Finanzplätze Die Börsenwelt im Umbruch

Die Fusion von NYSE Euronext und der Deutschen Börse bewegt seit Tagen auch die Händler an der Wall Street. Dass diese bald in "Wall Straße" umbenannt wird, wie eine New Yorker Zeitung titelte, ist unwahrscheinlich. Die Amerikaner dürften im neuen Gebilde das Sagen haben.
Foto: MARIO TAMA/ AFPHamburg - Seit Dienstag ist es offiziell. Die Deutsche Börse AG und der Börsenbetreiber NYSE Euronext fusionieren. Die Präsentation der Jahresbilanz, die der Dax-Konzern für den heutigen Mittwoch angekündigt hatte, wurde kurzfristig abgesagt. Zu bedeutsam ist der Zusammenschluss zur weltweiten Nummer eins im Börsenhandel. Der Umsatz des neuen Unternehmens würde bei gut vier Milliarden, die Marktkapitalisierung bei knapp 20 Milliarden Euro liegen.
Für den umstrittenen Zusammenschluss, der bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll, sprechen vor allem Synergien und Skalenerträge. Durch einheitliche IT-Architekturen, gebündelte Dienstleistungen, gemeinsame Handelsplattformen und zentralisierte Verwaltungen wollen die Fusionspartner rund 300 Millionen Euro jährlich einsparen.
Dies dürfte beiden Unternehmen im weltweiten Wettbewerb Luft verschaffen. Denn die globale Konsolidierung schreitet voran. Angetrieben wird sie durch mehrere Faktoren.
Handelssysteme Chi-X und BATS knabbern an den Margen
So haben sich die globalen Börsenbetreiber längst zu IT-Dienstleistern gewandelt. Die Deutsche Börse AG nutzt beispielsweise seit 1997 das elektronische Handelssystem Xetra, um Angebot und Nachfrage zusammenzuführen. Wo die Server stehen, ist fast egal. Den Parketthandel in Frankfurt stellt das Unternehmen im Mai ein. Und auch das Läuten der Glocke an der Wall Street wird wohl bald Geschichte sein.
Vor allem in Europa wird die Konsolidierung zusätzlich durch eine 2007 in Kraft getretene EU-Richtlinie verschärft, die es Anbietern von alternativen und weniger regulierten Handelssystemen erlaubt, mit klassischen Börsen zu konkurrieren. Die zwei größten unter ihnen, Chi-X und BATS, stehen mittlerweile für fast 30 Prozent des Aktienhandels in Europa. Und sie knabbern an den Margen der klassischen Börsen.
Weniger Ausgaben, aber nicht mehr Einnahmen
Kostenseitig wird die geplante Fusion von Frankfurter und New Yorker Börse daher von kaum einem Experten angezweifelt. Auf der Einnahmeseite hingegen schon. Denn die weltweite Konsolidierung wird diesbezüglich vor allem von zwei weiteren Trends angefacht.
Einerseits streben Anleger seit Jahren weg vom klassischen Aktienhandel hin zu Derivaten. In diesem Segment erwirtschaftet die Deutsche Börse AG über ihre Terminbörse Eurex inzwischen mehr als ein Drittel ihrer Umsätze. Im klassischen Aktienhandel sind es demgegenüber weniger als 10 Prozent. Die Terminbörse Liffe von NYSE Euronext kann da nicht mithalten.
Außerdem hilft die Fusion keinem der Partner im Wettbewerb um Wachstumsmärkte. Während auf den gemeinsamen Märkten Deutschland, Europa und Nordamerika die Zahl der Börsengänge stagniert, gelten Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien als zukunftsträchtig. Dutzende Neuemissionen stürmen in diesen Ländern Jahr für Jahr an die Börsen.
Im Hinblick auf die weltweite Konsolidierung werden sowohl Kosteneffizienz als auch Wachstumschancen über Allianzen, Übernahmen und Zusammenschlüsse entscheiden. Mit Blick auf die jetzt verkündete Fusion von Deutscher Börse und NYSE Euronext geraten zunächst allerdings die Wettbewerber unter Druck.
Die Bedrohten: CME und Nasdaq OMX
An erster Stelle die US-Derivatebörse Chicago Merchantile Exchange (CME). In mehreren Medien wurde bereits kolportiert, dass die CME Interesse an einer feindlichen Übernahme der NYSE Euronext habe. Dass ein solcher Schritt zumindest plausibel wäre, daran zweifelt kaum ein Experte.
Mit Blick auf das Handelsvolumen vereinigt die CME die weltweit größten Börsen für Derivate und Terminkontrakte unter einem Dach. Die Deutsche Börse mit der Terminbörse Eurex und die NYSE mit ihrem Pendant Liffe würden bei einem Zusammenschluss näher an den globalen Marktführer im Derivatehandel heranrücken.
Im Zuge einer feindlichen Übernahme könnte die CME laut Medienberichten mit der New Yorker Nasdaq OMX zusammentun. Der New Yorker Börsenkonzern ist mit einem Handelsvolumen von 12,7 Billionen Dollar - nach NYSE Euronext - zweitgrößter Börsenbetreiber der Welt. Sein Marktwert liegt, wegen der starken Orientierung auf Aktien, allerdings nur bei rund 4 Milliarden Euro. Die CME hingegen bringt es, wegen der Spezialisierung auf die lukrativen Termingeschäfte, auf 15 Milliarden Euro.
CME und Nasdaq OMX entstanden selbst durch Fusionen
Dass beide Börsenbetreiber an Fusionen und Übernahmen interessiert sind, zeigt schon ein Blick in die jüngere Geschichte. Denn erst im Februar 2008 ging Nasdaq OMX aus der Fusion der US-Technologiebörse Nasdaq und dem skandinavischen Börsenbetreiber OMX hervor. Im Jahr 2006 hatte die Londoner Börse eine Übernahmeofferte der Nasdaq abgelehnt.
Die CME Gruppe verleibte sich ihrerseits 2007 das Chicago Board of Trade (CBOT) und die Chicago Board Options Exchange (CBOE) ein. 2008 schluckte der Konzern dann die New Yorker Optionsbörse Nymex.
Sollte es mit einer feindlichen Übernahme von NYSE Euronext nicht klappen, gibt es im Übrigen einen weiteren Kandidaten, der nach Ansicht von Branchenkennern als Übernahmeobjekt infrage käme.
Die Umworbenen: LSE und TSX
Denn zeitgleich mit der Fusionsankündigung der London Stock Exchange (LSE) mit der Toronto Stock Exchange (TSX) wurde ebenfalls über ein Gegenangebot der CME für Kanadas größte Börse spekuliert.
Auch ein solches Angebot würde nach Ansicht von Experten Sinn ergeben. Denn die TSX ist, wie auch die Chicagoer CME, besonders im zukunftsträchtigen Termingeschäft engagiert. Die Marktkapitalisierung der Kanadier liegt bei derzeit 2,3 Milliarden Euro.
Dass die TSX darüber hinaus als eine der führenden Börsen für Rohstoffaktien gilt, macht sie indes vor allem für die LSE interessant.
Zweimal ließ die LSE die Deutsche Börse abblitzen
Die LSE gilt, seitdem die Deutsche Börse gleich zweimal mit Fusionsangeboten scheiterte, als einer der umworbensten Börsenbetreiber der Welt. Dort, wo im Jahr 2009 Wertpapiere im Wert von rund 3,39 Billionen US-Dollar den Besitzer wechselten, gaben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Kaufinteressenten die Klinke in die Hand: Nach den Deutschen versuchte es die damals noch partnerlose Vierländerbörse Euronext, dann die australische Macquarie Bank und schließlich die US-Technologiebörse Nasdaq.
Doch die Londoner zierten sich. In allen Fällen wurde das Kaufangebot als zu niedrig zurückgewiesen. Stattdessen fusionierte die LSE 2007 mit der Borsa Italiana.
Sollte es 2011 tatsächlich zur Fusion von LSE und TSX kommen, entstünde der viertgrößte Handelsplatz der Welt - und die Nummer eins im Geschäft mit Rohstoffaktien.
Die Spezialisierten: ASX und SGX
Die Fusion von LSE und TSX stößt bei der Australian Securities Exchange (ASX) auf wenig Gegenliebe. Schließlich gehört die australische Börse selbst zu den großen Marktplätzen für Bergbau- und Rohstoffaktien und entsprechende Terminkontrakte. Zu den im S&P/ASX 200 gelisteten Konzernen gehört unter anderem der australisch britische Rohstoffkonzern BHP Biliton.
Die ASX entstand 2006 aus dem Zusammenschluss der Australian Stock Exchange mit der Sydney Futures Exchange. Das Unternehmen ist wegen seiner Spezialisierung begehrt.
Die Singapore Exchange hat 5,9 Milliarden Euro geboten
So ist es kein Zufall, dass die konkurrierende Singapore Exchange (SGX) erst vor einigen Tagen umgerechnet 5,9 Milliarden Euro für den australischen Rivalen geboten hat.
Die in Singapur ansässige Termin- und Wertpapierbörse SGX gehört zu den kapitalstarken und weltweit aufstrebenden Handelsplätzen, seit sie im Jahre 2000 selbst börsennotiert ist.
Strategisch stellt sie sich seither als Tor nach Asien auf, weshalb sie sich an Börsen und Clearing-Unternehmen unter anderem auf den Philippinen und am indischen Bombay Stock Exchange (BSE) beteiligt hat. Aber auch mit der Chicagoer CME hat die SGX bereits eine Partnerschaft geknüpft.
Sollte die Übernahme der ASX durch die SGX gelingen, entstünde die viertgrößte Börse Asiens nach und Shanghai, Hongkong und Tokio.
Die Wachstumstreiber: China und Korea
Wobei die Singapore Exchange mit der größeren Börse in Tokyo ebenfalls eng verknüpft ist. Die Japaner halten seit einigen Jahren ein Prozent der Aktien der SGX.
Selbst ist die Tokioter Börse zwar nicht gelistet. Dennoch beteiligen sich die Japaner vor allem durch strategische Allianzen an der weltweiten Konsolidierung. So arbeitet die Tokyo Stock Exchange eng mit der NYSE und der London Stock Exchange zusammen. Und auch in Asien sucht der Börsenbetreiber derzeit weiter nach Partnern.
Korea, Shenzen und Shanghai wecken Fusionsinteressen
Ob die Hong Kong Stock Exchange zu diesen Kandidaten gehört, ist fraglich. Sie ist zwar die nach Handelsvolumen kleinste der drei chinesischen Börsen, nach Marktkapitalisierung allerdings der Primus. Dies liegt vor allem daran, dass die Hong Kong Stock Exchange der größte Umschlagplatz für Aktienoptionen und börsennotierte Investmentfonds in Asien und Australien ist. Das Management der Hong Kong Stock Exchange hat angesichts der Bewegung im Markt angekündigt, internationale Allianzen zu prüfen. Eine Fusion stehe allerdings derzeit nicht an.
Fusionskandidaten in Asien sind eher die wie Eurex und CME auf Derivate spezialisierte Korea Exchange, die auf Wachstumsunternehmen setzende Börse Shenzen oder die Shanghai Stock Exchange, mittlerweile die nach Handelsvolumen drittgrößte Börse der Welt.
Die Player von morgen: Russland und Brasilien
Mit einigem Abstand zu den großen asiatischen Handelsplattformen folgen die Börsen in anderen Schwellenländern. In Russland zum Beispiel hat die Regierung erst kürzlich die Fusion der zwei Moskauer Börsen RTS und MICEX beschlossen. Ein Schritt, der nach Ansicht der meisten Experten überfällig war.
Denn bislang nutzen russische Konzerne lieber ausländische Handelsplattformen, um Kapital einzusammeln. Der weltweit größte Aluminiumproduzent Rusal entschied sich im vergangenen Jahr beispielsweise für die Börse in Hongkong, die russische Mail Group, unter anderem im Onlinenetzwerk Facebook investiert, entschied sich für London.
Im Zuge der Fusion wird die MICEX mit 3,45 Milliarden US-Dollar, die RTS mit 1,15 Milliarden Dollar bewertet. In zwei bis drei Jahren soll ein Börsengang folgen.
BM&F Bovespa strebt nach Indien und China
Der brasilianische Börsenbetreiber BM&F Bovespa ist im Vergleich dazu mit einer Marktkapitalisierung von gut 14 Milliarden Dollar um Jahre voraus. In Brasilien ist das Unternehmen Monopolist, im Wachstumsmarkt Lateinamerika Marktführer. An der Börse von São Paulo rechnen Händler in diesem Jahr mit bis zu 40 Aktienemissionen mit einem Gesamtvolumen von rund 30 Milliarden Dollar.
BM&F Bovespa entstand in seiner heutigen Form im Mai 2008. Damals fusionierten die auf Aktien spezialisierte Bolsa de Valores de São Paulo (Bovespa) und die auf Termingeschäfte spezialisierte Bolsa de Mercadorias e Futuros (BM&F).
Seither sind auch BM&F Bovespa und die Chicagoer Terminbörse CME zu je 5 Prozent aneinander beteiligt. Edemir Pinto, Chef von BM&F Bovespa, gab den Medien Anfang dieser Woche zu Protokoll, dass diese Partnerschaft "Raum zum Wachsen habe". Darüber halte sein Unternehmen nach möglichen Geschäftsbeziehungen in Indien und China Ausschau.
Die Alternativen: Bats und Chi-X
Von Europa spricht Edemir Pinto nicht. Zu umkämpft ist der Markt, indem sich seit 2007, seit Inkrafttreten der sogenannten Mifid-Richtlinie der EU, zahlreiche alternative Handelsplattformen breit gemacht haben. Die Chi-X Europe mit Sitz in London und die Bats Exchange mit Sitz im amerikanischen Kansas City sind die nach Handelsvolumen erfolgreichsten unter ihnen.
Beide Plattformen werden als Börsenalternative vor allem von Investmentbanken und Brokern genutzt. Zu den Eigentümern beider Plattformen zählen unter anderen die Deutsche Bank, Credit Suisse, die Citigroup und Merrill Lynch. Addiert bringen es beide Anbieter im europäischen Aktienhandel mittlerweile auf einen Anteil von fast 30 Prozent - mehr als die London Stock Exchange und die Deutsche Börse zusammen.
Doch auch Bats und Chi-X zollen dem Wettbewerb Tribut. Seit Wochen verhandeln sie miteinander über einen Zusammenschluss. Die Entscheidung hätte eigentlich Mitte Februar fallen sollen. Doch sie wurde vertagt. Mit den Ankündigungen der Deutschen Börse AG und der London Stock Exchange haben sich die Rahmenbedingungen wohl zu stark geändert.