Vor dem Schuldengipfel Die Schuldenmeister der Welt

Schuldenrally ohne Ziel: Nach Jahren ungenierten Schuldenanhäufens zulasten kommender Generationen ist der Punkt der vorbeugenden Umkehr in vielen europäischen Staaten überschritten
Foto: dapdHamburg - "Die fundamentale Ursache der Schuldenkrise in der Euro-Zone", urteilt der belgische Ökonom Paul de Grauwe, "liegt in der unhaltbaren Expansion privater Schulden vor der Krise." Seit Beginn der Währungsunion 1999 bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2008 seien die privaten Schulden stark gewachsen, während die Staaten sogar eher gespart hätten.
Erst seit der Krise seien die Staatsschulden gestiegen, in manchen Fällen wie Irland haben sie sich sogar mehr als vervierfacht - vernünftigerweise, meint der Wirtschaftsberater von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Denn sonst hätte niemand die unhaltbar gewordenen Schulden der Privaten auffangen können. Umgekehrt könne der Staat sich nicht entschulden, solange Bürger und Unternehmer damit beschäftigt sind, ihre eigenen Bilanzen zu reparieren.
Wenn alle zugleich sparen, wird das Schuldenproblem nur verschlimmert. Diese Erkenntnis will die Europäische Union beherzigen und künftig auch die private Schuldenentwicklung beobachten. Bisher gibt es nicht einmal eine offizielle Statistik der Gesamtschulden.
In seinem aktuellen Bericht zur Weltfinanzstabilität zeigt der Internationale Währungsfonds immerhin eine Übersicht der aktuellen Schätzungen. Und die hat es in sich: Während Briten und Iren tief im Schuldensumpf stecken, ist das Bild von Italien differenzierter - und die Griechen rücken mit niedrigen Privatschulden gar in die Nähe der Vorzeige-Ökonomie Deutschland. Ein Überblick.
Irland: Schulden elfmal so hoch wie die Wirtschaftsleistung

Erinnerungen an die Hungersnot: Denkmal vor den Docklands in Dublin
Foto: PETER MORRISON/ ASSOCIATED PRESSIrland
Gesamtverschuldung: 1166 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Banken: 689 Prozent Unternehmen: 245 Prozent private Haushalte: 123 Prozent Staat: 109 Prozent
Die staatliche Schuldenlast wog schwer genug, um Irland als erstes Land unter den europäischen Rettungsschirm zu zwingen. Doch die anderen Wirtschaftssektoren sind noch viel höher verschuldet, alle drei weisen die höchste Schuldenquote aller im IWF-Finanzstabilitätsbericht erfassten Länder auf. Zugleich zeigt die irische Bankenrettung, wie schnell die Schulden von einem Sektor zum anderen verschoben werden können. Noch 2007, zu Beginn der Finanzkrise, galt die staatliche Schuldenquote von nur 25 Prozent international als vorbildlich.
Großbritannien: Immense Schulden, eigene Währung

Canary Wharf: Im Londoner Bankenviertel formiert sich Widerstand gegen Regulierung
Foto: JERRY LAMPEN/ REUTERSGroßbritannien
Gesamtverschuldung: 847 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Banken: 547 Prozent Unternehmen: 118 Prozent private Haushalte: 101 Prozent Staat: 81 Prozent
Im Vereinigten Königreich ist die Reihenfolge der Schuldner und die Art der Probleme ähnlich wie im kleinen Nachbarland, dafür bieten die Größe der Volkswirtschaft und die eigene Währungspolitik mehr Spielraum.
Japan: Hohe Staatsschulden, doch noch höhere Vermögen der Bürger

Verkehrskreuzung in Tokio: Bürger geben dem Staat günstige Kredite
Foto: dapdJapan
Gesamtverschuldung: 641 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Staat: 233 Prozent Banken: 188 Prozent Unternehmen: 143 Prozent private Haushalte: 77 Prozent
Die Staatsverschuldung des führenden asiatischen Industrielandes bedeutet nach zwei Jahrzehnten Wirtschaftskrise und immer neuen Konjunkturprogrammen Weltrekord. Trotzdem bekommt kein Staat so günstig Geld geliehen wie Japan - vor allem von den eigenen Bürgern, die groß im Sparen sind. Den hohen Schulden stehen noch höhere Vermögen gegenüber. International ist Japan Nettogläubiger.
Spanien: Immobilienblase ließ private Verschuldung explodieren

Geschäftsviertel "Quatro Torres Business Area" in Madrid: Spanien war ein sparsamer Staat
Foto: CorbisSpanien
Gesamtverschuldung: 457 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Unternehmen: 192 Prozent Banken: 111 Prozent private Haushalte: 87 Prozent Staat: 67 Prozent
Wie Irland war auch Spanien vor der Krise ein besonders sparsamer Staat. Noch heute ist das Königreich geringer verschuldet als die anderen großen Industrieländer. Nach dem Bauboom und der geplatzten Spekulationsblase am Immobilienmarkt belastet die private Verschuldung aber die Wirtschaft - die spanischen Unternehmen mehr noch als die Haushalte.
Frankreich: Hohe Steuern, hohe Schulden der Unternehmen

Ehemalige Börse in Paris: Finanzsektor ist hoch verschuldet
Foto: Ian Langsdon/ dpaFrankreich
Gesamtverschuldung: 449 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Banken: 151 Prozent Unternehmen: 150 Prozent Staat: 87 Prozent private Haushalte: 61 Prozent
Auch in Frankreich sind die Unternehmen besonders hoch verschuldet, nur leicht übertroffen noch vom Finanzsektor. Trotz der außergewöhnlich hohen Besteuerung könnten die Franzosen privat aber noch größere Lasten schultern.
Belgien: Hohe Firmenschulden durch hohes Eigenkapital relativiert

Rozenhoedkaai in Brügge: Starke Wirtschaftskraft erlaubt hohe Schuldenquote der Firmen
Foto: Tourismus Flandern-Brüssel / dapdBelgien
Gesamtverschuldung: 435 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Unternehmen: 175 Prozent Banken: 112 Prozent Staat: 95 Prozent private Haushalte: 53 Prozent
Noch stärker ist die Wirtschaftskraft im kleinen Belgien. Selbst die exorbitante Schuldenquote der Unternehmen wird beim näheren Hinsehen relativiert: Gemessen am Eigenkapital ist sie im internationalen Vergleich sehr niedrig, im IWF-Finanzstabilitätsbericht erscheint der belgische Unternehmenssektor deshalb in grünem Licht. Die Höhe der Staatsverschuldung in dem zerstrittenen Land ist kritisch, steigt aber kaum.
Portugal: Banken stützen die Bilanz

Korkherstellung im portugiesischen Coruche: Firmen sind stärker verschuldet als der Staat
Foto: Getty ImagesPortugal
Gesamtverschuldung: 422 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Unternehmen: 149 Prozent private Haushalte: 106 Prozent Staat: 106 Prozent Banken: 61 Prozent
Ausgerechnet die Finanzinstitute retten für das südwesteuropäische Krisenland die Bilanz. Alle anderen Sektoren tragen eine Schuldenlast, die größer ist als die jährliche Wirtschaftsleistung des Landes. Wie im Nachbarland Spanien haben die Unternehmen am meisten Miese, die Staatsverschuldung war vor der Krise noch vergleichsweise moderat.
Italien: Private Haushalte helfen Berlusconi

Italien: Silvio Berlusconi hat sich mit Konjunkturhilfen zurückgehalten
Foto: Riccardo De Luca/ APItalien
Gesamtverschuldung: 377 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Staat: 121 Prozent Unternehmen: 110 Prozent Banken: 96 Prozent private Haushalte: 50 Prozent
Dass in Italien besonders der Staat zu viele Kredite aufgenommen hat, ist kein Geheimnis. Allerdings hat die international kritisierte Regierung von Silvio Berlusconi sich deshalb auch mit Konjunkturhilfen zurückgehalten. Italien zählt zu den wenigen Staaten, die im Primärhaushalt (also vor den Zinsen für den Schuldendienst) noch einen Überschuss erzielen. Und trotz der vergleichsweise hohen Steuern sind die Italiener privat in der besten Finanzposition aller großen Industrieländer.
USA: Exzesse des Privatsektors

Hausversteigerung in Illinois: Es wird Jahre dauern, bis Bürger und Staat ihre Schulden abgebaut haben
Foto: Scott Olson/ Getty ImagesUSA
Gesamtverschuldung: 376 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Staat: 100 Prozent Banken: 94 Prozent private Haushalte: 92 Prozent Unternehmen: 90 Prozent
Vor allem Exzesse des Privatsektors haben die USA in die Krise geführt, und von dort aus Schockwellen in der Weltwirtschaft verbreitet. Wohl noch Jahre werden die Amerikaner unter dem Schuldenabbau leiden (im Bild eine öffentliche Zwangsversteigerung von Häusern). Über Bankenrettung, Konjunkturhilfen und Sozialversicherungen hat der Staat inzwischen einen großen Teil der Lasten übernommen.
Griechenland: Nur der Staat hat rekordverdächtige Schulden

Krankenstation in Theben: Hohe Staatsschulden, niedrige private Kapitalreserven
Foto: ? John Kolesidis / Reuters/ REUTERSGriechenland
Gesamtverschuldung: 333 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Staat: 166 Prozent Unternehmen: 74 Prozent private Haushalte: 71 Prozent Banken: 22 Prozent
Kein Land ist so sehr mit Schlagzeilen zum Thema Schuldenkrise verbunden, und doch weist die Statistik der Gesamtverschuldung Griechenland beinahe als mustergültig aus: Nur der Staat hat rekordverdächtig hohe Schulden, die Banken haben sogar international den niedrigsten Wert. Trotzdem stecken sie mit dem Staat in der Krise. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass den niedrigen privaten Schulden ebenfalls niedrige Vermögen und Kapitalreserven gegenüber stehen. Deshalb wird kaum ein privater Kreditboom die griechische Krise beenden.
Deutschland: Weltweit höchster Fremdkapitalhebel der Banken

Bankenviertel in Frankfurt: Hoher Einsatz von Fremdkapital bei deutschen Großbanken
Foto: Arne Dedert/ dpaDeutschland
Gesamtverschuldung: 321 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, darunter: Banken: 98 Prozent Staat: 83 Prozent Unternehmen: 80 Prozent private Haushalte: 60 Prozent
Im IWF-Bericht zur globalen finanziellen Stabilität erscheint Deutschland nur in einer Kategorie mit rotem Licht: dem weltweit höchsten Fremdkapitalhebel der Banken. Im Inland gab es in den vergangenen Jahren alles andere als einen Kreditboom, dafür sorgten deutsche Geldgeber mit ihrer günstigen Vermögensposition dafür, dass anderswo reichlich Kapital zum Schuldenaufbau zur Verfügung stand. Nun könnten am ehesten die Deutschen mehr Kredite aufnehmen und so den Schuldenabbau irischer Banken, spanischer Unternehmen oder des griechischen Staats abfedern.