Gründer "Das Drumherum ist verzichtbar"
mm.de:
Herr Gottschlich, sehnen Sie sich nicht manchmal die Annehmlichkeiten Ihres ehemaligen Jobs bei Roland Berger zurück - die feinen Dienstreisen, das Image, die üppige Bezahlung?
Hendrik Gottschlich: Das Drumherum ist verzichtbar, wenn man von einer Aufgabe begeistert ist. Ich fliege jetzt Economy und finde das gut so. Ich fahre keinen Mercedes CLK mehr - dafür habe ich mir einen froschgrünen Smart gekauft, auf dem das Logo von "myParadise.de" prangt. Darauf bin ich stolz. Für mich stellt sich die Frage einer Rückkehr-Option nicht.
mm.de: Sehen Sie generell den Trend, dass ehemalige Top-Berater, die sich in die "Neue Wirtschaft" abgesetzt haben, zurückkehren? Es muss frustrierend sein, jeden Tag 16 Stunden arbeiten zu müssen - ohne Aussicht darauf, jemals in die schwarzen Zahlen zu kommen.
Gottschlich: Mir ist noch kein konkreter Fall eines Kollegen bekannt, der zu seinem Ex-Arbeitgeber zurückgekehrt ist. Ich habe lediglich von derartigen Fällen gehört, beispielsweise bei Andersen Consulting in den USA. Jeder muss sehen, wo seine Bestimmung liegt.
mm.de: Was ist so reizvoll daran, sich selbst auszubeuten?
Gottschlich: Ich würde nicht von Selbstausbeutung sprechen. Ich bin nach wie vor froh, den Schritt in die Selbstständigkeit gemacht zu haben. Ich kann nun Visionen konkret umsetzen. Die Arbeit mit einem "eigenen" Team macht sehr großen Spaß und bedeutet eine ganz eigene, neue Verantwortung. Es wäre unerträglich für mich geworden, all die Unternehmertypen zu beobachten und selbst nur als Berater am Rande zu stehen. Ich habe immer von einem eigenen Unternehmen geträumt - und zwar ernsthaft.
mm.de: Hat Ihr Engagement auch schon zu monetären Ergebnissen geführt? Sie betreiben einen Shop für Heim- und Garten-Artikel, von denen es etliche in Deutschland gibt. Experten räumen Ihnen nur geringe Chancen ein.
Gottschlich: Widerspruch. "myParadise.de" ist nicht der x-te Internetshop nach dem traditionellen Strickmuster. Im Home- and Garden-Bereich gibt es mit vergleichbarer Positionierung nicht einen direkten Wettbewerber. Schauen Sie sich mal im Netz um. Wir waren zudem die ersten in Deutschland, die von Beginn an ein vertikales Modell umgesetzt haben, das eine B2C-Plattform mit einer B2B-Plattform verknüpft. Und die bisherige Entwicklung von "myParadise.de" verläuft überaus zufriedenstellend.
mm.de: Was heißt das konkret?
Gottschlich: Wir haben zwischen April und September 800.000 Mark Umsatz erzielt und liegen damit 300 Prozent über unserer ursprünglichen Planung. Im ersten Geschäftsjahr werden wir mindestens 2,6 Millionen Mark umsetzen, statt ursprünglich geplanter 1,2 Millionen Mark.
mm.de: Der Umsatz wurde gewiss mit enormen Marketingaufwendungen erkauft. Wie hoch ist der Verlust?
Gottschlich: Die Marketingaufwendungen liegen bei uns in der Größenordnung von etwas mehr als einer Million Mark. Das ist niedrig. Der Verlust wird im ersten Geschäftsjahr aufgrund höherer Umsätze zudem geringer ausfallen als geplant. Wir werden bereits im Jahr 2002 den Break Even erreichen, bei einem Umsatz von 40 Millionen Mark im Handel mit Endkonsumenten und 10 Millionen Umsatz im Business-to-Business-Bereich.
mm.de: Sehen Ihre Geldgeber die Zukunft auch so rosig - oder werden die vielleicht langsam zickig?
Gottschlich: Rewe, Star Ventures und QXL Ricardo sind unsere Financiers. Die stehen voll hinter uns und sind nicht zickig. Wir benötigen bis zum Break Even noch 20 Millionen Mark frisches Kapital, das wir in der laufenden Finanzierungsrunde beschaffen wollen. Bislang ist die Resonanz bestehender und neuer Kapitalgeber positiv.
mm.de: Gab es somit keine Rückschläge?
Gottschlich: Natürlich gab es die. Wir haben beispielsweise die Wirksamkeit von Online-Marketing- und Portal-Deals überschätzt. Die sind wesentlich wirkungsloser, als wir gedacht hätten, die Kosten pro Neukunde sind teilweise exorbitant hoch. Wir würden heute deutlich stärker auf Direct Marketing setzen und von Beginn an die entsprechenden Fähigkeiten im Team aufbauen.
mm.de: Welche Art von Know-how, dass Sie bei Berger erworben haben, ist Ihnen in Ihrem neuen Job nützlich?
Gottschlich: Ich habe bei Roland Berger umfassendes Handelswissen erworben. Ich glaube, schneller als andere die Hebel zur Profitabilisierung von "myParadise.de" wie Margen, Durschnittsbons und Kundenakquisitions-Kosten erkennen und bewegen zu können. Bei Roland Berger habe ich auch Kontakte, etwa zur Rewe, geknüpft, ohne die ich "myParadise.de" nie hätte aufbauen können.
mm.de: Welches Know-how mussten Sie sich neu aneignen?
Gottschlich: Ich musste lernen, Visionen so zu formulieren, dass sie sich auch umsetzen lassen. Es war zudem neu für mich, Mitarbeiter unterschiedlichen Alters und mit ganz verschiedenen Erfahrungen anzuleiten. Auch die Fähigkeit, in Netzwerken zu arbeiten und Allianzen zu bilden, habe ich mir jetzt erst angeeignet. Die wohl wichtigste neue Fähigkeit besteht darin, schnell und konsequent Entscheidungen zu treffen. Als Berater sind sie es gewöhnt, immer erst ein Analysepapier zu erstellen oder ein Portfolio zu malen.