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Überblick: Wie Unsicherheit Rendite schafft

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Dax-Geflüster Prognosen taugen nichts - und das ist gut so

Aktien zu kaufen kann sich lohnen. Börsenprognosen zu studieren, ist nach Ansicht vieler Fondsprofis jedoch Zeitverschwendung. Wären Prognosen verlässlich, würde der Markt nicht funktionieren - und Privatanleger hätten keine Chance auf Rendite.

Hamburg - Jedes Jahr gönnen sich Mitarbeiter des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Börsen-Zeitung, der heiteren Umtriebe sonst unverdächtig, den gleichen Spaß. Sie befragen mehr als 20 renommierte Geldhäuser zum Jahresende, wo denn der Dax  zum Ende des Folgejahres stehen wird.

Dann geht es zu wie beim Wettbieten. Bei 6200 Punkten werde der Dax Ende 2011 notieren, unkten Ende 2010 die Experten der Hessischen Landesbank. Bei 7650 Punkten, hielt die Deutsche Bank  dagegen. Falsch, bei 9000 Punkten, hieß es aus dem Research-Zentrum der Bremer Landesbank. Der Durchschnitt dieser vielstimmigen Schätzungen liegt bei rund 7600 Zählern - und auch von dieser Marke ist der Dax zur Jahres-Halbzeit noch ein gutes Stück entfernt.

Wozu also all die aufwendig erstellten Prognosen? "Wir Menschen haben nicht die Fähigkeit, Märkte vorherzusagen", sagt Jens Kummer, Fondsmanager der SEB. "Doch trotz des fehlenden Erfolges halten wir daran fest."

"Prognosen über die Marktentwicklung dienen vor allem der Unterhaltung", ergänzt Martin Weber, Ökonomieprofessor an der Universität Mannheim. "Da wir Menschen mit dem Zufall nicht umgehen können, schenken wir Vorhersagen, Modellen und Berechnungen große Aufmerksamkeit." Ergebnis sei ein Prognose-Schaulaufen, an dem sich neben den Geldhäusern auch die Medien munter beteiligen.

Realität plus ein bisschen mehr: Fertig ist die Prognose

Das Arbeitsmuster der meisten Marktpropheten ist einfach. Man nehme die wirtschaftliche Realität, gebe noch ein bisschen was dazu und schreibe die jüngst erlebte Entwicklung in die Zukunft fort. So entstehen die "Schnörkel" (Squiggles) des US-Analysten Ed Yardeni: In seinem Blog  stellt Yardeni die aktuelle Gewinnentwicklung der Unternehmen aus dem S&P 500 grafisch dar. Um diese Realitäts-Linie winden sich die Prognosen wie kleine Schörkel herum, eilen auf 12-Monats-Sicht munter voraus - und kippen verschreckt ab, sobald die aktuelle Entwicklung dreht. Aus Über-Optimismus wird oft Über-Pessimismus - für Investoren ist beides wenig hilfreich.

"Wir verschieben das Heute in die Zukunft und schreiben unsere jüngsten Erfahrungen fort - aber die Welt ändert sich", sagt Weber. Zum Beispiel durch Fukushima. Zum Beispiel durch die Lehman-Pleite.

Dass das Neue, Unvorhersehbare alle noch so akribisch erstellten Berechnungen von einem Moment auf den anderen pulverisieren kann, lässt sich an vielen Unternehmen zeigen. Die deutschen Energieriesen RWE  und Eon  zählten über viele Jahre zu den attraktivsten Dividendenbringern im Dax, beherrschten den deutschen Energiemarkt, konnten 2010 eine Laufzeitverlängerung für ihre Atomkraftwerke durchdrücken und sich scheinbar weitere Gewinne sichern: Dann explodierte in Japan ein Atommeiler, und die Welt hat sich geändert.

Beispiel Deutsche Bank : Der deutsche Branchenprimus galt mit seinem starken Investmentbanking bis Ende 2007 als Gelddruckmaschine, der Kurs knackte die Marke von 100 Euro, Gewinne sprudelten. Dann kam das Kreditkarussell abrupt zum Stehen, Lehman Brothers ging pleite, und die Banker-Welt hat sich geändert.

Mit jeder neuen Information ändert sich das Spiel - wie auch Bayer und Nokia zu spüren bekamen.

Die Macht des Zufalls - auch auf Gewinner ist kein Verlass

Der Pharmakonzern Bayer  geriet durch den Lipobay-Skandal in den USA ins Wanken, der weltgrößte Handyhersteller Nokia  wurde durch das iPhone von Apple  in seinen Grundfesten erschüttert - Veränderungen, die in keiner Gewinnprognose enthalten waren und erst dann in die Bewertung einflossen, als sie geschahen.

In einem effizienten Markt ist die Summe aller aktuellen Informationen bereits im Aktienkurs enthalten, sagt Weber. Kommt eine neue Information hinzu, ändert sich das Spiel. Da niemand vorhersagen könne, welche Information hinzukomme und wie diese vom Markt gewichtet werde, sei der Markt ein Zufallsprozess: "Wir sollten akzeptieren, dass Aktienkurse dem Zufall gehorchen."

Zufall, Umwälzung, Veränderung - wenn Anleger den Markt-Propheten schon nicht vertrauen können, dann wenigstens den erfolgreichsten Investmentprofis? Erfolg und Renditen sind zumindest messbar, doch auch hier gibt es ein Problem.

"Besonders erfolgreiche Fondsmanager schaffen es nur sehr selten, in den folgenden 3 Jahren nach ihrem Siegesjahr den Markt zu schlagen", erklärt SEB-Fondsmanager Kummer. Viele der frisch gekürten Gewinner seien in diesem Zeitraum sogar schlechter als der breite Markt. Ein Fünf-Sterne-Rating von Morningstar, das in der Fondsbranche als ein Ritterschlag gilt, sei in diesem Sinne oft ein "Kuss des Todes", sagt Kummer: Auf die Auszeichnung folgen oft harte Jahre.

Ohne Unsicherheit gäbe es keinen Handel

Wenn Lorbeeren für einzelne Fonds dem Anleger nicht helfen und Prognosen nichts taugen - ist es dann Zeit, sich vom Casino Aktienmarkt zu verabschieden? Nein, sagt Weber, der sich unter anderem mit menschlichen Verhaltensmustern am Aktienmarkt beschäftigt. Im Gegenteil.

"Wenn der Markt berechenbar wäre, dann wären wir alle arm", sagt Weber. Denn zu einem Handel am Aktienmarkt gehören ein Aktienkäufer, der auf einen steigenden Kurs setzt, und ein Verkäufer, der das nicht so sieht - sonst würde er nicht verkaufen. Ohne zwei unterschiedliche Meinungen käme kein Handel zustande. "Warum sollte jemand die Aktie der Deutschen Bank  für aktuell 40 Euro verkaufen, wenn er weiß, dass sie zum Jahresende bei 100 Euro steht?", fragt Weber.

Sicherheit verändert dagegen die Preise binnen Sekunden: Als der chinesische PC-Hersteller Lenovo in der vergangenen Woche bekannt gab, den deutschen Aldi-Lieferanten Medion für 13 Euro je Aktie zu übernehmen, schoss der Kurs binnen Minuten auf genau jene Marke - die bevorstehende Übernahme wurde damit sofort "eingepreist". Gewinne erzielten diejenigen, die vorher auf kurssteigernde Nachrichten hofften, ohne es zu wissen - und wenn sie es wussten, machten sie sich wegen Insiderhandel strafbar.

Unsicherheit ist wichtig für den Aktienmarkt. Sie ermöglicht, dass Anleger Aktien zu einem vermeintlich fairen Preis kaufen, Risiken eingehen und dafür mit Glück eine Risikoprämie - sprich Rendite - erzielen können. "Ohne Unsicherheit keine Risikoprämien, dann blieben Anlegern nur klassische Zinsanlagen", sagt Weber. Wer mit den langfristigen Zinsen von Festgeld und Tagesgeld nicht zufrieden ist, sollte froh sein, dass Marktpropheten ständig irren.

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