Börsen-Gerüchte Falsches Spiel am Aktienmarkt
Hamburg - mm: "Buy on rumours, sell on facts" so lautet eine alte Regel an der Börse. Was hält der Wirtschaftsprofessor Friedrich Thießen von dieser Empfehlung? Welche Gefahren bergen manipulierter Märkte für private Anleger?
Thießen: Für Spielernaturen mag es reizvoll sein, Aktien oder Anleihen auf der Basis von Gerüchten zu kaufen. Das garantiert Nervenkitzel, denn schließlich weiß man ja nicht, ob ein Gerücht stimmt oder falsch ist. Man muss sich darüber klar sein, dass jeder, der ein solches Risiko eingeht, viel gewinnen, aber auch viel verlieren kann. Für die große Mehrheit ist diese Form der Anlagestrategie deshalb sicher zu gefährlich.
mm: An Ihrem Institut werden Gerüchte systematisch erforscht. Was reizt Sie daran?
Thießen: Gerüchte haben schon immer Aktienkurse bewegt. In früheren Jahren waren sie noch ein selteneres Phänomen. Seit sich aber immer mehr Menschen für Wertpapiere interessieren, nimmt die Zahl der Gerüchte ständig zu. Sie verursachen häufig Kurssprünge, schaffen oder vernichten von einem Moment auf den anderen Milliarden an Börsenwerten. Außerdem bringen sie enorme Unsicherheit in den Markt. Solche Phänomene kann man nicht ignorieren.
mm: Wie kommen Börsengerüchte überhaupt zu Stande?
Thießen: Manchmal spielt der Zufall die entscheidende Rolle. Ein Fehler in der Nachrichtenübertragung oder eine fehlinterpretierte Pressemitteilung genügen oft schon, um die Märkte in Aufregung zu versetzen. Als Anfang 1989 eine Nachrichtenagentur eine Atomexplosion in der Sowjetunion meldete, stieg der Dollarkurs innerhalb von Minuten rasant an. Die Nachricht war allerdings eine Ente. Die Journalisten waren einem Test-Fernschreiben mit unsinnigem Text aufgesessen. Über welche Kanäle das Telex an die Agentur gelangte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.
mm: Steckt hinter Börsengerüchten nicht auch die Absicht, den Markt zu manipulieren?
Thießen: Durchaus. Das klassische Gerücht ist eine bewusst gestreute Falschmeldung. Der Absender will Bewegung in die Kurse von Wertpapieren bringen, mit denen er sich vorher eingedeckt hat. Bis das Gerücht auffliegt, hat er längst seinen Gewinn gemacht.
mm: Nennen Sie uns bitte ein Beispiel.
Thießen: Vor einigen Wochen, genau: am 8. März, meldete eine Zeitung kurz nach Börsenschluss, dass die Commerzbank von der Hongkong Shanghai Banking Corporation übernommen werden solle. Am nächsten Morgen schoss der Kurs der Commerzbank-Aktie in den ersten fünf Handelsminuten um mehr als 13 Prozent in die Höhe. Als wenig später das Dementi der Banken kam, verlor die Aktie wieder an Wert.
mm: Wer war denn der Urheber dieser Falschmeldung?
Thießen: Das blieb im Dunkeln. Eine wichtige Gruppe, die Gerüchte in den Markt trägt, sind die professionellen Börsenhändler. Wenn in einer Branche nichts Neues passiert, haben die Händler wenig zu tun. Die Fantasie ist raus, wie die Profis sagen. In solchen nachrichtenarmen Phasen die manchmal nur wenige Stunden dauern ist die Börse besonders empfänglich für Gerüchte.
mm: So empfänglich, dass selbst erfahrene Profis auf Phantommeldungen hereinfallen?
Thießen: Die Händler stehen in dieser Situation unter einem enormen Entscheidungsdruck. Sie können sich nie sicher sein, ob an einer Meldung nicht doch etwas dran ist. Stimmt die Nachricht, kann jedes Zögern Ver-luste bedeuten. Niemand will steigenden Kursen nachlaufen und sich hinterher sagen müssen: Du hast es doch gewusst.
mm: So einfach kann es doch nicht sein, Aktienexperten hereinzulegen, die sich tagtäglich mit den Unternehmen beschäftigen.
Thießen: Auf offensichtlichen Unsinn fällt keiner herein. Damit ein Gerücht wirkt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens muss der Inhalt grundsätzlich plausibel, die Herkunft aber unbekannt oder dubios sein. Dann muss die Nachricht unbedingt neu sein und, wenn sie denn stimmen sollte, einen merklichen Kurseinfluss haben. Schließlich muss das Gerücht komplex sein. Das heißt, für die Händler muss es schwierig oder gar unmöglich sein, die Falschmeldung in kurzer Zeit zu überprüfen. Das traf beim Übernahmegerücht um die Commerzbank zu: Die Meldung konnte bis zum nächsten Morgen nicht verifiziert werden.
mm: Sind Wertpapierexperten tatsächlich so leichtgläubig?
Thießen: Emotionen sind oft stärker als der Verstand. 1994 zum Beispiel saßen Händler dem Gerücht auf, in der Schweiz seien über 1200 Tonnen Gold des philippinischen Ex-Diktators Marcos aufgetaucht und stünden zum Verkauf. Panikartig setzten Goldverkäufe ein und drückten den Kurs. Mit ein bisschen Nachdenken hätte eigentlich jedem auffallen müssen, dass 1200 Tonnen Gold der halben weltweiten Jahresproduktion entsprechen. So viel konnte Marcos beim besten Willen nicht auf die Seite geschafft haben. Später hat sich herausgestellt, dass es das Gold überhaupt nicht gab. Manchmal glaubt man eben, was man glauben will.
mm: Vor allem am Neuen Markt leben die Aktienkurse vieler Unternehmen von Fantasie und fragwürdigen Meldungen. Wie können Privatanleger sich da zurechtfinden?
Thießen: Nur sehr schlecht. Privatanleger haben schon deshalb kaum Chancen, sich an dem Spiel erfolgreich zu beteiligen, weil sie in der Informationskette ganz hinten stehen. Bis sie von dem Gerücht erfahren und mit einem Aktienkauf oder -verkauf reagieren können, haben die Profis das Geschäft meist schon gemacht.
mm: Dabei steht Privatanlegern mit dem Internet doch eine schnelle Informationsquelle zur Verfügung. Dort werden in zahllosen Diskussionsforen pausenlos Gerüchte gehandelt. Liefern die keine brauchbaren Anlegertipps?
Thießen: Das ist eine höchst riskante Angelegenheit. Erstens weiß kaum jemand, wie seriös der Organisator einer solchen Internet-Seite ist. Außerdem kann in vielen dieser Foren jeder verbreiten, was er will. Es weiß ja niemand, wer sich hinter den Fantasienamen der Chatteilnehmer verbirgt. Wenn Anleger schließlich auch noch keine Ahnung von dem betroffenen Unternehmen haben, wird klar, dass Gerüchte keine Basis für eine Investmentstrategie sind, sondern einem Lotteriespiel gleichen.
mm: Trotzdem wächst die Zahl so genannter Day-Trader, die innerhalb eines Tages Aktien kaufen und auch wieder verkaufen.
Thießen: Die meisten Day-Trader geben schon nach weniger als einem Jahr auf. Obwohl sie pausenlos vor dem Computer sitzen, bekommen auch sie Gerüchte später mit als die institutionellen Händler. Zudem muss ein Privatinvestor für Kauf- und Verkaufsorders viel höhere Gebühren zahlen als die Profis. Auf Dauer rechnet sich das in den seltensten Fällen.
mm: Wie können sich Anleger vor Falschmeldungen schützen?
Thießen: Am besten ist es, die Gerüchte einfach zu ignorieren. Die Diskussionsforen im Internet dienen mehr der Unterhaltung als der Anlageentscheidung. Es ist reiner Wahnsinn, sich auf diese Tipps zu verlassen. Wer Aktiengesellschaften gründlich und fundamental analysiert und auf die Seriosität seiner Informationsquellen achtet, ist langfristig erfolgreicher.
mm: Haben Sie selbst denn schon an einem Börsengerücht Geld verdient?
Thießen: Nein, allerdings auch keines verloren. Bei Aktienkäufen halte ich es lieber mit dem verstorbenen Altmeister André Kostolany. Der sagte einmal: "Ein Börsianer darf, wenn es sich um Börsengerüchte handelt, nicht einmal seinem eigenen Vater trauen."