
Klagende Anleger Geschlossene Fonds werden für Banken zum Milliardenrisiko
Gerda W.* war schon 75 Jahre alt, als ihre Bank ihr vor einigen Jahren für 100.000 Euro plus Agio Anteile an einem geschlossenen Fonds verkaufte. Dass sich solche Investments wegen des Verlustrisikos kaum für die gewünschte Altersvorsorge eignen, teilte der Berater der langjährigen Kundin nicht mit. Ebenso erwähnte er nicht, dass die Anlage voraussichtlich erst enden würde, wenn die Dame jenseits der 90 wäre.
Vor allem aber klärte der Banker nicht darüber auf, welche Provisionen bei dem Geschäft vom Emissionshaus des Fonds an das Geldinstitut flossen - und das war wohl letztlich das Glück der Seniorin. Denn mit Verweis darauf löste das Landgericht Berlin die Beteiligung jüngst wieder auf und sprach der Anlegerin vollen Schadensersatz zu. Ihre 100.000 Euro kann Gerda W. nun woanders anlegen.
Die Anlegerin steht mit diesem juristischen Erfolg nicht allein. Im Gegenteil: Der Student, dessen verstorbener Vater einst 35.000 Euro in einen Lebensversicherungs-Policenfonds steckte, der Berliner Hochschullehrer, der mit einem 65.000 Euro schweren Immobilienfondsengagement nicht glücklich wird, der Ex-Beamte, dem im Alter von 72 Jahren ein Schiffsfonds mit Laufzeit bis 2026 verkauft wurde, der Geschäftsmann, der jeweils 50.000 Euro in zwei später geplatzte Filmfonds investierte, und viele andere - Fälle, in denen es privaten Investoren gelang, sich auf dem Rechtsweg von ihren Beteiligungen zu trennen, gibt es in letzter Zeit zuhauf.
Und das ist kein Zufall. Zwar gelten geschlossene Fonds gemeinhin als Vehikel, aus denen ein Ausstieg vor Ende der geplanten Laufzeit besonders schwierig ist. Doch Gerichte machen es unzufriedenen Anlegern seit einigen Jahren so leicht wie noch nie, ihre Investments wieder loszuwerden. Egal ob Immobilien-, Schiffs-, Film- oder andere geschlossene Beteiligungsmodelle - eine Klage auf Schadensersatz scheint zu genügen, und schon erhält der Investor seinen Einsatz zurück.
Dann steht er beinahe wieder so da, als hätte er den Zeichnungsschein nie unterschrieben.
Bequeme Flucht des Anlegers durch den Gerichtssaal
Eine Voraussetzung allerdings sollte erfüllt sein für die bequeme Flucht durch den Gerichtssaal: Der Anleger muss seinen Fondsanteil von einer Bank erworben haben. Denn die Argumente, die die Anwälte der Fondsinhaber in den Prozessen regelmäßig vorbringen, zielen auf einen Fehler ab, der nach Meinung der Richter ausschließlich Geldinstituten vorgeworfen werden kann.
Diese haben ihre Kunden nämlich offenbar zum Großteil jahrelang beim Verkauf geschlossener Fonds nicht richtig beraten. Genauer: Sie klärten nicht korrekt über die Provisionen auf, die sie von den Emissionshäusern erhielten. Auch in den genannten Beispielen war das der Grund, der die Richter zu ihren anlegerfreundlichen Urteilen bewog.
Dabei ließen sie sich von einem Grundsatzbeschluss leiten, den der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang 2009 gefällt hat. Ein Zeichner des Medienfonds CFB 140 der Commerzbank-Tochter CFB hatte seinerzeit gegen die Commerzbank geklagt, von der er die Beteiligung erworben hatte. In zwei Instanzen war der Investor bereits gescheitert. Die obersten Richter in Karlsruhe jedoch stellten sich überraschend auf seine Seite - und verwiesen dabei explizit auf die Aufklärungspflicht der Bank über Rückvergütungen - vulgo: Provisionen - auch bei geschlossenen Fonds (Az. XI ZR 510/07).
Die Folge war eine wahre Prozessflut. Frustrierte Architekten, enttäuschte Zahnärzte, unglückliche Unternehmer - zu Tausenden drängen die Investoren seither in die Gerichtssäle. Der Grund für den Unmut sind zwar meist die schlechte Fondsperformance oder steuerliche Probleme. Spätestens vom Anwalt erfahren die Anleger jedoch in der Regel, dass finanzielle Verluste ein Teil des Anlagerisikos sind. Für einen Schadensersatz reichen sie kaum aus.
Also muss ein anderes Argument her - und das ist mit der mangelnden Aufklärung über Rückvergütungen, sogenannte Kick-Backs, gefunden. Mehrere Anlegeranwälte berichten gegenüber manager magazin online von Hunderten Urteilen, die seit 2009 auf diese Weise im Sinne der Fondsinvestoren erfochten wurden.
*Name geändert
Schon mehrere tausend Urteile gegen Banken
Allein 1500 bis 2000 Erfolge verbuchte eigenen Angaben zufolge beispielsweise die Berliner Kanzlei Kälberer & Tittel, die auch den BGH-Grundsatzentscheid von 2009 erstritten hat. Dietmar Kälberer konnte sein Glück zeitweise kaum fassen. "Es war eine ganz neue Erfahrung in Dutzenden Gerichtsverhandlungen relativ leichtes Spiel zu haben", sagt der erfahrene Anlegeranwalt. "Oftmals saß ich im Termin und musste, außer den Antrag zu stellen, schon gar nichts mehr sagen."
Ähnliches berichtet Anwalt Jens Graf aus Düsseldorf. "Allein im Zusammenhang mit den VIP-Medienfonds, die vor einigen Jahren schwächelten, gab es an die Tausend Urteile gegen die Commerzbank, die diese Fonds vertrieben hat", sagt er. Bis heute hat Graf nur wenige Kick-Back-Prozesse endgültig verloren, sagt er. Weil die Sache für die Mandanten so erfolgreich lief, habe er zeitweise kaum noch andere Fälle aus dem Kapitalanlagebereich angenommen.
Zwar gibt es auch einschränkende Stimmen. "Eine Klage nur auf Kick-Back zu stützen, wäre unseres Erachten fahrlässig", sagt etwa Rechtsanwalt Klaus Rotter aus Grünwald bei München. "Das gilt schon deshalb, weil die Gegenseite bei dem zum Kick-Back-Angriff gehörenden Vortrag 'bei Kenntnis von den Provisionen hätte der Anleger die Anlage nicht erworben' stets die Kausalität bestreiten wird."
Kick-Back-Argument allein reicht nicht
Auch Anwalt Jan-Henning Ahrens von der Bremer Kanzlei KWAG betont diesen kritischen Punkt. Nicht zuletzt deshalb verlassen sich die von manager magazin online befragten Juristen zum Großteil nicht ausschließlich auf das Kick-Back-Argument. Stattdessen werden weitere mögliche Pflichtverletzungen der Berater gerügt, mit denen die Richter sich dann ebenfalls auseinandersetzen müssen.
Der Großteil der Entscheidungen in der jüngeren Vergangenheit allerdings, da stimmt auch Anwalt Ahrens zu, beruht auf dem BGH-Grundsatzspruch zum Thema Rückvergütungen von Anfang 2009. Auch die KWAG erreichte laut Ahrens "hunderte rechtskräftige Urteile". Zudem spricht Ahrens von "hunderten Vergleichen", die "nicht zuletzt auch auf der Basis der Nichtaufklärung über Rückvergütungen mit Banken geschlossen" wurden.
Erfolgreiche Anwälte also, und zufriedene Anleger, auf der einen Seite. Auf der anderen dagegen stehen die Banken, die angesichts der Rechtssprechung inzwischen ziemlich frustriert sein dürften. Allein die bisherigen Niederlagen vor Gericht haben bei den Instituten schätzungsweise mit einem hohen zwei-, wenn nicht dreistelligen Millionen-Euro-Betrag zu Buche geschlagen.
Banken machen Milliardengeschäft mit geschlossenen Fonds
Betroffen davon ist wohl vor allem die Commerzbank, die laut Beobachtern bislang die mit Abstand meisten Kick-Back-Prozesse verloren hat. Zur genauen Zahl der Niederlagen gab die Bank auf Anfrage keine Auskunft. Daneben befanden sich allerdings auch zahllose andere Geldhäuser schon auf der Verliererseite, inklusive der Deutschen Bank, der HypoVereinsbank und weiterer namhafter Adressen. Auf eine Bitte um ein Gespräch über das Thema ging aber keines der angefragten Institute ein.
Das Problem der Banken ist indes nicht nur die unerfreuliche Vergangenheit. Vielmehr dürfte ihnen auch künftig noch einiges an Ungemach bevorstehen. Denn bislang wurde womöglich nur ein Bruchteil der Problemfälle abgearbeitet. Anlegeranwälte berichten von einem nach wie vor kaum zu bewältigenden Ansturm klagewilliger Investoren. Für die Bankbranche dürfte das ein gewaltiges Risiko mit sich bringen.
Das belegen Berechnungen von manager magazin online auf Basis von Zahlen der Analysegesellschaft Feri (siehe Kasten und Grafik links). Demnach haben Banken, Sparkassen und andere Geldinstitute hierzulande seit Ende der 90er Jahre bei Anlegern Eigenkapital in Höhe von insgesamt beinahe 80 Milliarden Euro für geschlossene Fonds eingesammelt. Das ist mehr als die Hälfte des insgesamt, also auch über freie Berater und andere Vertriebskanäle, in dieser Zeit gezeichneten Eigenkapitals in Höhe von etwa 144 Milliarden Euro.
Wer weiß, dass in der Branche Provisionen von 10 Prozent und mehr üblich sind, kann sich leicht ausrechnen, was die Banken an dem Geschäft verdient haben. Allein von 2004 bis heute, in der Zeit also, aus der die Ansprüche der Anleger in der Regel noch nicht verjährt sind, flossen laut Feri-Daten von insgesamt knapp 81 Milliarden Euro etwa 47,4 Milliarden Euro über den Bankschalter in geschlossene Immobilien-, Schiffs- und andere Fonds.
Milliardenschweres Prozessrisiko für die Banken
Im Klartext heißt das: In den Büchern der Banken schlummert offenbar noch ein milliardenschweres Prozessrisiko. Selbst wenn, wie zu erwarten, lediglich ein Bruchteil der Anleger den Gang zum Kadi antreten wird, steht für die Geldbranche wohl einiges auf dem Spiel.
Und an unzufriedenen Investoren geschlossener Fonds dürfte es auch künftig kaum mangeln: Das Drama beim Fondhaus Wölbern Invest etwa erreichte erst kürzlich mit einer Großrazzia nebst Verhaftung des Firmenchefs seinen vorläufigen Höhepunkt. Die seit Jahren anhaltende Marktkrise hat zudem bereits hunderte Schiffsfonds in die Pleite getrieben, zahllose weitere Beteiligungen dümpeln in Schieflage vor sich hin. Und auch die ehemals von Finanzberatern gepriesenen Lebensversicherungs-Policenfonds bleiben zum größten Teil weit hinter den Prognosen zurück.
Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen - und dürfte so manchen Banker nervös machen. Doch es gibt auch gute Nachrichten für die Geldhäuser. Denn der Wind in den Gerichtssälen scheint allmählich zu drehen. Offenbar zeigen sich viele Richter zunehmend genervt von immer mehr Anlegeranwälten, die auf den Zug aufspringen und mit dem Kick-Back-Ticket auf allzu leichte Prozesserfolge hoffen. Mehrere Anwälte berichten gegenüber manager magazin online, dass es seit einiger Zeit schwieriger wird, solche Beraterklagen zum Erfolg zu führen.
"Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen mit dem Argument nicht offengelegter Rückvergütungen gestaltet sich zunehmend schwieriger", sagt etwa der Hamburger Anwalt Peter Hahn. Und auch der Berliner Fachanwalt Wolfgang Schirp von der Kanzlei Schirp, Schmidt-Morsbach, Neusel gibt sich skeptisch. "Ich meine, aus verschiedenen Signalen ableiten zu können, dass die Gerichte diese 'Büchse der Pandora' perspektivisch gerne schließen möchten", so Schirp. Seiner Ansicht nach wird es daher künftig noch wichtiger werden, konkrete inhaltliche Mängel der Anlageprodukte zu beanstanden.
Neues BGH-Urteil setzt Anleger unter Zeitdruck
Nach Angaben von Anwalt Kälberer von Kälberer & Tittel steht das Ende des Kick-Back-Booms sogar schon unmittelbar bevor. Denn aufgrund einer jüngeren BGH-Entscheidung, so Kälberer, tickt bereits für tausende Anleger die Verjährungsuhr. Handeln diese Investoren nicht zeitnah, sagt der Anwalt, dann dürften ihre möglichen Ansprüche in Kürze verfallen.
Der Grund dafür: Im Februar 2013 fällte das oberste Gericht laut Kälberer erneut ein wichtiges Urteil zum Thema Kick-Backs (Az. XI ZR 498/11). Demnach beginnt die dreijährige Verjährungsfrist für solche Schadensersatzklagen zum Ende des Jahres, in dem der Anleger grundsätzlich erfährt, dass Rückvergütungen fließen.
Viele Banken stellten jedoch nach dem 2009er BGH-Entscheid ihre Beratungspraxis um, sagt der Anwalt. Spätestens ab 2010 klärten sie ihre Kunden über die Provisionen auf. "Die neue BGH-Rechtsprechung wird dazu führen, dass die Gerichte bei Beratungsgesprächen mit Hinweis auf Rückvergütungen, die 2010 oder später stattfanden, nicht nur die dreijährige Verjährungsfrist für die in dem Moment getätigte neue Kapitalanlage, sondern auch für frühere, annehmen werden", sagt der Jurist.
Sollte Kälberer Recht behalten, dann würde der neue BGH-Spruch allerdings nicht nur viele Anleger unter Zeitdruck setzen. Auch für deren Anwälte bräche womöglich schon bald eine neue Zeit an. "In Zukunft", so sagt ein Beobachter des Geschehens zu manager magazin online, "müssen die Anwälte wieder richtig arbeiten."
Fotostrecke: Wo geschlossene Fonds ihre Milliarden investieren