Selbstanzeigen Fünf Fakten für die Steuerdebatte

FC-Bayern-Präsident Hoeneß: Namensgeber des "Hoeneß-Effekts"
Foto: Marc M¸ller/ picture alliance / dpaHamburg - Die Publizistin Alice Schwarzer, Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz, CDU-Schatzmeister Helmut Linssen - fast täglich kommen neue Prominente mit Steuerskandalen in die Schlagzeilen. Dass Schwarzer mit ihrer Selbstanzeige und 200.000 Euro Nachzahlung plus Zinsen rechtlich aus dem Schneider ist, dass dies FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß nur wegen eines Formfehlers misslang, sorgt für Empörung.
Die Koalition kündigt an, die Möglichkeiten zur Selbstanzeige einzuschränken. Doch neben FDP-Parteivize und Steueranwalt Wolfgang Kubicki ("Wer aus moralischer Empörung auf die Selbstanzeige verzichten will, der wird dazu beitragen, dass der Staat deutlich weniger Geld einnimmt") halten auch SPD-Landesfinanzminister wie Carsten Kühl aus Rheinland-Pfalz ("Wir brauchen volle Kassen, nicht volle Gefängnisse") dagegen. Moralisch fragwürdig, aber fiskalisch effektiv - ist es das?
Eine umfassende Statistik über Selbstanzeigen gibt es nicht. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa haben die Finanzämter 2013 aber durchaus den "Hoeneß-Effekt" registriert: Gut 26.000 Steuerhinterzieher meldeten sich, um einer Anzeige zuvorzukommen, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr (10.760 in 15 der 16 Bundesländer). Allein in Baden-Württemberg waren es 6191.
Rechnet man die Zahlen aus Bayern hoch, wo eine durchschnittliche Selbstanzeige dem Fiskus Mehreinnahmen von knapp 58.000 Euro brachte, ergibt das bundesweit rund 1,5 Milliarden Euro. Das entspricht knapp 1 Prozent der Lohnsteuereinnahmen, einem Drittel der geleisteten Erbschaftsteuer oder 0,2 Prozent des gesamten staatlichen Steueraufkommens. Aber wären diese Einnahmen ohne Selbstanzeige einfach weg?
Strafverfahren bringen kaum zusätzliches Geld

Bundesfinanzhof in München: Fiskalisch bringen die Strafverfahren wenig
Foto: Peter Kneffel/ picture-alliance/ dpaLaut dem baden-württembergischen Finanzministerium wurden im Jahr 2012 allein im Südwesten 11.405 steuerliche Strafverfahren abgeschlossen. Am Bundesfinanzhof, dem höchsten Gericht in Steuersachen, wurden im vergangenen Jahr 3406 Verfahren entschieden.
Die Zahl der insgesamt geführten steuerlichen Strafverfahren muss also viel höher sein als die 15.984, die laut Bundesfinanzministerium aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahnder eingeleitet wurden - was nicht bedeutet, dass ausschließlich die Selbstanzeiger die Lücke füllen. Auch andere staatliche Stellen setzen schließlich Steuerverfahren in Gang: reguläre Finanzämter, Betriebsprüfung, Steuerprüfung, Geldwäscheaufsicht. Darüber gibt es keine Statistik. Das Finanzministerium nutzt seine Zahlen, um sich der Effektivität der Fahnder zu vergewissern.
Von den im gleichen Jahr abgeschlossenen Fällen erhielten 1937 Beschuldigte eine Freiheitsstrafe, der höchste Wert seit 2006. Die verhängten Geldstrafen, Geldbußen (bei reinen Ordnungswidrigkeiten) und Geldbeträge (wenn ein Verfahren ohne Klage eingestellt wird) sind mit 121 Millionen Euro trotz eines steilen Anstiegs vor allem der Geldbußen immer noch verhältnismäßig unbedeutend.
Fiskalisch bringen die reinen Strafverfahren also wenig. Im Vergleich zu den Selbstanzeigen schaffen aber auch die staatlichen Ermittler erkleckliche Beträge an fälligen Steuernachzahlungen heran, sogar mit stark steigender Tendenz: Gut drei Milliarden Euro Mehrsteuern verbuchten die Finanzämter für 2012, fast doppelt so viel wie noch zwei Jahre zuvor. Erlebt Deutschland also eine Offensive der Steuerfahnder?
Steuerfahnder konzentrieren sich auf Umsatzsteuerbetrug

Typische Szene: Erfolg haben Steuerfahnder eher bei Scheinfirmen als bei Millionären
Foto: DPATatsächlich fahren die Ermittler ihren Aufwand eher zurück. Mit der Zahl der Fahndungsprüfungen sinkt auch die Zahl der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren seit Jahren. Dass die Einnahmen dennoch steigen, führt Schäubles Haus zu dem Schluss, "dass die jahrelangen Bestrebungen der Länder, die Steuerfahndungsdienste noch effizienter auszugestalten, Wirkung zeigen".
Das zusätzlich eingetriebene Geld geht nahezu allein auf das Konto der Umsatzsteuer (besser bekannt als Mehrwertsteuer), während Einkommen- und Lohnsteuer in den Fahndungserfolgen der Ermittler an Bedeutung verlieren, die längst abgeschaffte Vermögensteuer sowieso. Das Ministerium verweist auf so genannte Umsatzsteuerkarusselle: Geflechte von über Europa verstreuten Firmen, die sich in fingierten Handelsbeziehungen gegenseitig Vorsteuer in Rechnung stellen, aber in mindestens einem Land nicht als Umsatzsteuer abführen.
Anscheinend sind die dicken Fische eher beim Konsum zu fangen als beim privaten Reichtum - oder die Länder lassen die reichen Steuerpflichtigen bewusst in Ruhe. Die Steuergewerkschaft der Finanzangestellten beklagt vielerorts dürftige Ausstattung und vermutet als Motiv, dass der Länderfinanzausgleich den Anreiz für Mehreinnahmen zerstöre.
Laut Angaben der Grünen kommen in Hamburg auf eine Million Einwohner 52 Steuerfahnder, in Bayern nur 27. Die "Süddeutsche Zeitung" hat aber erhoben, dass auch in Hamburg 2009 nur 4,9 Prozent der Einkommensmillionäre steuerlich geprüft wurden, im Vergleich zu 38,7 Prozent in Sachsen - wo allerdings kaum Millionäre leben. Der Schluss, dass sich die Fahnder von großen Fällen der Einkommensteuerhinterziehung fernhalten, wäre aber verfrüht.
Die Daten-CD als Geheimwaffe mit niedrigstem Aufwand

Live im Fernsehen vorgeführt: Ex-Post-Chef Zumwinkel 2008
Foto: A3730 Federico Gambarini/ dpaJahre vor Hoeneß und Schwarzer gab es schon einmal den Zumwinkel-Effekt: Als der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel vor laufenden Kameras wegen nicht angemeldeter Trusts in Liechtenstein aus seinem Kölner Haus geführt wurde, führte das ebenfalls zu einer Welle von Selbstanzeigen.
Die Fahnder hatten zu einem besonders effizienten Mittel gegriffen, tatsächlich war ihnen das belastende Material sogar ohne eigenes Zutun über den Bundesnachrichtendienst zugespielt worden: eine der ersten Steuerdaten-CDs. Seitdem wurde die Methode mehrfach von den Ländern bewusst kopiert.
Daten über den Erfolg sind aber eher anekdotisch. Nach Schätzung des Bundesfinanzministeriums brachten mehrere im Jahr 2010 gekaufte CDs knapp zwei Milliarden Euro an Mehreinnahmen, vor allem dank der dadurch ausgelösten Selbstanzeigen von 26.400 Steuersündern.
Nordrhein-Westfalen hat folgende Rechnung aufgemacht: Seit 2010 erhielt das Land Erträge von 640 Millionen Euro durch Datenträger, für die es nur 4,5 Millionen bezahlen musste. Die Selbstanzeigen brachten gut die Hälfte des Geldes, der Rest kam durch Verbandsgeldbußen etwa der betroffenen Schweizer Banken, über die CDs ausgelöste Ermittlungsverfahren oder Geldstrafen und Geldauflagen zusammen. Ob diese Schritte für den Staat ein Erfolg sind oder nicht, hängt auch von der Frage ab, wie viel eigentlich bei konsequenter Ermittlung für ihn zu holen wäre.
Fiskus lässt sich jährlich hunderte Milliarden Euro entgehen

Bankenplatz Zürich: Wie viel Schwarzgeld lässt die Weißgeldstrategie noch zu?
Foto: CorbisÜber die Summe der hinterzogenen Steuern kursieren naturgemäß nur inoffizielle Schätzungen. Das internationale Netzwerk Steuergerechtigkeit gibt die jährlichen Verluste für Deutschland mit 215 Milliarden Dollar (159 Milliarden Euro) an, die fünftgrößten hinter den USA, Brasilien, Italien und Russland.
Der Schattenwirtschaftsexperte Friedrich Schneider schätzt, dass 13,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts am Staat vorbei erwirtschaftet werden - rund 360 Milliarden Euro. Würde hierfür die Steuerquote von 23,3 Prozent der legalen Welt gelten, hätte der Fiskus Anspruch auf zusätzliche 84 Milliarden Euro - und das nur bezogen auf inländische Aktivitäten, nicht die Steuerflucht ins Ausland.
Exemplarisch wird besonders gern die Schweiz als Fluchtburg deutschen Gelds genannt. Am häufigsten zitiert wird hierzu eine Studie der zur Baader-Bank gehörenden Helvea von 2010: Demnach waren damals 193,4 Milliarden Franken (nach heutigem Wechselkurs 158 Milliarden Euro) Schwarzgeld deutscher Kunden im Land. Zusammen mit weiteren 87,2 Milliarden Franken, die legal dem Finanzamt gemeldet wurden, wären das 11,2 Prozent der Bankeinlagen privater Haushalte in Deutschland.
Nicht eingerechnet sind Deutsche, die ihren Wohnsitz in der Schweiz genommen haben - wobei aber oftmals ebenfalls Steuerfragen eine große Rolle spielen.
Unklar ist, ob die Zahlen seitdem wegen gestiegener Vermögenswerte gewachsen oder wegen der Angst vor deutschen Ermittlern gesunken sind. Jedenfalls haben die Schweizer Banken Angst bekommen, zumal nach dem Scheitern eines Steuerabkommens mit Deutschland und deutlich härteren Bandagen der USA. Sie haben sich durchweg eine Weißgeldstrategie verordnet und deutschen Kunden die Selbstanzeige empfohlen - solange es sie noch gibt.