweils nur noch leichte Verluste aufweisen.
Doch was machte in der auslaufenden Woche die Börse in London? Auch dort waren unmittelbar nach der Volksabstimmung die Kurse massiv eingebrochen. Seither jedoch geht es mit den britischen Aktien steiler aufwärts als an allen anderen wichtigen Börsen in der Welt.
Finanzwerte wie Hargreaves Lansdown hinken zwar noch hinterher. Der Standardindex FTSE 100 jedoch, in dem sich auch internationale Rohstoff- oder Pharmafirmen befinden, steht inzwischen bereits um 4 Prozent besser da als zuletzt vor dem Brexit-Votum. Seit Januar verzeichnet der britische Leitindex damit ein Plus von etwa 5 Prozent. Beim Dax dagegen sind es minus 10 Prozent.
Momentan zahlen an der Börse also nicht die Briten die Brexit-Zeche, sondern die Investoren, die außerhalb des Vereinigten Königreichs engagiert sind.
Aber was bedeutet das? Liegen vielleicht die Fachleute falsch, die Großbritannien für die Zeit nach einem Brexit eine Wirtschaftskrise prophezeien? Steht die britische Wirtschaft ohne EU womöglich doch besser da als mit EU?
So einfach ist es nicht. Für die Kursgewinne der vergangenen Tage am britischen Aktienmarkt gibt es vor allem zwei Gründe, und beide sind kaum geeignet, das langfristige Vertrauen in die britische Wirtschaft in einer Post-EU-Ära zu stärken.
Warum britische Aktien trotz Brexit abheben
Erstens: Das britische Pfund ist mit dem Brexit-Votum auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren gestürzt. Dadurch werden Waren und Dienstleistungen auf der Insel für Käufer aus dem Ausland günstiger - das gilt auch für die Aktien an der Londoner Börse. Selbst Peter Hargreaves, dessen Firma vom Brexit-Sieg so gebeutelt wurde, freut sich über den Verfall des britischen Pfundes. "Das ist der größte Stimulus für britische Unternehmen, den ich seit 1992 gesehen habe", sagte er.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch die Kehrseite: Während Ausländer in Großbritannien günstig einkaufen können und britische Exporteure Rückenwind bekommen, verteuert die Pfundschwäche gleichzeitig jene Waren und Dienstleistungen, die Briten im Ausland erwerben. Während London sich auf einen Tourismus-Boom freuen kann, verteuert die Abwertung des Pfundes all jene Waren, die nach Großbritannien importiert werden.
Mark Carney als Helfer in der Not
Entscheidender als der Tiefflug der britischen Währung erscheint daher für die Londoner Börse die klare Positionierung der Bank of England. Schon zweimal wandte sich Zentralbankchef Mark Carney seit dem Referendum an die Öffentlichkeit, jedes Mal mit der gleichen Botschaft: Die Bank of England werde nicht zögern, der Wirtschaft zu helfen, sollte diese in Schwierigkeiten geraten.
Im Klartext heißt das: Carney hat bereits die Hand am Geldhahn und wartet nur darauf, ihn aufdrehen zu können. Wie bereits die EZB bei der Euro-Schuldenkrise sowie die US-Notenbank Fed in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise schickt sich also auch die Bank of England an, jeglichen Verwerfungen, die es in der Wirtschaft wegen des anstehenden EU-Austritts womöglich geben wird, mit einer Geldschwemme zu begegnen.
Briten können sich über Goldpreisanstieg freuen
Solche Ankündigungen waren schon in der Vergangenheit Musik in den Ohren der Börsianer, und so ist es auch dieses Mal. "Was für eine fantastische Woche", sagt beispielsweise Yogi Dewan, CEO der britischen Investmentfirma Hassium Asset Management, laut Nachrichtenagentur Bloomberg. "Wir hatten schon gedacht, dass der Ausverkauf übertrieben war, und dass es eine sehr offensichtliche Währungs-Story gab. Aber es ist die Effektivität der Notenbanken, die zu dieser klaren und starken Reaktion geführt hat."
Experten sind sich allerdings einig: Langfristig können Zentralbanken die Probleme in der Wirtschaft mit ihrer Geldflut bestenfalls überdecken. Lösen können sie sie nicht.
Skepsis in Bezug auf Britanniens wirtschaftliche Zukunft bleibt also trotz allem angebracht. Und wer genau hinschaut, bemerkt: Der aktuelle Liquiditäts-Boom an der Londoner Börse hat vor allem die Blue Chips im FTSE 100 erfasst, die international stark aufgestellt sind. Der breiter gefasste FTSE 250 dagegen, in dem sich auch viele kleinere Firmen befinden, die stärker auf die britische Wirtschaft fokussiert sind, befindet sich gegenüber dem Tag des Brexit-Votums nach wie vor klar im Minus.
Brexit-Fans wie Peter Hargreaves sollten daher hoffen, dass die Briten aus den Verhandlungen mit der EU erfolgreich hervorgehen. Nur so dürfte es gelingen, die wirtschaftlichen Nachteile eines Austritts aus der Gemeinschaft zu dämpfen.
Hinzu kommt: Die Erhöhung der Geldmenge birgt früher oder später die Gefahr einer stark steigenden Inflation, was ebenfalls der Wirtschaft eher schadet als nützt. Auch dies wird am Finanzmarkt bereits registriert, und zwar beispielsweise im Goldpreis, der seit dem Brexit-Votum weiter angezogen hat. Das Edelmetall gilt als sicherer Hafen für Investments und als Schutz gegen Geldentwertung.
Viele Briten können sich über den steigenden Goldpreis bereits jetzt freuen. Denn Berichten zufolge war die Nachfrage nach Goldmünzen und -barren in Großbritannien schon im Vorfeld der Brexit-Abstimmung stark angestiegen.
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