
EZB in Frankfurt: Sobald die Zentralbanken die Zinsen erhöhen, drohen am Anleihemarkt Verluste
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Georg Thilenius ist geschäftsführender Gesellschafter der bankunabhängigen Vermögensverwal-tungsgesellschaft Dr. Thilenius Management GmbH in Stuttgart. Das Unternehmen unterliegt der Kontrolle der BaFin.
Es gibt viele Anzeichen dafür, dass Anleihen stark überbewertet sind, besonders bei längeren Laufzeiten. Ausgehend von den USA nehmen wir an, dass trotz des Austritts Englands aus der EU die wirtschaftlichen Daten in den nächsten Monaten etwas besser aussehen und Zinsen steigen werden. In diesem Fall würden Anleger erhebliche Kapitalverluste erleiden.
Viele Privatanleger glauben, dass Anleihen eine sichere Anlage seien. Wenn Anleger jedoch erleben, dass die für 100 Prozent gekaufte Anleihe plötzlich im Preis auf 90 Prozent oder 80 Prozent fällt, kann dies eine Vertrauenskrise auslösen und zu weitreichenden Verkäufen führen.
Die Rendite für 10jährige Bundesanleihen liegt jetzt bei 0 Prozent. Schweizerische Staatsanleihen liegen bei minus 0,45 Prozent, englische Staatsanleihen über 10 Jahre bringen 1,23 Prozent, was auch ein rekordniedriger Zinssatz ist. Staatsanleihen in anderen Ländern wie USA, Japan und Australien sind an ihren tiefsten Punkten oder in der Nähe davon. Die 10jahresrendite amerikanischer Staatsanleihen ist kürzlich auf ein Vierjahrestief von 1,52 Prozent gefallen. 9 von insgesamt 14 westlichen und japanischen Staatsanleihen haben negative Renditen bis zur Laufzeiten von 7 Jahren.
Nur 3, USA, Spanien und Italien, bieten mehr als 1 Prozent Rendite für 10jährige Anleihen. Die Schweiz ist bis zu Laufzeiten von 20 Jahren im negativen Bereich.
Dieser außerordentliche Rückgang von Anleiherenditen rings um die Welt, und sogar in USA, ist ein Signal mangelnden Vertrauens in die Weltwirtschaft. Ähnlich sieht es bei Unternehmensanleihen aus. In den ersten 5 Monaten 2016 wurden 226 Milliarden Unternehmensanleihen emittiert, in den Jahren 2014 und 2015 war die durchschnittliche Emission ungefähr 120 Milliarden Dollar im ganzen Jahr.
Viele Unternehmen nutzen also die niedrigen Zinsen. Unilever hat eine Anleihe für 6 Jahre mit einem Coupon von 0 Prozent und einer Rendite von 0,08 Prozent herausgegeben. Sanofi und Allianz haben Anleihen mit 0 Prozent Verzinsung verkaufen können. Ein Drittel der Anleihen mit Investment Grade Rating hatte Coupons unter 1 Prozent in den letzten Monaten seit März.
Auf die Inflationsrate kommt es an
Damit dürfte dann der Boden erreicht sein. Hier steigt das Risiko beträchtlich an, dass bei einer Rückkehr der von allen so sehr erwünschten Inflation die Zinsen steigen und die Preise der Anleihen vor allem bei längeren Laufzeiten stark sinken werden. Wann genau die Zinswende eintreten wird, kann niemand voraussehen.
Zu einer etwas genaueren Messung der Inflation wird im allgemeinen die Kerninflationsrate herangezogen. Dies ist die Inflation ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Nahrungsmittelpreise. Die Kernrate liegt inzwischen in fast allen Industrieländern deutlich über der Gesamtrate der Inflation. Diese Gesamtrate wurde in den letzten 1,5 Jahren vom fallenden Ölpreis nach unten gezogen.
Der Ölpreis ist jedoch vom Tief im Januar bis heute fast verdoppelt. Um weiterhin den gleichen desinflationären Effekt zu haben, müsste der Ölpreis aber auf Werte zwischen 12 und 15 Dollar fallen. Falls der Ölpreis ungefähr dort bleibt, wo er jetzt ist, also in der Nähe von 50 Dollar, dürfte die Inflation, deren Kernrate in USA jetzt schon bei etwa 2 Prozent liegt, zum Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahres in die Nähe von 3 Prozent steigen.
Dann wird es auch mit der Zeit der niedrigen Zinsen ziemlich schnell vorbei sein. Die offiziellen Verlautbarungen der Notenbanken liegen hier hinter der Zeit zurück. Denn die Notenbanken sprechen immer davon, Deflation zu vermeiden. Von einer Deflation kann aber um die Mitte des Jahres 2016 bestimmt nicht mehr die Rede sein, wenn man sich die Kernraten der Inflation ansieht.
Anleger sind aus unserer Sicht jedoch gut beraten, die Laufzeiten stark zu verkürzen und sich auf Papiere mit 3, längstens 5 Jahre zu konzentrieren, um größere Buchverluste zu vermeiden.