Turbulenzen an den Finanzmärkten Aktien und Bonds unter Druck - kommt die Euro-Krise zurück?

Euro in Gefahr: Die Ereignisse in Italien wecken Erinnerungen an die Griechenland-Krise vor einigen Jahren.
Foto: REUTERS
Die Aktienmärkte in Aufregung, der Euro auf Talfahrt, die Anleihen südeuropäischer Staaten unter hohem Druck - an den Finanzmärkten macht momentan vor allem eine Frage die Runde: Kommt die große Euro-Krise zurück, wie sie bereits vor acht Jahren den Kontinent in Atem hielt?
Seinerzeit hieß das Sorgenkind Griechenland. Das unter einem riesigen Schuldenberg leidende Land drohte die Euro-Zone zu verlassen, was für enorme Turbulenzen an den Finanzmärkten sorgte. Erst mithilfe milliardenschwerer Rettungsschirme und anderer geldpolitischer Maßnahmen gelang des der Politik und der Europäischen Zentralbank (EZB), die Lage wieder zu beruhigen.
Dieses Mal heißt das Sorgenkind Italien. Dort sind die Euro-kritischen Kräfte aus den jüngsten Wahlen gestärkt hervorgegangen. Zwei von ihnen, die 5-Sterne-Bewegung sowie die Lega-Nord, wollen sogar eine Regierung bilden. Das ist zwar im ersten Anlauf gescheitert. Angesichts der aktuellen Regierungskrise in Rom erscheinen Neuwahlen womöglich bereits im Juli jedoch nicht ausgeschlossen - dann könnten die Euro-Skeptiker noch stärker abschneiden.
Hinzu kommt Italiens prekäre wirtschaftliche Lage: Italien hat nach Griechenland die höchste Staatsverschuldung in der Euro-Zone, nämlich mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung - erlaubt sind eigentlich nur 60 Prozent.
Nach einer langen Rezession wächst die Wirtschaft erst wieder seit 2015, aber nur schwach. Dieses Jahr werden 1,4 Prozent erwartet. Die Arbeitslosigkeit verharrt mit rund 11 Prozent auf hohem Niveau. Reformen sind in den vergangenen Jahren von der damaligen sozialdemokratischen Regierung zwar teils angegangen worden, aber nicht genug. Viele fühlen sich abgehängt.
Das nutzt Parteien wie der rechten Lega und der Anti-Establishment-Partei 5 Sterne. Sie haben trotz der hohen Schulden Steuersenkungen und ein Grundeinkommen versprochen, das aber kaum finanzierbar ist. Zudem hat sich ihre Anti-Europa-Rhetorik immer weiter verschärft.
Kein Wunder also, dass an den Finanzmärkten Unruhe herrscht. Ihren Höhepunkt erreichten die Turbulenzen bislang am gestrigen Dienstag, als die Renditen italienischer Staatsanleihen erstmals seit Jahren auf mehr als 3 Prozent stiegen. Gleichzeitig brachen in Italien und an weiteren wichtigen Handelsplätzen bis hin zur Wall Street die Aktienkurse ein, wobei vor allem Papiere von Banken und anderen Finanzfirmen verkauft wurden. Der Euro fiel am Dienstag auf den tiefsten Stand seit beinahe einem Jahr.
Bankhaus Metzler sieht EZB in der Pflicht

Am heutigen Mittwoch hat sich die Lage am Finanzmarkt zwar ein wenig beruhigt. Gelöst sind die Regierungsprobleme in Rom jedoch noch lange nicht, geschweige denn, dass das Gespenst einer extrem Euro-kritischen italienischen Regierung vertrieben wäre.
Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, dass bei absehbaren Neuwahlen populistische Kräfte, die die Gemeinschaftswährung ablehnen, in Rom das Ruder übernehmen, scheint zuletzt sogar noch gestiegen zu sein. Einen Teil dazu beigetragen haben dürfte der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger.
Oettinger legte den Italienern in einem Interview nahe, angesichts der Turbulenzen auf den Finanzmärkten beim nächsten Urnengang von einer populistischen Stimmabgabe abzusehen. Für diese unangebrachte Wahlempfehlung hat sich der CSU-Mann zwar inzwischen entschuldigt. Es erscheint dennoch gut möglich, dass solche Einmischungen ausgerechnet aus dem politisch derzeit von vielen Italienern ungeliebten Deutschland bei eventuellen Neuwahlen eine Trotzreaktion hervorrufen.
Das heißt: Die Unruhe und Nervosität in Bezug auf Italien dürfte den Märkten noch ein Weile erhalten bleiben. Das sehen auch viele Experten aus dem Investment- und Finanzgeschäft so. Zum Beispiel beim Bankhaus Metzler in Frankfurt, für das die die Entwicklung in Italien eigenen Angaben zufolge keineswegs überraschend kam.
Bereits in einer Studie im Herbst vergangenen Jahres habe die Bank auf die bevorstehenden Unruhen hingewiesen, schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Wir haben damals schon gesagt, es wird Wahlen geben und damit verbunden politische Verwerfungen", zitiert die Zeitung Bankchef Emmerich Müller. "Wie immer reagieren die Märkte mit Volatilität."
Dass die aktuelle Krise an den Finanzmärkten ein Ausmaß annehmen wird wie im Zusammenhang mit Griechenland vor einigen Jahren, glaubt man bei der Privatbank zwar nicht. "Sie kann aber dazu führen, dass der Euro in schweres Fahrwasser gerät", so Michael Klaus, ebenfalls Partner der Bank, laut "FAZ".
Einen "großen Vertrauensverlust" erwartet Klaus demnach vor allem, falls die Europäische Zentralbank dazu übergehen sollte, bei ihren Anleihekäufen zur Stützung Italiens die selbstgesteckten Grenzen zu überschreiten.
Damit hat der Banker einen entscheidenden Player in der Italien-Krise genannt: die EZB. Die Frage, wie sich die Zentralbank verhalten wird, dürfte entscheidend dafür sein, wie weit sich die Turbulenzen noch ausweiten können.
Experten sagen, wie die EZB reagieren könnte

Einen Hinweis darauf gab in dieser Woche EZB-Vizepräsident Vitor Constancio. In einem Interview mit dem SPIEGEL warnte Constancio Italien vor einer neuen Staatsschuldenkrise. "Als 2012 Finanzmärkte das Land attackiert haben, hat das gezeigt: Sie können in ihrer Wahrnehmung sprunghaft sein und die Risikoeinschätzung für einen Schuldner abrupt und schnell ändern, manchmal mit gravierenden Folgen", sagte der scheidende Vize der EZB. "Wir werden sehen, was nun passiert."
Ob die Zentralbank indes im Notfall eingreifen und Italien vor einer Zahlungsunfähigkeit retten würde, ließ Constancio dem Bericht zufolge offen. Jede Intervention müsse "der Erfüllung unseres Mandats dienen" und "bestimmten Bedingungen" folgen, sagte er lediglich. "Italien kennt die Regeln. Sie sollten diese vielleicht noch einmal genau lesen."
Einerseits ist klar, dass ein Zentralbanker in der aktuell schwierigen und unklaren Lage kaum deutlicher werden kann. Andererseits liegt aber auch auf der Hand, dass der EZB-Mann mit einer solchen Äußerung nicht zur Beruhigung der Märkte beitragen konnte.
Andere Marktteilnehmer werden da schon deutlicher. Das Investmenthaus Nomura etwa korrigierte angesichts der Finanzmarktturbulenzen der vergangenen Tage am Mittwoch seinen Wirtschaftsausblick für die komplette Eurozone. Anstelle eines Wachstums von 2,4 Prozent werde im Jahr 2018 nun nur noch ein Plus von 2,1 Prozent erwartet, so das Unternehmen. Für 2019 nahm Nomura zugleich die Prognose von 2,0 Prozent auf 1,8 Prozent zurück.
Vor allem aber macht das Finanzhaus eine Vorhersage zur künftigen EZB-Politik: Die Zentralbank werde ihre Anleihekäufe ab Oktober binnen einer Frist von drei Monaten zurückfahren, heißt es. Bislang war Nomura von einer Frist von zwei Monaten ausgegangen, die sich die EZB für dieses Vorhaben gebe. Die erste Zinserhöhung seitens der Zentralbanker erwarten die Nomura-Leute angesichts der Italien-Krise erst im September 2019, anstatt wie bisher vermutet, im März kommenden Jahres.
Sprich: Die EZB dürfte auf die jüngsten Ereignisse reagieren - aber, zumindest nach Erwartung der Nomura-Experten, mit eher moderaten Schritten. Statements, die in den vergangenen Tagen aus dem Markt zu hören waren, klangen da schon deutlich dramatischer. "Wir sehen einige unglaubliche Preisbewegungen bei italienischen Anleihen", sagte am Dienstag etwa Analyst Neil Wilson. "Der Markt bewegt sich mit einer Geschwindigkeit, die man seit den schwersten Zeiten der Euro-Krise nicht gesehen hat." Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners sprach gar von "ersten Spuren von Panik", vor allem am Anleihenmarkt.
Zudem machten Äußerungen des bekannten Starinvestors und Hedgefonds-Milliardärs George Soros die Runde. Soros hielt eine Rede auf einem Treffen der Expertenkommission "European Council on Foreign Relations" in Paris - und dabei malte er ein dramatisches Bild von der Zukunft.
Konkret warnte der Altmeister vor einer möglichen neuen, "großen" Finanzkrise, und zwar nicht nur bezogen auf die Euro-Zone, sondern auf die globalen Finanzmärkte. Als Begründung führte Soros zwar vor allem einen möglichen weiteren Anstieg des US-Dollars sowie eine Kapitalflucht aus den Schwellenländern an. Zudem nannte er die Beendigung des Atomabkommens mit dem Iran seitens der USA sowie die Spannungen zwischen der Europäischen Union und den USA etwa beim Thema Handel als Negativfaktoren.
Und Italien? Die Entwicklung in Rom nannte Soros' zwar Medienberichten zufolge nicht explizit in seinem Vortrag. In seine Argumentation passt sie allerdings wunderbar hinein.