High Potentials "Die Zeiten von High Cash sind vorbei"

High Potentials gefragt: Konzerne suchen händeringend Nachwuchs
Foto: Corbismm: Herr Murphy, Sie begleiten als Personalberater etliche Manager in Topführungspositionen. Was raten Sie einem High Potential, der im Jahr 2012 ins Berufsleben eintritt?
Murphy: Zunächst einmal würde ich ihm gratulieren. Schließlich startet er - oder sie, es gibt ja zunehmend weibliche Nachwuchskräfte im Management - in einer Zeit, in der die Zeichen endlich wieder auf Optimismus stehen. Arbeitgeber suchen händeringend Leute mit Potential, gerade in Deutschland. In der weltwirtschaftlich schwierigen Zeit, in der wir uns bewegen, haben deutsche Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, die Konjunktur boomt. Auf diesem Fundament lässt sich eine Karriere gut aufbauen.
mm: Nehmen wir an, der erste Vertrag ist unterschrieben. Worauf kommt es nun an?
Murphy: In den ersten Jahren geht es darum, Erfahrungen in vielen unterschiedlichen Unternehmensbereichen zu sammeln. Sehr bald sollte ein Auslandsaufenthalt auf dem Programm stehen. Sie können heute als Unternehmensführer in der globalisierten Wirtschaft keinen Erfolg mehr haben ohne ein intensives Verständnis der Märkte, in denen Sie sich bewegen. Zum Glück gehen immer mehr deutsche Unternehmen dazu über, die Weltoffenheit ihrer Manager gezielt zu fördern. Wir erleben das als Personalberater anhand unserer Suchaufträge sehr direkt.
mm: Erzählen Sie.
Murphy: Die großen Konzerne betreiben das Thema seit Jahren sehr professionell. Inzwischen nehmen uns aber auch traditionsreiche mittelständische Familienunternehmen immer öfter in Anspruch, um sich für eine anstehende Internationalisierung gezielt mit auslandserfahrenen Know-how-Trägern zu verstärken. Diese Mittelständler sind vorsichtige Klienten, die jahrzehntelang überhaupt nichts mit Personalberatern zu tun haben wollten, und schon gar nicht mit einer so international aufgestellten Organisation wie Russell Reynolds. Nun tragen sie wesentlich zu unserem Wachstum im deutschen Markt bei.
mm: Als Peter Löscher 2007 sein Amt als Siemens-CEO antrat, bezeichnete er die Siemens-Mannschaft als zu deutsch, zu weiß und zu männlich. Diese Aussage wurde damals als eine Art Weckruf verstanden, die Führungsriegen bunter oder auch "diverser" zu gestalten. Wo stehen wir heute - aus der Sicht eines Amerikaners?
Murphy: Wenn wir bei der Frage der Nationalität bleiben, sehe ich etliche deutsche Konzerne, die heute extrem divers denken. Nehmen Sie die Deutsche Bank , die gerade den Inder Anshu Jain an die Spitze berufen hat. Oder die SAP mit Bill McDermott, oder Bayer mit Marijn Dekkers. Diese Manager ändern die Kultur der deutschen Traditionsunternehmen in unvorstellbarem Maße. Sie formen wirklich global denkende Firmen, in denen persönliche Fähigkeiten über den Aufstieg entscheiden und der Pass keine Rolle mehr spielt. Damit senden sie starke Signale an Talente in anderen Teilen der Welt und ziehen weitere Mitglieder der globalen Managerelite nach sich in diese Firmen. Anders sieht es meiner Erfahrung nach in den Aufsichtsräten aus. Hier spricht und denkt man oft noch sehr deutsch, was auch dadurch begünstigt wird, dass weiterhin viele der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden in die Kontrollgremien wechseln.
mm: Sie kritisieren das?
Murphy: Ich halte es auf jeden Fall dann für bedenklich, wenn es die Anpassung an den ständigen Wandel erschwert, dem unsere Wirtschaft unterliegt. Die Forderung nach mehr Vielfalt ist ja kein Selbstzweck. Es geht darum, in einer sich ständig wandelnden, unübersichtlichen Welt Personal an Bord zu haben, das diesen Wandel begreift und das Schiff in diesem unsicheren, komplexen und volatilen Umfeld steuern kann.
"Topleute bleiben im Schnitt nur noch vier bis sechs Jahre"
mm: Mal abgesehen vom weiten Blick auf die Welt, den Sie einfordern: Welche Eigenschaften muss ein Manager heute mitbringen, um in der von Ihnen skizzierten schnellen, komplexen Realität erfolgreich zu sein?
Murphy: Was mehr denn je zählt, sind Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. Topmanager müssen heute fast täglich eine Vielzahl von Entscheidungen unter unsicheren Bedingungen treffen. Annahmen, die heute handlungssleitend waren, können sich morgen bereits als überholt erweisen. Das erfordert ein hohes Maß an Offenheit und die Bereitschaft, sich extrem schnell in immer neue Gegebenheiten einzufinden. Hinzukommen muss ein kommunikatives Talent. Der CEO muss die Welt da draußen seinen Leuten erklären können und sie mit auf die Reise in eine unsichere Zukunft nehmen. Andererseits erwartet auch die Welt da draußen - Aktionäre, Kunden, Lieferanten - Erklärungen von Seiten des Topmanagements.
mm: Gute Zeiten für Kommunikationstalente also.
Murphy: Ja, aber das ist noch nicht alles. Für mindestens genauso wichtig halte ich drittens ein hohes Maß an Selbstreflexion, die Bereitschaft, genau zuzuhören und die Größe, sich Unwissen einzugestehen und auf Dritte zu hören. Sie müssen ja nicht alles können, aber Sie sollten zumindest wissen, was Sie nicht können und die Größe haben, sich dort gezielt zu verstärken. Für Borniertheit haben Sie heute einfach nicht mehr die Zeit.
mm: Das klingt nach einem harten Job.
Murphy: Ja sicher, die Aufgabe ist härter geworden. Die Verweildauer in Vorstandsjobs nimmt deshalb auch kontinuierlich ab. Früher kamen die Leute mit etwa 50 Jahren an die Spitze und blieben zehn Jahre. Heute werden sie mit Anfang, Mitte 40 CEO und halten sich im Schnitt vier bis sechs Jahre. Allein die Begleiterscheinungen der digitalen Vernetzung üben einen ungeheuren Druck auf die Manager aus. Die ausufernde Compliance und die starke Regulierung in etlichen Branchen verkomplizieren den Job zusätzlich. Ich kenne viele CEOs, die das Gefühl haben, vor lauter Meetings mit ihren Aktionären, Aufsichtsräten und Regulatoren kaum noch Einblick ins Tagesgeschäft zu bekommen. In den USA gehen etliche Manager inzwischen dazu über, ihr Engagement in Boards auf ein einziges Unternehmen zu beschränken. Mehr ist einfach nicht mehr zu schaffen.
"Gehaltsexzesse haben Vertrauen zerstört"
mm: Angesichts solcher Bedingungen empfinden etliche Topmanager ihre immens hohen Gehälter vermutlich auch als eine Art Schmerzensgeld. Trotzdem wächst hier zu Lande der Widerstand gegen die übliche Vergütungspraxis. Eine Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Konzerne, weil besonders gefragte Manager in besser bezahlte Jobs im Ausland abwandern könnten?
Murphy: Das halte ich für eher unwahrscheinlich. Der Verweis auf höhere Gehälter im Ausland war lange Zeit ein probates Mittel, die eigene Vergütung noch ein bisschen weiter in die Höhe zu schrauben. Doch inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. Nehmen Sie den Fall des Citgroup-Chefs Vikram Pandit, dessen Gehaltsforderung von 15 Millionen Dollar für 2011 die Aktionäre auf der jüngsten Hauptversammlung abgeschmettert haben. Nein, auch wenn Manager es nicht gerne hören: die Zeiten von High Cash sind vorbei. Gehaltsexzesse wie vor der großen Krise von 2008 / 2009 haben zuviel Vertrauen bei den Aktionären zerstört. Aufsichtsräte sind aus Compliance-Gründen extrem nervös, wenn es ums Geld geht. Früher galt der Job im Audit Committee als der härteste im Board, heute ist es die Aufgabe im Compensation Committee. Das heißt nicht, dass Manager nicht weiter sehr gut verdienen können, wenn die Leistung stimmt. Aber die Vergütung ist langfristiger strukturiert und an der Unternehmens-Performance orientiert. Der Manager soll gewinnen, wenn auch die Aktionäre gewinnen.
mm: Noch einmal zurück zur Frage der Diversity. In Deutschland wird gerade heiß über die Notwendigkeit einer Frauenquote für deutsche Unternehmen gestritten. Als Befürworter von Vielfalt im Management - wie stehen Sie zu dieser Idee?
Murphy: Ich bin grundsätzlich kein Freund solcher Zwangsmaßnahmen. Ich meine aber, dass Unternehmen von einer stärkeren Präsenz der Frauen in Führungsjobs nur profitieren können. Das Thema wird meiner Ansicht nach immer noch mit falschen, etwas überholten Argumenten intoniert. Da schwingt in Deutschland stets noch die Gleichberechtigungs-Rhetorik mit, die - pardon, wenn das ein bisschen herablassend klingt - die Generation meiner Mutter in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stark bewegt hat. Natürlich geht es um Chancengleichheit, aber das allein markiert nicht das vitale Interesse der Unternehmen, sich für mehr Frauen einzusetzen. Dafür gibt es zwei ungleich stärkere Argumente: den demographisch bedingt absehbaren Fachkräftemangel und die Tatsache, dass Frauen nahezu überall auf der Welt für den Löwenanteil der privaten Kaufentscheidungen verantwortlich zeichnen. Es ist einfach betriebswirtschaftlich logisch, Frauen zu fördern.
mm: Kritiker der Quote behaupten, es gebe nicht genug qualifizierte Anwärterinnen auf Managementpositionen.
Murphy: Das kann ich nicht bestätigen. Es gibt jede Menge starker, fähiger Managerinnen in der Welt, die sich auch für deutsche Unternehmen eignen würden, und ebenso geeignete Kandidatinnen für Aufsichtsratsposten. Es gibt sie, ich habe sie gesehen. Wenn Bedarf besteht - fragen Sie Russell Reynolds.