8,5 Jahre Haft für Ex-Wölbern-Chef Hoeneß, Middelhoff - der Schulte-Krimi stellt alles in den Schatten

Verurteilt: Wird das Urteil rechtskräftig, dann muss Heinrich Maria Schulte noch einige Jahre in Haft bleiben
Foto: DPAAm frühen Nachmittag des 2. Januar 2012 ruft eine Dame in der Online-Redaktion des manager magazins an, die sich mit 10.000 Euro an dem geschlossenen Immobilienfonds Holland 56 von Wölbern Invest beteiligt hat. Sie habe von Wölbern merkwürdige Post erhalten, sagt die Frau. Sie solle der Bildung eines "Cashpools" zustimmen. Dabei habe das Fondshaus doch noch längst nicht alle Fragen beantwortet, die sie dazu habe.
Noch am selben Nachmittag sendet die Anlegerin eine Kopie des Wölbern-Briefes ans manager magazin. Wenig später wird öffentlich, was inzwischen Heerscharen von Privatanlegern, Beratern, Juristen, Polizisten und Journalisten beschäftigt: Es entwickelt sich der sogenannte Wölbern-Anlageskandal. Der Brief, den das manager magazin an jenem Tag im Januar 2012 erhält, trägt die Unterschrift von Heinrich Maria Schulte.
Knapp 3,5 Jahre später, Montagfrüh, Landgericht Hamburg, Saal 337. Professor Schulte trägt einen grauen Anzug, ein blaues Hemd und eine rote Krawatte. Um die Schultern hat er sich einen cremefarbenen Pullover gelegt, eine Gewohnheit schon aus früherer Zeit, wie jene sagen, die mit ihm zusammengearbeitet haben.
Kurz nach 9.30 Uhr erheben sich die Prozessbeteiligten, die zahlreichen Medienvertreter sowie die rund 30 Zuschauer im Saal. Der vorsitzende Richter Peter Rühle verliest das Urteil: Acht Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe für Heinrich Maria Schulte, wegen gewerbsmäßiger Untreue in 327 Fällen. Exakt 147.312.000 Euro soll der Mediziner unrechtmäßig aus den Fonds von Wölbern Invest entnommen haben. Ein "exorbitant hoher Schaden", wie Richter Peter Rühle gleich zu Beginn der Urteilsbegründung sagt.
Richter ließen Schultes Lebenswerk nicht außer Acht
8,5 Jahre also. Schulte, der bereits mehr als 1,5 Jahre in Untersuchungshaft sitzt, hatte vermutlich mehr erwartet. Dennoch muss er nun auf die Revision durch den Bundesgerichtshof hoffen. Unterliegt er auch dort, dann ist der Fall endgültig abgeschlossen, und zwar in jeder Hinsicht. Aus dem Arzt und Medizinprofessor Heinrich Maria Schulte, dem Mitglied der Kieler und Hamburger Society, ist dann endgültig ein Straftäter geworden.
Auch die Richter konnten nicht außer Acht lassen, dass Schulte einmal ein erfolgreicher Mediziner und Unternehmer war, der vor allem mit dem Aufbau der Hamburger Medivision-Gruppe viele Hundert Arbeitsplätze schuf. Zudem engagierte er sich in der Biotech-Branche, baute beispielsweise gemeinsam mit dem deutschen Nobelpreisträger Manfred Eigen und anderen die Biotec-Firma Evotec auf und brachte sie an die Börse. Ohne diese Vita, so ließ Richter Rühle durchblicken, wäre das Strafmaß wohl noch höher ausgefallen.

So bleibt der gigantische Schaden von 147 Millionen Euro, oder, abzüglich erfolgter Rückzahlungen, rund 115 Millionen. An den Fonds, aus denen Schulte das Geld genommen hat, sind mehr als 30.000 private Anleger beteiligt. Bei diesen Dimensionen könnte der Name Schulte künftig gut und gerne in einem Atemzug genannt werden mit Namen wie Harksen oder Hoeneß, Madoff oder Middelhoff.
Dunkle Gestalten, Romantik und ein Goldraub in der Schweiz - der pralle Wölbern-Krimi
Über Schultes Vorgehen an der Wölbern-Spitze, über seinen mondänen Lebensstil sowie die Art, wie er vor Gericht versuchte, die allzu offensichtlichen Vorwürfe zu entkräften, hat das manager magazin immer wieder detailliert berichtet. Heute steht fest: Es ist bester Stoff für einen Wirtschaftskrimi, mit allem, was dazu gehört.
- Viel, viel Geld: Gemessen am Schadensvolumen spielt Schulte in der "Champions-League". Zum Vergleich: Beim Prozess gegen Uli Hoeneß im vergangenen Jahr vor dem Landgericht München ging es um Steuerschulden von 28,5 Millionen Euro. Der ebenfalls öffentlich sehr aufmerksam verfolgte Fall des Ex-Topmanagers Thomas Middelhoff vor dem Landgericht Essen drehte sich sogar "nur" um Untreuevorwürfe von weniger als einer Million Euro.
- Erbitterte Gegner: Ohne extrem kritische und engagierte Leute unter den Wölbern-Anlegern wären Schultes Aktivitäten kaum in dieser Weise aufgeklärt und geahndet worden. Zu nennen sind insbesondere der umtriebige Netzwerker Christoph Schmidt sowie der frühere Bankchef und Ex-CDU-Bürgerschaftsabgeordnete von Hamburg, Ove Franz. Diese Männer haben den Widerstand organisiert, und in den vergangenen Jahren zusammen mehrere Dutzend Zivilprozesse gegen den Ex-Wölbern-Chef geführt oder begleitet.
- Dunkle Gestalten: Die Anwälte der internationalen Kanzlei Bird & Bird berieten das Wölbern-Management in den entscheidenden Jahren auf das Engste. Doch welche Verantwortung tragen sie? Was wurde hinter verschlossenen Türen im Wölbern-Sitz am Hamburger Grasbrook wirklich besprochen? Auch Richter Rühle ging darauf in seiner Urteilsbegründung nicht im Detail ein. Als Zeugen im Gericht schwiegen die Bird & Bird-Leute beharrlich. Doch das wird sich vielleicht bald ändern: Bird & Bird sieht sich mit einer 130-Millionen-Euro-Schadensersatzklage von Wölbern-Fonds konfrontiert, über die es irgendwann in Zukunft zu verhandeln gilt.
- Internationales Flair: Unvergessen die Räuberpistole, die Professor Schulte im Gerichtssaal am 4. September 2014 erzählte. Irgendwann 2012 sei er mit dem Auto in die Schweiz gefahren, um einen Geschäftspartner zu treffen. Im Kofferraum mit dabei: Goldbarren im Wert von etwa einer Million Euro. Es kommt wie es kommen muss, als Schulte nach einer Rast zum Auto zurückkehrt, traut er seinen Augen nicht, so sagt er: Der Wagen geknackt, das Gold - entwendet! Zeugen gibt es dafür allerdings keine ...
- True Romance: Schultes deutlich jüngere Lebensgefährtin saß an den Prozesstagen stets im Publikum und fieberte mit. Ein Lächeln hier, ein Zwinkern da. Hin und wieder auch, und stets mit einem zugriffsbereiten Justizbeamten in nächster Nähe, ein Küsschen. Tränen flossen regelmäßig.
- Und Action! Dutzende Beamte stürmen die Wölbern Büros in der Hamburger Hafencity, der Chef kommt in Haft: Die Razzia am Montag, den 23. September 2013 ist zweifellos der spektakulärste Teil des Wölbern-Plots. Rund 100 Kisten mit Unterlagen schleppen die Ermittler in ihre Autos, elektronisch werden gigantische Datenmengen gesichert. Das meiste davon dürfte sich bis heute kaum jemand angeschaut haben.
Einer der bemerkenswertesten Aspekte dieses 147-Millionen-Euro-Justizspektakels, bei dem die Fakten nun so klar und eindeutig auf dem Tisch liegen, wie das Urteil sagt, wurde bislang indes kaum beleuchtet: Nachdem die Behörden den Fall nach Anzeigen aus dem Investorenkreis im Jahr 2012 zum ersten Mal geprüft hatten, wollten sie ihn eigentlich schon zu den Akten legen. Dumm nur für den früheren Wölbern-Chef Schulte, dass sich auch ein ehemaliger Hamburger Richter unter seinen Anlegern befand.
Der Jurist im Ruhestand, einst vorsitzender Richter für Handelssachen am Landgericht Hamburg, reichte bei dem Justizapparat, für den er jahrelang tätig gewesen war, eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein - und die Ermittlungen wurden wieder aufgenommen.
Das Ergebnis ist das Urteil gegen Schulte vom heutigen Tage. Es ist ein hübsches Gedankenspiel, was wohl passiert wäre, wenn jener Richter, der die Beschwerde einreichte, sich vor Jahren nicht für ein Investment in einen Wölbern-Fonds entschieden hätte.
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