Standard & Poor's Lebensversicherer sollen Überschussbeteiligung senken

Weniger Rendite: Lebensversicherer haben ihr Päkchen zu tragen - das Umfeld niedriger Zinsen setzt ihnen zu
Foto: CorbisFrankfurt - Auch wenn die deutschen Versicherer unter den anhaltend niedrigen Kapitalmarktzinsen leiden, sind sie finanziell gut genug ausgestattet, um ihre Verpflichtungen noch über Jahre erfüllen zu können. Diese Einschätzung vertritt die Ratingagentur Standard & Poor's in ihrem Ausblick zur Finanzstärke der Branche.
"Die Niedrigzinsen stellen eine enorme Herausforderung dar - insbesondere für die Lebensversicherer", sagte Analyst Christian Badorff am Dienstag in Frankfurt am Main. Die Branche sei aber anpassungsfähig, bereite sich auf ein anhaltend widriges Zinsumfeld vor. Das scheint den Lebensversichern gut zu gelingen - wenn auch zum Teil auf Kosten der Kunden und Beschäftigten, wie Analystin Karin Clemens einräumte. Erstere müssen mit geringeren Überschüssen rechnen, letztere um ihren Job bangen. Große Versicherer haben längst angekündigt, bis 2015 tausende Jobs abzubauen.
Ausschüttungen und Kosten sind wohl die wichtigsten Stellschrauben, an denen die Unternehmen aktuell drehen, um ihre Situation zu entschärfen. Zugleich setzen sie bei der Kapitalanlage auf längere Laufzeiten und weniger schwankungsanfällige Investments, berichtete Clemens. Die Gefahr gar existentieller Verwerfungen, wie zuletzt diskutiert, sieht S&P aber für keinen der von ihr gerateten 22 Lebensversicherer.
Tage zuvor hatten noch Spekulationen aus dem Finanzministerium zur Lage der Lebensversicherer die Menschen verunsichert. Für "das schwächste Fünftel" der Anbieter bestünden ab 2018 "erhebliche Gefahren". Einzelne Marktteilnehmer könnten bald den Garantiezins nicht mehr in voller Höhe zahlen, hieß es. Der Branchenverband GDV dementierte entschieden. Auch einzelne Wissenschaftler warnten vor Übertreibungen, teilen die Sorgen nicht.
Stabiler Ausblick: Versicherer für Herausforderungen gewappnet
"Nach unserer Auffassung sind die Lebensversicherer für die Herausforderungen gewappnet", sagte Badorff. Sie würden auch bei einem mittelfristig anhaltenden Niedrigzinsumfeld ihre Garantien erfüllen können. Die von S&P bewerteten deutschen Versicherer tragen im Mittel ein A-Rating mit einem vorwiegend stabilen Ausblick.
Die guten Ratings reflektierten auch die Einbettung der meisten Gesellschaften in einen großen Konzern, erläuterte Clemens. Will sagen: Wird es für einen Erstversicherer eng, werde die Konzernmutter schon aushelfen, wie dies in Einzelfällen ja bereits geschehe.
S&P belässt seinen Marktausblick für die deutschen Schaden- und Unfallversicherer auf "positiv" und für die Lebensversicherer auf "negativ". Erstere seien im Gegensatz zu Lebensversicherern besser kapitalisiert und eher in der Lage, ihre Abhängigkeit vom Zinsumfeld zu verringern. Tatsächlich gelingt es den Schaden- und Unfallversicherern in diesem Jahr auch über steigende Preise 3,7 Prozent mehr Beiträge zu vereinnahmen, während das Beitragsaufkommen in der Lebensversicherung um 0,7 Prozent sinken wird, berichtete vergangene Woche der GDV.
"Selbst bei nur 1,5 Prozent zins besteht für Versicherer keine Gefahr"
Gleichwohl teilt S&P schwarzmalerische Szenarien für die Lebensversicherer nicht. Selbst bei einem Wiederanlagezins von nur 1,5 Prozent bestünde für keinen Lebensversicherer die Gefahr, dass er in den kommenden fünf Jahren seine Garantieverpflichtungen nicht erfüllen könne, sind die S&P-Experten nach einem "Stresstest" der Anbieter überzeugt. Realistischerweise dürften die Rendite bei der Neuanlage in diesem Jahr zwischen 2,6 und 3,2 Prozent liegen.
Das ist zwar weniger als der durchschnittliche Garantiezins, den die Lebensversicherer derzeit ihren Kunden zahlen müssen. Dank älterer, höher verzinster Titel im Bestand werden die Kapitalanlagen der Lebensversicherer in diesem Jahr aber noch rund 4 Prozent Rendite abwerfen. Sorgen, dass sie ihre Zinsversprechen kurz- und mittelfristig nicht halten können, seien unbegründet, argumentierte zuletzt auch der GDV.
Gleichwohl werden sich die Kunden auf weiter fallende Überschüsse einstellen müssen. In diesem Jahr verzinsen die Lebensversicherer den Sparanteil der Kundenprämie im Schnitt noch mit rund 3,9 Prozent. S&P erwartet, dass die laufende Überschussbeteiligung im kommenden Jahr um 20 Basispunkte auf 3,6 bis 3,7 Prozent sinken wird.
S&P: Die Überschüsse sollen weiter fallen
Die Ratingagentur empfiehlt diesen Schritt sogar, weil es die Gesellschaften sicherer machen würde. Das würde die Finanzstärke der Branche verbessern und es ihnen erleichtern, zugesagte Garantien nachhaltig zu erfüllen. Indirekt warnt S&P finanzschwächere Anbieter sogar davor, die Überschussbeteiligung nicht zu senken. Für diesen Fall sei eine Ratingabstufung nicht auszuschließen.
Mitverantwortlich für die sehr wahrscheinlich fallenden Kundengutschriften ist die Tatsache, dass die Anbieter zusätzliche Reserven für ältere, höher verzinste Verträge bilden müssen. In diesem und im kommenden Jahr sind dies insgesamt rund zehn Milliarden Euro. Dieses Geld steht die laufende Überschussbeteiligung nicht zur Verfügung.
Um die gesetzliche vorgeschriebene Zinszusatzreserve künftig finanzieren zu können, werden einzelne Versicherer wohl aber nicht umhinkommen, höher verzinste Anleihen zu verkaufen, meinen die Experten von S&P. Das spielt kurzfristig zusätzliches Geld ein, reduziert aber potentiell künftige Zinserträge.
Dieses Jahr dürften die meisten Versicherer die Zinszusatzreserve noch vergleichsweise gut stemmen können. "Bleiben die Zinsen aber so niedrig, wird das 2013 für eine ganze Reihe von Lebensversicherern eine sehr sportliche Aufgabe", sagte Versicherungsanalyst Carsten Zielke von der Société Générale in der Diskussion. Innerhalb der Branche gebe es deshalb bereits Vorstöße, die Formel für die zu bildende Reserve wieder aufzuweichen.
Versicherer meiden risikoreiche Anlagen
Um ihr Kapitalanlageergebnis zu stabilisieren oder auszubauen, könnten Versicherer vermehrt in rendite- und risikoreichere Anlagen investieren. Hier sehen die Experten die Schaden- und Unfallversicherer gegenüber den Lebensversicherern im Vorteil. Allerdings muss sich eine Gesellschaft mit Blick auf ihre Risikotragfähigkeit dies auch leisten können. Angesichts künftig schärferer Eigenkapitalregeln zeigt die Branche daher nur wenig Neigung, mehr Risiko bei der Kapitalanlage einzugehen.
Eine weitere Option, die Kapitalanlage zu stärken ist, die erwähnte Laufzeit (Duration) der Anlagen zu verlängern. Das haben Lebensversicherer in der Erwartung fallender Zinsen in der Vergangenheit auch getan. Damit laufen sie aber Gefahr, das niedrige Zinsniveau für lange Zeit ins Portfolio festzuschreiben und nicht mehr adäquat an einem Zinsanstieg teilnehmen zu können, erklärten die Analysten von Standard & Poor's.
Nachhaltig steigende Zinsen wären für langfristig investierende Versicherer grundsätzlich positiv. Für diesen Fall schließt Zielke allerdings nicht aus, dass Lebensversicherte ihrem Anbieter wieder den Rücken zukehren, um ihr Geld rentierlicher anzulegen. "Dann werden wir sicherlich steigende Stornoquoten sehen", sagte der Experte für die Branche voraus.
Kundenvertrauen zurückgewinnen
Nicht nur die Niedrigzinsen lasten auf den Lebensversicherern, sondern auch das geschwächte Kundenvertrauen. Dies zu stärken, sieht S&P als eine "große Herausforderung" für die Branche, zumal die Interessen von Anbietern zunehmend auseinander driften.
So legen die Versicherten gerade in unsicheren Zeiten hohen Wert auf lebenslange Garantiezusagen, was sich auch daran zeigt, dass der Anteil der Fondspolicen in den vergangenen Jahren drastisch gefallen ist.
Anbieter dagegen wollten und müssten angesichts des niedrigen Zinsniveaus ihren Produktmix zu Lasten der klassischen Deckungsstockgarantie ausweiten und zugleich mehr Risiken in der Kapitalanlage eingehen, sind Experten wie Zielke überzeugt.
Derzeit spricht aber wenig dafür, dass die Verbraucher sich mit weniger oder stark aufgeweichten Garantien in Zukunft anfreunden werden - müssen sie doch schon seit Jahren fallende Überschüsse für ihre Police erdulden. Das dürfte es den Lebensversicherern noch schwerer machen, ihr Geschäftsmodell anzupassen. Dass sie es müssen - davon sind die Analysten von S&P aber überzeugt.