"Mein Jahr unter Spekulanten" "Kennst Du Leverage?"

Geldfragen entlockten Heike Faller lange Zeit nur ein Gähnen. Doch dann startete sie den Selbstversuch. Ihr Ziel: 10.000 Euro in Jahresfrist zu verdoppeln. manager-magazin.de präsentiert Auszüge aus dem Buch "Wie ich einmal versuchte, reich zu werden". Lesen Sie im zweiten Teil, was eine finnische Papiermühle mit dem Leverage-Effekt verbindet.
Von Heike Faller

Sitzen vier Männer an der Bar eines irakischen Fünfsternehotels vor ihren Whiskys. Sie sprechen über den Krieg, die Frauen, die Grundstückspreise in Bagdad. Einer von ihnen bin ich.

Es hatte mich nach Erbil verschlagen, in die Hauptstadt des kurdischen Irak. Ich war auf der Suche nach einem "Emerging Market", weil ich gehört hatte, dass sich in den neuen aufstrebenden Volkswirtschaften dieser Erde fantastische Gewinne erzielen ließen. Natürlich hatte ich dabei zuerst an China gedacht, denn mir war nicht entgangen, dass die Börsenkurse in Schanghai und Hongkong im letzten Jahr in die Höhe geschossen waren. Kleinanleger hören immer nur von den Preisexplosionen, egal ob es sich dabei um China, Brasilien, Windenergie oder Ölbilder der Leipziger Schule handelt. Aber ich wusste ja um diesen klassischen Anfängerfehler, der sich in der Geschichte ständig zu wiederholen scheint und als dessen ältestes Beispiel die Amsterdamer Tulpenhysterie aus den Jahren nach 1630 gilt. Damals hatte eine Amour fou der Holländer zu der neu importierten Blüte aus dem Orient dazu geführt, dass sich ihr Preis innerhalb weniger Jahre verfünfzigfachte. In den späten Tagen des Wahnsinns wurden Tulpenzwiebeln mit Häusern bezahlt. Bis sich, im Winter 1637, zu den hohen Kursen keine Käufer mehr fanden, die Preise sanken, die Händler Panik bekamen und Tulpenzwiebeln schließlich an einem einzigen Tag 95 Prozent an Wert verloren. Heute wissen wir, dass es die klassische Verlaufskurve einer Marktpanik war, wie sie sich in der Geschichte oft wiederholt hat.

(…) Also suchte ich nach dem nächsten China, nach einem Land, das ein riesiges Wachstumspotenzial hatte, aber von der Masse der Anleger noch nicht entdeckt worden war. Dessen Aktien also billig waren.

"Vietnam ist da, wo China vor fünf Jahren stand", las ich irgendwo.

"China wird sich erholen. Olympia. Der Konfuzianismus. Die schiere Masse an Menschen", erklärte ein Sinologe.

"Es gibt kein nächstes China. Oder fällt dir noch ein unterentwickeltes Land mit einer Milliarde Einwohnern ein, das gerade den Kapitalismus einführt?", sagte Utta.

"Geld den Flammen übergeben"

Irgendwer sagte: "Kasachstan!" In der Herald Tribune las ich kurz darauf einen Artikel über Investmentchancen in sogenannten Frontier-Märkten, also in Ländern, die kurz davor stehen, Emerging Markets zu werden. Es ging um drei Fonds, die sich jeweils auf Aktien aus Nigeria, Kenia und dem Irak spezialisiert hatten. Ich war überrascht, dass es dort überhaupt Börsen gab. Speziell vom Irak erwartete ich zu dem Zeitpunkt nichts als Explosionen und Chaos. Ich hatte aufgehört, mich mit den Details des Krieges zu beschäftigen, seit Jahren schweifte meine Aufmerksamkeit sofort ab, wenn es in der Tagesschau um Sunniten oder Schiiten ging. In diesem März war der viertausendste amerikanische Soldat im Irak ums Leben gekommen, das "Nation Building" galt als gescheitert, die irakische Mittelschicht war geflohen, und ich konnte mir für das Land keine andere Zukunft vorstellen, als dass es in immer schnellerem Tempo seinem Verderben entgegenrasen würde. Ein Flecken Wüste, auf dem Männer in abgerissenen Militäruniformen sich gegenseitig so lange umbrachten, bis noch ein paar einsame Rauchfäden aus den Ruinen der alten Paläste stiegen. Vielleicht wäre dann endlich Frieden.

Hier investieren? Es kam mir vor, als würde man sein Geld den Flammen übergeben. (…) Ich entschied mich schließlich für den Irak, weil der Manager eines Fonds mit dem Namen "Babylon" der Einzige war, der zurückrief. Die Eckdaten klangen so zwielichtig wie faszinierend: ein unregulierter Hedgefonds, der auf den British Virgin Islands gemeldet war, aus Luxemburg gemanagt wurde und im Irak Profite machen wollte. Der Manager war ein Schwede namens Björn Englund. Ich stellte mich als Journalistin vor. "Wir haben absolut nichts zu verbergen", sagte er ungefragt zu Beginn unseres Telefonats, "ich respektiere die Pressefreiheit." Er erzählte, dass er internationale Ökonomie und Politik studiert und mit dreiundzwanzig sein Studium unterbrochen habe, um sich als UN-Soldat in Kuwait zu verdingen. In den postkommunistischen Ländern der alten Sowjetunion hatte er, bevor er dreißig war, ein Vermögen gemacht. "I'm a frontier man", sagte er. Ob ich bei ihm investieren könne, fragte ich. Sein Fonds habe leider eine Mindestanlagesumme von 100.000 Euro, sagte er, aber er reise demnächst nach Erbil, in die sichere Hauptstadt der kurdischen Provinz, wohin ich ihn gerne begleiten könne. Dort würde er mich mit dem wichtigsten Börsenhändler Bagdads bekannt machen, einem gewissen Ahmed. "Ahmed ist Mr. Iraq", sagte er. "Wenn jemand weiß, mit welchen Aktien Du dein Geld verdoppeln kannst, dann er." Ansonsten wolle er auf der Reise einen finnischen Investor mit dem Land vertraut machen, einen Mann, den er als "ultra high net worth individual" bezeichnete und der nicht nur selbst sehr reich war, sondern auch andere sehr reiche Landsleute in Finanzdingen berate. Um ihn vom Irak zu überzeugen, müsse der Finne im Grunde nur ein Gefühl für den Irak jenseits der Katastrophenmeldungen bekommen, und dazu müsse er einfach "das Essen essen, die Luft atmen, die Menschen treffen".

Ein paar Wochen später stand ich am Airport Kopenhagen am Check-in-Schalter eines Fluges über Beirut nach Erbil. Björn war ein blonder Typ Anfang vierzig, der als Bordlektüre eine Zeitschrift namens Terrorism Monitor dabei hatte. Der Finne hieß Juha, hatte eine blasse, etwas teigige Haut und hellblaue Augen und sah auf eine spezifisch finnische Weise fertig aus, wobei er die ganze Zeit hintersinnig lächelte. Für die Reise hatte er sich ein Buch über Poker mitgebracht. Im Schlepptau hatte er einen ältlichen Rollkoffer einer No-Name-Marke.

"Dieser Juha - was macht er noch mal genau?", fragte ich Björn, als der Finne auf die Toilette gegangen war.

"Lass dich nicht von seinem Äußeren täuschen", sagte Björn, der offenbar erraten hatte, weshalb ich fragte. "Je reicher die Leute, desto nachlässiger ihre Anzüge. Richtig makellos sehen in unserer Welt nur die Account Manager aus, das sind die Leute mit dem Kundenkontakt. Bereits ich erlaube mir kleine Unachtsamkeiten." Er hielt mir seine karierte Krawatte entgegen.

"Karo zu Nadelstreifen"

"Karo zu Nadelstreifen. Würde ein Account Manager sich nie erlauben." Dann hob er einen Fuß, der in einem polierten Budapester steckte. "Aber meine Schuhe sind okay." Juhas Schuhe hingegen waren abgewetzt und ein wenig abgetreten. Aber mehr noch als sein Äußeres überraschte mich seine totale Offenheit in Gelddingen. In den ersten Minuten unseres Kennenlernens hatte ich ihm von meinem Projekt erzählt, einen Geldbetrag innerhalb eines Jahres zu verdoppeln. Er hatte nur ernst genickt: "Verdoppeln. In einem Jahr. Okay. Lass mich nachdenken." Dann hatte er die Augen geschlossen, ein paar Sekunden geschwiegen und schließlich gesagt: "Ich kenne eine Papiermühle in Nordfinnland. Sie ist extrem unterbewertet. Sie hat ernste Probleme. Der Kurs ist stark gesunken. Wenn sie überlebt, sind 50 Prozent Rendite möglich. Für 100 Prozent brauchst Du Leverage. Kennst Du Leverage?" Ich nickte stolz.

Der Begriff war mir bereits begegnet, als ich mich mit der Immobilienkrise beschäftigt hatte. Leverage bedeutet, durch Aufnahme eines Kredits die Rendite seines Eigenkapitals zu erhöhen. Bis vor kurzem hatte ich geglaubt, dass Schulden ein großes Unglück sind, eine Notlösung, zu der man gezwungen ist, wenn einem das Geld ausgeht. Aber bei meinen ersten Schritten als Finanzinvestorin war mir aufgegangen, dass die größten Schuldner die Reichen waren, weil sie hofften, durch die Aufnahme von Fremdkapital noch mehr Geld zu verdienen, eine Technik, die man "Leveraging" nennt. Sie funktioniert etwa so: Angenommen, ein Fondsmanager investiert 100 Euro und macht einen Gewinn von 11 Euro. Dann hätte ihm sein Kapital eine Rendite von 11 Prozent beschert. Diese könnte er sogar noch erhöhen, wenn er zusätzlich zu den 100 Euro noch einen Kredit von, sagen wir, 200 Euro aufnehmen würde, zu 10 Prozent Zinsen. Das eingesetzte Geld, insgesamt 300 Euro, brächte ihm ebenfalls eine Rendite von 11 Prozent. Dann hätte er 33 Euro verdient, von denen er 20 Euro Kreditkosten abziehen müsste. Summa summarum hätte er also, dank Leverage, 13 Euro gemacht und auf sein eingesetztes Eigenkapital, 100 Euro, eine Rendite von 13 statt 11 Prozent erzielt.

Hedgefonds, Banken, aber auch Hauskäufer machen sich diese Hebelwirkung von Fremdkapital zunutze, eine Technik, die sich immer dann aufdrängt, wenn die Kreditzinsen besonders niedrig sind. Auch Juha erwähnte Alan Greenspans Politik des billigen Geldes, die dazu geführt habe, dass sämtliche Investoren in den letzten Jahren mit extrem viel Fremdkapital operiert hätten. Was natürlich nur dann funktioniere, wenn die Rendite tatsächlich höher ausfalle als die Kreditkosten. Im umgekehrten Fall, wenn sich die Kreditzinsen verteuerten oder der Gewinn nur ein klein wenig sinke, werde aus dem Wunderwerkzeug Leverage schnell ein Bankrott.

"Das klingt nicht so, als ob ich das nachahmen sollte", sagte ich.

"Aber ohne Leverage wirst Du 100 Prozent nicht schaffen." "Schulden sind mir unheimlich", sagte ich. Außerdem vertraute ich nach den Erfolgen der letzten Jahren darauf, dass ich auch aus eigener Kraft eine Rendite von 100 Prozent erwirtschaften könnte.

"Ich hätte gerne bald eine halbe Million", hörte ich mich sagen. "Ich will von den Zinsen leben. Ohne jetzt gierig klingen zu wollen, aber hältst Du es für möglich, dass ich aus 80.000 in ein paar Jahren 500.000 machen kann?" Ich weiß nicht mehr, was genau er darauf geantwortet hat. Aber ich erinnere mich, dass seine hellen Augen abenteuerlustig funkelten. Fast so, als betrachte er mich bereits als eine von ihnen: eine Macherin, ein Gewinnertyp, ein Frau mit Unternehmergeist.

Und so fühlte ich mich auch an diesem Abend. Die Frage war nur, warum ich diese Ader in mir so spät entdeckt hatte.

Teil 1: "Mein Jahr unter Spekulanten"

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