Bau-Industrie Stein um Stein
Hamburg - Die Freude bei Bilfinger + Berger in Mannheim war groß, als 1995 der Zuschlag kam. Vier Jahre haben Christian Brockmann und Peter Ophoven, die Projektleiter des deutschen Baukonzerns in Thailand, am 55 Kilometer langen Bang Na Expressway gearbeitet. Ein Milliardenprojekt. Doch am Ende blieb nichts als Bitternis. Bis heute hat das Hochstraßenprojekt Bilfinger + Berger 300 Millionen Mark gekostet.
Andere Baustelle: Hochtief, größter und erfolgreichster der deutschen Baukonzerne, verbuddelte in Dortmund beim Bau eines Kinocenters (Projektvolumen: 44 Millionen Mark) 10 Millionen. Noch einige Millionen mehr versackten beim Berliner Fernbahntunnel in der Erde.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Schier endlos.
Der deutsche Bau bietet fast überall ein Bild des Jammers. Und das seit fünf Jahren. So lange darbte die Branche hier zu Lande noch nie. Aus dem einstigen Konjunkturmotor ist ein Bremsklotz geworden.
Doch es tut sich etwas. Zumindest unter den großen Baukonzernen zeichnet sich Besserung ab. Die Unternehmen haben sich selbst zu Dauerbaustellen erklärt; sie richten ihre Geschäfte neu aus. In einigen Jahren könnte der deutsche Bau wieder ganz anders dastehen.
Noch überwiegt allerdings Tristesse: "Die Baubranche ist eine Branche, an die keiner mehr glaubt", klagt Ignaz Walter (63), Großgesellschafter der Walter-Bau-Gruppe.
Etwa 4500 mittelständische Baufirmen müssen Jahr für Jahr wegen Zahlungsunfähigkeit aufgeben.
Wenn die Finanzvorstände der Aktiengesellschaften am Jahresende auf ihre Gewinn- und Verlustrechnung schauen, stellt sich ihnen regelmäßig die Sinnfrage: Warum das alles?
Bilfinger + Berger beispielsweise erwirtschaftete im vergangenen Jahr bei seiner Bautätigkeit eine Rendite von ganzen 0,6 Prozent. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.
Die Anleger sind vergrätzt. Die Aktienkurse der großen Konzerne Hochtief, Holzmann, Bilfinger + Berger, Walter Bau und Strabag sind zusammengerechnet seit Anfang 1998 auf etwa ein Drittel geschrumpft.
Nur knapp dreieinhalb Milliarden Euro müsste ein Investor heute hinlegen, und schon könnte er rein rechnerisch alle fünf Unternehmen kaufen. Für ein Zehntel der Summe, die Mannesmann für den britischen Mobilfunker Orange bezahlt hat.
Was tun die Konzerne, um aus der Misere herauszukommen?
Herbert Bodner (52), Vorstandschef von Bilfinger + Berger, glaubt wie seine Kollegen an die Zukunft: "Wir sind nicht die Textil- oder Werftindustrie." Die Branche sieht sich nicht am Ende, sondern mitten in einer groß angelegten Aufräumaktion.
In einer stärkeren internationalen Ausrichtung, in besserem Kostenmanagement und in neuen, gewinnträchtigen Geschäftsfeldern suchen die Großen ihr Heil.
In der Regel haben sie sich Untergrenzen für ihre Projekte gesetzt. Kleinklein gibt es nicht mehr. Das war eine der Lektionen aus dem Holzmann-Desaster.
Komplexe Großprojekte sollen den lang vermissten Profitsegen bringen. Dabei wollen die Konzerne immer weniger selbst Hand anlegen: Die eigentliche Bauleistung sollen im Wesentlichen ausländische Subunternehmer oder deutsche Mittelständler übernehmen. Beim Bau des Commerzbank-Turms in Frankfurt erstellte zum Beispiel Generalunternehmer Hochtief weniger als ein Zwölftel des Baus in Eigenregie.
Der Essener Konzern will so seine Leistungsrendite (Ertrag auf Bauaktivität und andere Umsätze) von zur Zeit durchschnittlich 1,5 auf 2,5 Prozent steigern.
Ein durchaus realistisches Ziel: Bei internationalen Großbauten sind Renditen von 6 bis 8 Prozent möglich. Wenn langfristige Verträge geschlossen werden, wie beim Betreiben von Mautstraßen, kalkulieren die Konzerne sogar mit 15 Prozent.
Die Branche, so scheint es, beginnt endlich, langfristige Konzepte zu entwerfen und Expansionspläne zu entwickeln, die über den Horizont der heimischen Grenzen hinausreichen. Ein Novum für die hemdsärmeligen Männer vom Bau.
Strategisches Denken gilt unter Bauingenieuren sie dominieren nach wie vor die Vorstände der Baugesellschaften als eine Art Luxus. Hanns-Bert Mundorf (56), Vorstandsmitglied bei Dywidag: "Die Bauwirtschaft ist vollkommen darauf konzentriert, kurzfristige Probleme zu lösen. Strategische Überlegungen spielen eine untergeordnete Rolle."
Jahrzehntelang hat sich die Branche mit dem konjunkturellen Auf und Ab abgefunden. Das letzte Mal nach der deutschen Wiedervereinigung, als sie sich von dem aufflackernden Boom hat blenden lassen.
Mittlerweile aber ist den Bauvorständen klar: Sie müssen raus aus dem Heimatmarkt.
In nächster Zeit wird sich die Lage auf Deutschlands Baustellen nicht bessern. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet in diesem und im kommenden Jahr mit einer "Null-bis-Minus-Tendenz" bei den inländischen Bauaufträgen.
Die Preise liegen unter der Schmerzgrenze. Angestachelt durch ausländische Billiglöhner, konkurrieren sich die Firmen gegenseitig nieder. Ein ruinöser Wettbewerb. Hochtief-Chef Hans-Peter Keitel: "Die Margen sind absolut indiskutabel."
Der Ausweg führt die Konzerne ins Ausland. Alle wollen ihr globales Geschäft ausweiten. Hochtief kommt durch Zukäufe in Nordamerika bereits auf eine Auslandsquote von 70 Prozent. Holzmann will seinen Anteil von der Hälfte auf gut zwei Drittel des Bauvolumens steigern.
Ein hehres Ziel. In der Vergangenheit sind die Deutschen international stets als Universalanbieter aufgetreten; sie bauten alles, vom Einfamilienhaus bis zum Wolkenkratzer. Heute aber können nur noch Spezialisten auf dem Weltmarkt Geld verdienen. Die ausländische Konkurrenz ist da zum Teil weit voraus.
Das heutige Bild wäre noch viel düsterer, hätte nicht Hans-Peter Keitel (52) frühzeitig Zeichen gesetzt. Der Hochtief-Chef erkannte schon zu Beginn der 90er Jahre, dass die Zukunft im internationalen Geschäft und in der Spezialisierung liegt.
Keitel ist in der Szene eine Ausnahmeerscheinung, ausgesprochen ehrgeizig, modern, kein typischer Haudegen vom Bau. Konsequent und mit sicherem Gespür hat er aus dem Baukonzern einen "Dienstleister rund um das Bauwerk" gemacht.
Dank Keitel ist Hochtief heute dem Rest der Branche mehr als eine Nasenlänge voraus. Der Konzern verbucht die höchste Rendite, ist international glänzend aufgestellt und hat mit dem Airportgeschäft ein gewinnträchtiges Geschäftsfeld aufgebaut.
Nun eifern die Großen dem Vorbild nach. Ignaz Walter: "Jeder optimiert seine Struktur und passt sich den Erfordernissen an."
Bislang bedeutete Effizienzsteigerung in erster Linie Planstellen streichen, Mitarbeiter entlassen. Kein anderer Wirtschaftszweig hat seit 1995 so viele Arbeitsplätze vernichtet wie der Bau. Jeder vierte Job ging verloren. Allein die Walter-Bau-Gruppe hat die Belegschaften von 43.000 auf 28.000 Beschäftigte verringert.
Doch Personalabbau allein reicht nicht mehr. Mittlerweile ist die zweite Runde des Aufräumens in vollem Gange. Um die Kosten zu senken, müssen die Unternehmen rigoros mit Traditionen brechen.
Spätestens mit der Holzmann-Krise ist der Branche klar geworden, welches Unwesen die Niederlassungen treiben können. Der Frankfurter Baukonzern war nicht zuletzt durch die Selbstherrlichkeit der Regionalfürsten ins Wanken geraten. Der neue Konzernlenker Konrad Hinrichs fährt nun ein straffes Kostenmanagement. So großherrschaftlich, wie früher bei Holzmann gewirtschaftet wurde, so knickrig geht es jetzt zu.
Auch bei den Wettbewerbern bleibt kein Stein auf dem anderen. Bilfinger + Berger verkleinerte das inländische Filialnetz von 60 auf 40 Außenstellen und packte es zugleich in eine Spartenorganisation. Die Niederlassungen sind entmachtet. Ignaz Walter versucht, durch die Fusion seiner beiden Gesellschaften Walter Bau-AG und Heilit + Woerner die Kosten zu drücken.
Für Hans-Peter Keitel ist die Bereinigung der Struktur schon weitgehend abgeschlossen. Der Marktführer sieht nun im E-Commerce noch Möglichkeiten der Kostensenkung. Zur Zeit verhandelt Keitel mit Claes Björk, dem Chef des schwedischen Bauriesen Skanska, über den Aufbau einer Internet-Plattform für den Bau. Werden die Herren einig, entstünde eine gigantische Einkaufsmacht auf dem Weltmarkt. Zusammen kommen die beiden Konzerne auf ein Bauvolumen von knapp 35 Milliarden Mark.
Aber selbst wenn die Kosten sinken, bleibt das hohe Risiko, das jedes Projektgeschäft mit sich bringt. Die Bauunternehmer "stehen oft wie ein Bergmann vor dem dusteren Berg", sagt ein Bauvorstand. "Man bohrt einen Tunnel und weiß letzten Endes nicht, wie es drinnen aussieht."
Das Bild aus der Welt der Bergleute soll zeigen: Vielfach treten am Bau unvorhergesehene Probleme auf oftmals wegen der Änderungswünsche der Bauherren während der Bauzeit. Dann müssen die Unternehmen mühsam über so genannte Nachträge versuchen, das Geld für die Zusatzarbeit hereinzubekommen.
Häufig ist die Kalkulation nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben wurde. In der Branche gilt die 45/55- Faustregel: Knapp die Hälfte der Projekte geht schief, schließt mit einem Minus ab. "Geld wechseln auf ganz hohem Risikoniveau", nennt das Dieter Weiss (40), Bauexperte der Unternehmensberatung Roland Berger. Ausgefeilte Controlling-Systeme sollen nun frühzeitig feststellen, ob die Kosten entgleiten.
Ein Schritt in die richtige Richtung. Wirklich gesunden kann die Branche aber nur, wenn beides ineinander greift: ein wirksames Frühwarnsystem und höhere Margen.
Auskömmliche Renditen locken, sobald die Bauunternehmen als Problemlöser auftreten. "Wenn uns die Kunden als Projektpartner akzeptieren würden", schwärmt Hans-Peter Keitel, "hätten wir traumhafte Verhältnisse in Deutschland."
Doch bis dahin ist es noch ein Stück des Weges. Nach wie vor lastet auf der Branche das Primitivimage von der Baufirma, die Beton in den Sand schüttet und nach guter Römersitte mauert. Vereinzelte Werbekampagnen (Hochtief-Slogan: "Wir übernehmen das für Sie") konnten an diesem Image bislang wenig ändern.
Das Bedürfnis nach umfassendem Projektmanagement, von der Planung und Finanzierung über das Bauen bis hin zur Verwaltung oder gar dem Betrieb einer Anlage, muss hier zu Lande erst noch geweckt werden. Eine große Herausforderung für die Bauriesen und Marketingfachleute.
Zumindest verdrängen die Konzernlenker die Probleme nicht mehr. Sie sinnen auf Abhilfe. Jetzt kommt es darauf an, die schönen Strategien umzusetzen. Vorbilder gibt es genug: Im Ausland, wo wendige Konkurrenten gute Geschäfte machen; und auch im Inland, wo Hochtief-Vorstand Keitel zeigt, wie es gehen kann.
Wenn die Bauunternehmen selbst, aber auch ihre Kunden, erst einmal begriffen haben, zu welchen Dienstleistungen die Männer vom Bau fähig sind, wird die Branche nicht länger Bremsklotz der Wirtschaft sein.
Thomas Werres
Was tun die Unternehmen