Börsenprofi Thomas Grüner zeigt Britische Aktien und Anleihen trotz Brexit im Vorteil

Britische Aktien - Brexit als Turbo
Brexit! Das Ergebnis des britischen Referendums hat die Aktienmärkte kurzfristig in helle Aufregung versetzt. Der Blick auf die repräsentativen britischen Aktienindizes FTSE 100 und FTSE 250 zeigt dabei ein zweigeteiltes Bild. Seit sich die britische Bevölkerung am 24. Juni für den EU-Austritt entschlossen hat, gehört der FTSE 100 zu den Aktienindizes mit der besten Performance in diesem Zeitraum - deutlich stärker als der breiter gefasste FTSE 250.

Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
Die Schwächephase des Britischen Pfunds spielt bei diesem Renditeunterschied eine entscheidende Rolle. Der FTSE 100 vereint die größten und umsatzstärksten Unternehmen, die an der London Stock Exchange gelistet sind. Dabei handelt es sich in der Regel um international aufgestellte und exportstarke Unternehmen, die durch das schwache Pfund erheblichen Rückenwind erfahren.
Im FTSE 250 tummeln sich dagegen Unternehmen, die in diesem Ranking Platz 101 bis 350 belegen - nicht mehr die global aufgestellten Blue Chips der ersten Reihe, sondern mittelgroße Unternehmen mit teilweise starkem Bezug zum Heimatmarkt. Hier ruft das schwache Pfund eher Inflationsängste und Sorgen um das Konsumentenverhalten hervor.
Aktien weltweit - Briten im Vorteil

Unmittelbar nach dem Brexit gilt also für britische Unternehmen: Eine globale Aufstellung ist Trumpf. Das Britische Pfund macht es möglich. Gleiches gilt natürlich auch für britische Anleger. Nicht nur, dass globale Investmentchancen wahrgenommen werden können und nützliche Diversifikationseffekte für das Portfolio entstehen: Auch die vielgescholtene "schwache Währung" kann in der aktuellen Phase zum eigenen Vorteil genutzt werden.
Im Anschluss an das Referendum haben international orientierte Aktienanleger einen kräftigen Renditebonus kassiert. Am Beispiel des global aufgestellten MSCI World Index wird deutlich, dass die Entwicklung des Renditepaars GBP/USD britischen Aktienkäufern eine deutlich bessere Rendite beschert, als es der in US-Dollar gelistete Index selbst vermuten lässt.
Staatsanleihen - britische Papiere rentabler als deutsche

Der Brexit verleiht auch den Anleihemärkten neuen Schwung. Nach dem Referendum hatte die Rating-Agentur Standard & Poor's Großbritannien umgehend die Bestnote im Bonitäts-Ranking entzogen. Die britische Notenbank hat zudem angekündigt, die Stabilität mit allen Mitteln zu wahren. Mit sofortiger Wirkung wurden die Kapitalregeln für britische Banken aufgeweicht, eine geldpolitische Lockerung und Leitzinssenkungen in Aussicht gestellt.
In der Folge fällt die Verzinsung britischer Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit unter die Marke von einem Prozent. Allerdings erfreuen sich britische Anleihen trotz niedrigerer Verzinsung großer Beliebtheit bei Anlegern: Die erste Anleihe-Emission nach dem Brexit-Votum ist überzeichnet. Denn in der aktuellen Zinssituation kann eben auch "wenig" sehr viel bedeuten. Zum Vergleich: Deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit befinden sich im negativen Bereich.
Europäische Aktien - langfristig kaum Kursgewinne

Zu den großen Brexit-Verlierern unter den Aktienindizes gehört auch der europäische Leitindex EuroStoxx 50. Nicht schon wieder! Als Kursindex von Haus aus ohne Dividenden ausgestattet, führt der EuroStoxx 50 im langfristigen Bild einen ermüdenden und größtenteils erfolglosen Kampf um die nachhaltige Rendite. Das im Jahr 2000 erreichte Allzeithoch scheint Lichtjahre entfernt zu sein.
Während US-Indizes wie der S&P 500 nahe an ihren Rekordständen verweilen und sich Anleger in optimistischeren Phasen Sorgen um überdurchschnittliche KGVs machen, ist die rein europäische Sichtweise eine ganz andere. Die Überlegung, ob der laufende Bullenmarkt nicht bereits zu hoch und zu lange gelaufen ist, stellt sich nicht. Eher, ob in der Wahrnehmung der Anleger in den letzten sieben Jahren überhaupt so etwas wie "Bullenmarkt" existierte.
Ein Trostpflaster ist die üppige Dividendenrendite, die im Kursindex nicht abgebildet wird. Zum heutigen Kurs zahlt mehr als die Hälfte der im EuroStoxx befindlichen Unternehmen eine Dividendenrendite von über 4 Prozent. Immer noch 19 Werte zahlen über 5 Prozent, in Einzelfällen sogar noch deutlich mehr.
Österreichische Aktien - Anleger sollten auch im Ausland schauen

Der österreichische Leitindex ATX hat ähnliche Probleme. Ebenso wie der EuroStoxx 50 wird er als Kursindex ohne Dividenden dargestellt, und musste in den vergangenen Jahren zahlreiche Rückschläge hinnehmen. Auch nach sieben Jahren im globalen Bullenmarkt dürften die Käufer österreichischer Aktien weitestgehend frei von Höhenangst sein. Von der Aufbruchsstimmung, die den ATX Mitte der 2000er Jahre in ungeahnte Höhen getrieben hat, ist schon längst nichts mehr übrig.
Global ist Trumpf - auch für unsere österreichischen Nachbarn war und ist es im laufenden Bullenmarkt ratsam, von weltweit auftretenden Investmentchancen Gebrauch zu machen.