Dax-Geflüster Die staatliche Blase
Hamburg - Erinnern Sie sich noch an das Märchen vom kleinen Häwelmann? Jenem Zappelphilipp, der mit lautem "mehr, mehr" den Mond immer wieder anrief, er möge doch kräftiger pusten, damit er in seinem Kinderbett noch schneller um die Welt reisen könnte, dann vom Sternenhimmel purzelte - und am Ende beinahe ertrunken ist?
Es klingt fast, als hätte Theodor Storm damit die aktuelle Börsenentwicklung vorweggenommen. Denn der Staat schob die Börse zuerst langsam an, dann immer schneller - und das Risiko, damit baden zu gehen, steigt.
Kurzer Rückblick: Seit März legen die Börsen zu. Allein der Dax hat seit Mitte Juli noch einmal rund 13 Prozent an Wert gewonnen. Vor allem die Regierungen und Zentralbanken der Welt sorgten dafür, dass sich ein steter Strom aus Abwrackprämien, Bankenstützungen oder Konjunkturprogrammen und natürlich günstigen Zinsen der Zentralbanken über Banken und Wirtschaft ergoss.
"Die Hausse, die niemand versteht"
Viel Geld floss und fließt auch in Aktien. Selbst wenn die Fundamentaldaten nicht so überzeugend wie vor der Krise sind, die Nachfrage nach Aktien treibt deren Preise. "Wir finden uns noch mitten in der liquiditätsgetriebenen Hausse", sagte Fondsmanager Hans-Peter Schupp vor wenigen Tagen im Gespräch mit manager-magazin.de.
Zumindest sei die Börsenentwicklung "sehr stark von der Liquidität geprägt", sagt auch Ulf Becker, Partner bei der Fondsboutique Lupus Alpha und verantwortlich für deren Absolute-Return-Produkte. "Seit acht Wochen ist das so und wird auch erst mal so bleiben. Denn auch die Fundamentaldaten verbessern sich."
Joachim Goldberg, Geschäftsführer von Cognitrend, spricht lieber von der "Hausse, die niemand versteht. Sie hat wenig Bezug zur ökonomischen Realität." Unter dem Strich zählt für viele Profianleger nur die Tatsache, dass die Kurse tatsächlich nachhaltig steigen.
Entsprechend optimistisch gibt man sich. Für den S&P 500 zum Beispiel räsoniert die Fondsgesellschaft Dexia in einem Anlegerbrief, ob der aktuelle Kursstand nicht doch vielleicht den Beginn eines echten Bullenmarkts markiere. Erinnern Sie sich? Noch vor einem halben Jahr hätte kaum ein Experte das Wort Bullenmarkt in den Mund genommen - geschweige denn, es gedruckt in der Anlagebranche zirkulieren lassen. Von "strukturellen Verbesserungen der Unternehmensgewinne", spricht jetzt Dexia.
Konkurrent Legg Mason geht sogar so weit, sich auf eine feste Zahl festzurren zu lassen. Der S&P 500 könnte im ersten Halbjahr 2010 auf 1350 Punkte steigen. Weil die Schwere des vorangegangenen Abschwungs für eine recht starke Gegenreaktion spräche.
Die Angst, abseits zu stehen
Quartalszahlen, die nicht so verheerend ausfielen wie befürchtet und vor allem die hohe Liquidität sorgen also für Kurssteigerungen. Und so dürfte es erst einmal weitergehen.
Denn der Druck der Investoren steigt, weil der Druck auf sie selbst steigt. " Die Anleger müssen dabei sein, weil auch die anderen dabei sind", sagt Goldberg. Und liegt damit ganz auf der Linie seiner Kollegen.
"Die Märkte sind in ganz kurzer Zeit extrem hoch geschossen. Wenn die großen Aktienindizes wie Euro Stoxx und S&P 500 bei plus 10 Prozent stehen, ist es aus Investorensicht noch vertretbar, nicht dabei zu sein", sagt Lupus-Alpha-Mann Becker. "Wenn aber noch 2 oder 3 Prozentpunkte dazukommen, wird es schwierig, denn dann flösse noch das Geld aus jenen Asset-Klassen zu, die hinter Aktien zurückbleiben. Momentan steckt ja noch vieles in Unternehmensanleihen."
Mehr, mehr, schrie der kleine Häwelmann?
Dabei ringt die Realwirtschaft noch immer mit Problemen. Und Vorhersagen fallen auch den Experten schwer.
"Die Realwirtschaft, das ist schwer zu prognostizieren", sagt Becker. "Gibt es eine V-förmige, oder W-förmige Erholung? Zumindest sind die Lager geleert, und das hilft den Unternehmen im dritten Quartal."
Große Unternehmenszusammenschlüsse sind aktuell auch nicht auszumachen. "Zwar zeigt sich eine leichte Stabilisierung auf dem Markt, aber auf sehr niedrigem Niveau", sagt Philippe Roesch, der beim unabhängigen Dachfondsmanager Auda das europäische Private-Equity-Geschäft verantwortet. Vor allem der Bereich der Mega- und Large-Buy-outs sei nach wie vor tot.
"Die alternative Investmentbranche befindet sich weiterhin in der Konsolidierungsphase", stellt Frank Dornseifer fest, Geschäftsführer beim Bundesverband Alternative Investments (BAI). "Eine nachhaltige Trendumkehr bei Assets under Management im Hedgefondsbereich oder beim Fundraising oder der Anzahl von Transaktionen im Private-Equity-Bereich lässt sich noch nicht beobachten."
Geld in Aktien statt in Maschinen
Doch zumindest für die Börse sind die Experten optimistisch; sie halten den Kurstreiber Liquidität für stabil. "Sehen Sie, was haben die Profis im September, im Oktober 2008 gemacht?", fragt Becker. "Sie haben das Geld geparkt im Geldmarkt, in Geldmarktfonds oder im Tagesgeld, ein Jahr zu 5,5 Prozent. Inzwischen, wir haben nachgefragt, bekommt man für Tagesgeld gut 0,15 Prozent. Die Banken brauchen also offenkundig kein Geld mehr. Dieses Geld wird nun frei und muss investiert werden", sagt er.
Er spricht damit an, was amerikanische Geldexperten gern als "Geld am Rande des Spielfelds" bezeichnen. Die liquiditätsgetriebene Hausse nährt sich also selbst. Und schafft damit einen ganz eigenen Effekt.
"Die Liquidität fließt nicht in Maschinen, sondern in Aktien. Dort droht also die Inflation", schlussfolgert Goldberg. "Asset-Inflation" liest sich vielleicht netter als "Blase". Und wird übrigens von der konventionellen Inflationsmessung gar nicht erfasst.
Der Markt als "Luftpumpe"
Gleichviel, klingt das nicht bekannt - viel Geld, billiges Geld und der Druck, dabei sein zu müssen? Vom Markt als "Luftpumpe" spricht Goldberg. Droht, um im Bild zu bleiben, nach nur wenigen Pumpstößen das Platzen der nächsten Blase? "Ja, mit Sicherheit irgendwann in der Zukunft", nickt Becker. "Aber wie lange dauert das! Wir sprachen 2005 zum ersten Mal über die Immobilienblase - es dauerte also noch drei Jahre. Und außerdem ist die Frage, wer wann den Schalter umlegt. Und wie sanft."
Sprich, wie die Zentralbanken dann handeln werden. Goldberg ist da etwas skeptischer. "Die Blase wird platzen, wenn die Notenbanken das Geld vom Markt abziehen."
Die Zentralbanken dürften ihrerseits alles daran setzen, die Wirtschaft nicht auf einmal vom Zufluss des günstigen Geldes abzuschneiden. Finanzinstitute wie Pioneer Investments fordern sie schon jetzt dazu auf, über die Exit-Szenarien nachzudenken.
Sprich, mit welchen Schritten man der Wirtschaft die Liquidität behutsam wieder entziehen könnte. Und mit welchen man im Notfall wieder eingreifen müsste?
Ja und dann? Weißt du nicht mehr? Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!