Streit um Einfluss Götterdämmerung für die Rating-Riesen

Ratingagenturen: Ihr Metier ist unter anderem das Urteil über die Bonität von Anleihenemittenten - und das schlägt sich auch in Kursverläufen nieder
Foto: REUTERSHamburg - Clark McKinley müsste es wohl ums Herz sein. Denn vor wenigen Tagen hat die Securities and Exchange Commission (SEC) erklärt, eine Reihe von Wertpapieren von der Pflicht zu einer Bewertung der Risiken durch die Agenturen zu befreien.
McKinley ist Sprecher von Calpers, eines milliardenschweren Fonds, der die Pensionen von über einer Million kalifornischen Beamten verwaltet. Calpers hat bereits 2009 Klage gegen die drei großen Ratingagenturen erhoben, Moody's, Standard & Poors und Fitch, und darin die Aussagekraft ihrer Einschätzungen angezweifelt. Die SEC nun als machtvoller Bundesgenosse? McKinley will dazu nichts sagen, wegen des anhängigen Rechtsstreits. Mehr als eine Milliarde Dollar Schadenersatz verlangt Calpers von den Rating-Riesen. Doch die Agenturen wehren sich mit allen Mitteln.
Kein Wunder, denn das Geschäft mit den Urteilen ist ein Milliardengeschäft, das sich die Agenturen nicht so ohne weiteres wegnehmen lassen wollen. Ein Beispiel: "Moody's war unter allen Investments von Warren Buffet in S&P's 500-Aktien das Unternehmen mit der höchsten Umsatzrentabilität", sagt Rating-Experte Oliver Everling.
Bestnoten für Produkte, die kurz darauf implodierten
Hinter der allgemeinen Kritik an den Ratingagenturen verbirgt sich eine Gemengelage aus unterschiedlichen Bedenken. Zum einen geht es um die Aussagekraft ihrer Urteile, zum anderen um deren Folgen. Die Aussagekraft ist es auch, die Calpers in ihrer Klage anzweifelt. Der Fonds hatte 2006 Geld in Papiere gesteckt, die die Ratingagenturen mit der Bestnote beurteilt wurden. Doch die guten Noten trogen, 2007 implodierten die Vehikel eines nach dem anderen.
Versagen die Ratingagenturen bei ihrem Versuch, die Risiken von Investmentvehikeln zu bewerten? In einer Welt mit immer komplexeren Finanzstrukturen hätte das verheerende Folgen. Beispiel Collateral Debt Obligations (CDOs), jene Portfolios aus festverzinslichen Wertpapieren - wie eben auch hypothekarisch besicherte Kredite.
"Die Ratingagenturen hatten nicht wirklich ein eigenes CDO-Modell", schreibt der Wirtschaftspublizist Michael Lewis in seinem Buch "The big short". Konnten sie also die Produkte gar nicht nicht erfassen, geschweige denn seriös bewerten? An der Wall Street zumindest kursiert angeblich das Bonmot: "Wer es bei der Wall Street nicht schafft, geht zu den Agenturen".
Die Kritik geht noch weiter. Auch das Timing der Urteile wird immer öfter angegriffen. Und das längst nicht mehr nur von den Betroffenen. Als zum Beispiel S&P das Rating von Irland von AA auf AA- setzte, beschwerte sich - wie zu erwarten war - John Corrigan, Direktor des National Treasury Management Agency (NAMA); das Urteil sei "fehlerhaft". Und Irlands Arbeitsminister Dara Calleary sagte, die Regierung sei von der Abstufung "enttäuscht". Verständlicher Ärger, denn die Finanzierungskosten des Landes steigen mit einem "Downgrade". Doch auch neutrale Wissenschaftler tadeln das Modell.
Fitch: "Wir können es nie allen recht machen"
"Erneut haben die Ratingagenturen (...) mit ihren Bewertungsänderungen zur Krisenverschärfung und nicht zur Krisenverhinderung beigetragen", schreibt zum Beispiel Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts HWWI, in einem Gastbeitrag im SPIEGEL mit Blick auf die Abstufung Griechenlands. "Wieder einmal haben sie politische Reaktionen erzwungen, die Politik konnte nur mit staatlichen Hilfen reagieren. Und auch dieses Mal konnte - wer auf den zu erwartenden Pawlow'schen Reflex der Politik setzte - mit Wetten auf Kosten der Steuerzahler viel Geld verdienen."
Dennis Snower, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), fügt hinzu: "Es kann nicht sein, dass Ratingagenturen, die die Finanzkrise zu einem großen Teil mitzuverantworten haben, weil sie wertlosen Papieren Bestnoten verliehen haben, immer noch solch eine herausragende Rolle spielen."
Die Kritik könnte Hoffnungen auf eine schnelle Änderung der Situation wecken. Wenn sich nicht manche Kritik wie eine verklausulierte Relativierung läse. "Ganz offensichtlich bekommen sie ihre Daten aus den Märkten", sagt zum Beispiel IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn. "Man weiß also nie, ob sie die Märkte bewerten oder diese die Agenturen. Deshalb sollte man sie nicht zu ernst nehmen."
Die Betroffenen wehren sich. Jens Schmidt-Bürgel, Deutschlandgeschäftsführer der Agentur Fitch, sagt: "Wir können es nie allen recht machen, weil Investoren unterschiedliche Interessen haben. Während die einen kritisieren, dass wir zu langsam auf Entwicklungen agieren, sagen andere, wir würden viel zu schnell herunterstufen und damit wie Brandbeschleuniger wirken."
Und von Moody's heißt es auf Nachfrage: "Moody's hat lange davor gewarnt, in Sachen Regulierung sich zu sehr auf Ratings zu verlassen. Und noch wichtiger - Marktvolatilitäten und systemische Risiken werden davon beeinflusst, wie die Mittel zur Risikoeinschätzung, sei es ein Kreditrating oder auch andere Maßstäbe, in der Regulierung genutzt werden. Übermäßige mechanistische Auslöser können versehentlich die Risiken im System verstärken. Und die jüngste Finanzkrise hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass die Regulatoren die Flexibilität haben, um kluge Schritte zum Schutz des Finanzsystems unternehmen zu können."
Eine echte Erklärung liest sich anders.
Streit um Einführung einer europäischen Ratingagentur
Ob die Einführung einer europäischen Ratingagentur, wie Spitzenpolitiker sie gern fordern, die Probleme lösen würde, darf bezweifelt werden. Die Agenturen ihrerseits haben seit der Krise zumindest eines gemacht: "Alle Agenturen haben umfangreiche Maßnahmen ergriffen, ihre starken Marktpositionen zu sichern", berichtet Everling. "Dazu gehören Maßnahmen in der Kommunikation, Aus- und Fortbildung, Konsistenz und Transparenz der Methoden. Die Anforderungen aus der EU-Verordnung über Ratingagenturen sowie von den Aufsichtsbehörden werden konsequent umgesetzt, um keinerlei Angriffsfläche zu bieten."
Die Praxis geht bereits jetzt einen Schritt weiter und denkt sehr viel über den Sinn der Ratings nach. "Ratings sind unverzichtbar, wenn es darum geht, nach objektiven Gesichtspunkten das Anlageuniversum eines Fonds abzustecken", sagt zum Beispiel Harald Preißler, Leiter Anlagemanagement und Chefvolkswirt des Anleihemanagers Bantleon.
"Darüber hinaus spielen die offiziellen Bonitätseinstufungen bei Bantleon keine Rolle. Bei der aktiven Bewirtschaftung von Schuldnerrisiken wäre es sogar fatal, sich an den chronisch hinterherhinkenden Ratingagenturen zu orientieren. Deswegen greifen wir an dieser Stelle auf unsere eigene Analysen zurück." Eine Blaupause für alle? In der Realität vermutlich nicht.
"Nur die Organisationsform der Ratingagenturen erlaubt die Nutzung von Erfahrungskurveneffekten, Spezialisierungsvorteilen, ökonomischen Skaleneffekten und so weiter sowie 'Sozialisierung' des Bonitätswissens, denn publizierte Ratings können von jedermann genutzt werden" , meint. Es sei denn, die Ratingagenturen wären verpflichtet, die ihnen überlassenen Daten zu veröffentlichen, so dass sich jeder ein Bild machen könnte.
Clark McKinley zumindest wird sich weiter gedulden müssen. Und auf ein Urteil des Gerichts in San Francisco warten oder auf ein konsequentes Durchgreifen des SEC. Vielleicht sogar auf beides.