Carlsen Informations-Sperre als Marketingstrategie
Hamburg - Buchstäblich über Nacht kommt "Harry Potter und der Feuerkelch" über die Leser. Ab Sonnabend darf der Roman der britischen Schriftstellerin Joanne Kathleen Rowling in Deutschland verkauft werden. Der Buchhandel brennt auf das Massengeschäft und bringt seine heiße Ware nicht erst zu den gewöhnlichen Ladenöffnungszeiten an die Leser.
Er lädt zu privaten Partys, um das Ladenschlussgesetz zu umgehen. Eine Minute nach Mitternacht sollen dann die Kassen klingeln. Etwa hinter den historischen Mauern der Zitadelle Spandau, wo die Internet-Buchhandlung amazon.de ein Buffet aufbaut.
Strafen für vorzeitigen Verkauf
Kulturkaufhaus Dussmann hat eine Lesung mit dem deutschen Übersetzer der Rowling-Romane, Klaus Fritz, angekündigt. In Berlin und in München veranstaltet die Buchhandlung Hugendubel Rätselraten.
In vielen Orten haben die Behörden Sondergenehmigungen erteilt, damit der Buchverkauf bereits in der Nacht starten kann. Erst ab Mitternacht darf der neue Band verkauft werden, andernfalls droht dem Händler eine Strafe von 25 Mark pro Exemplar.
Hinter dieser Auflage um das mit Spannung erwartete Buch steckte die Autorin. Die Britin wollte angeblich, dass "möglichst viele Kinder den neuen Potter gleichzeitig entdecken können".
Gleichzeitig heizte die 35-Jährige die Gerüchteküche an, indem sie den Tod einer Romanfigur ankündigte und rührend zu Protokoll gab: "Ich habe heftig geweint, während ich schrieb, aber es musste sein." Die perfekte Marketingstrategie.
Angst vor Buchraub
Brav spielten ihre Untergebenen mit. Der deutsche Carlsen-Verlag legte dem Übersetzer der 768 Seiten, Klaus Fritz, ein Schweigegelübde auf. Carlsen-Sprecherin Cornelia Berger durfte aus Angst vor einem möglichen Buchraub die Routen der 120 Lastwagen nicht verraten: "Die Transporter könnten überfallen werden."
Der in Hamburg ansässige Kinderbuchverlag mit seinen 55 Mitarbeiter stieß bei dem Millionenprojekt hart an seine Belastungsgrenzen. "Wir druckten schon in sechs Druckereien, in Schweden, Finnland, Österreich. Aber das reichte immer noch nicht", sagte Carlsen-Chef Klaus Humann im Spiegel-reporter.
Druck kommt von allen Seiten. 10.000 deutschen Verkaufsstellen warten ungeduldig auf die magische Ware. Carlsen war bisher der siebtgrößte deutsche Kinderbuchverlag. Seit Erscheinen des ersten Potter-Romans 1998 ist er gemessen am Umsatz auf einmal der größte. Von den ersten beiden Bänden verkauft Carlsen inzwischen 40.000 bis 50.000 Exemplare pro Tag. Der Vertrieb war lange damit beschäftigt, die Buchhändler in ihren Vorbestellungen zu drücken.
Gedanken um rote Zahlen muss sich der 1953 gegründete Verlag also nicht mehr machen. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 27 Millionen Mark. In diesem Jahr wird sich die Zahl gewiss verdoppeln, möglicherweise sogar vervierfachen.