Geschäftsmodell "Banken sind ersetzbar"
mm.de: Herr Wagner, Sie beschäftigen sich mit Geschäftsmodellen von Banken. Ein Ergebnis der Krise scheint für viele die Einsicht zu sein, Banken hätten eben gerade keins. Ist das richtig?
Wagner: Das ist Unsinn, alle Banken haben ein Geschäftsmodell. Die Frage ist nur, ob es funktioniert. Viele meinen, Gier sei der Grund für die Krise. Ich hingegen gehe davon aus, dass sie schlicht und einfach ein Resultat der Erwartungen der Marktteilnehmer ist.
mm.de: Können Sie das erklären?
Wagner: Es gibt Erwartungen an das traditionelle Bankgeschäft, die sind in der Regel eher niedrig. In den vergangenen zehn Jahren haben einige Marktteilnehmer aber sehr hohe Renditeerwartungen entwickelt, die immer weiter hochgeschraubt wurden.
mm.de: Daraus entstand der Schattenbankenbereich - Hedgefonds, Verbriefungen, strukturierte Finanzierungen und so weiter.
Wagner: Genau. Die ständigen Spekulationsblasen der vergangenen Jahre haben dieses Rad immer höher gedreht. Wir leben in einem permanenten "Boom Bubble Bust and Bailout"-Szenario. Die Erwartungen werden immer wieder hochgeheizt. Das führte dazu, dass selbst der kleine Bürger auf einmal Erwartungen entwickelt hat, die in dieser Form früher nicht bestanden.
mm.de: Zu Unrecht?
Wagner: Nicht unbedingt. Die traditionellen Banken haben auf das Schattenbanksystem geschaut, deren hohes Ertragspotenzial gesehen und gedacht, sie müssten dieses auch ihren Anteilseignern bieten. In der Vermögensverwaltung sah man zudem, dass Kunden abwanderten. Im Massengeschäft wollte man das verhindern.
"Was ist der Zweck einer Bank?"
mm.de: Mal abgesehen vom Ertragspotenzial, wie unterscheiden sich das traditionelle Bankgeschäft und der Schattenbereich?
Wagner: Das traditionelle Bankgeschäft war hoch reguliert, das Schattenbankgeschäft hingegen kaum oder gar nicht. Der Marktdruck hat die Erwartungen an die Banken hochgeschraubt, das Ergebnis war ein übermäßiges Schattenbankgeschäft.
mm.de: Dabei können außerbilanzielle Geschäfte als Diversifikationsinstrument aber doch sinnvoll sein?
Wagner: Dieses Geschäft ist an sich auch nicht falsch, aber die Banken haben es nicht in diesem guten Sinne genutzt.
mm.de: Wie sollten sie es nutzen?
Wagner: Die Frage ist, was der Zweck einer Bank ist, welche Rolle sie in der Wirtschaft spielt. Die Geschäftswelt hat zudem Erwartungen an das Geschäftsmodell einer Bank. Nämlich an die Erträge, die sie einfahren kann, an die Wertschöpfung, die sie erbringt.
Diese beiden Erwartungshaltungen konfligieren, und die Regierung versucht, diesen Konflikt durch Regulierung zu lösen. Sie will Geschäftsmodelle und das Rollenmodell der Banken in Einklang bringen. Dass das grandios in die Hose gegangen ist, haben wir gerade gesehen.
mm.de: Können Banken überhaupt Werte schaffen?
Wagner: Wertschöpfung ist für die Anteilseigner und den Kunden möglich. Ich beziehe diese Aussage auf das Geschäftsmodell der Bank. Volkswirtschaftlich gesehen kann man darüber streiten, ob das echte Wertschöpfung ist.
Wenn mein Kurs steigt, dann ist das eine Wertschöpfung für meinen Anteilseigner. Das ist eine mikroökonomische Sicht. Aber man muss die Verbindung von mikro- und makroökonomischer Sicht sehen. Wir schwanken permanent zwischen diesen Sichtweisen hin und her.
"Nur kurzfristig oder auch langfristig denken?"
mm.de: Selbst wenn Banken in diesem Sinn Werte schaffen können, scheint es mit deren Nachhaltigkeit nicht weit her zu sein.
Wagner: Das ist derzeit tatsächlich eine Riesendiskussion, die sich auf das Geschäftsmodell auswirkt. Denn es muss entschieden werden, ob ein Geschäftsmodell nur ökonomische oder auch soziale Werte schaffen soll. Zudem ist die Frage des Zeithorizonts zu klären - wie langfristig will ein Kreditinstitut seine Werte schaffen? Wollen wir nur kurzfristig oder auch langfristig denken?
mm.de: Das scheint auch eine moralische Frage zu sein.
Wagner: Im Grunde ja. Bislang hat sich die Regulierung eher mit dem Geschäft und der Wertschöpfung der Finanzdienstleister beschäftigt. Künftig dürfte sie sich verstärkt um die Gelder drehen, die eine Bank ausschüttet - an den Markt, die Anteilseigner und die Manager. Man denkt darüber nach, ob 25 Prozent Eigenkapitalrendite moralisch zu rechtfertigen sind, oder ob Manager mehr als eine Million Euro verdienen dürfen.
mm.de: Und dieses Geschäftsmodell soll mit dem Rollenmodell zusammenpassen. Welche Rolle haben denn die Banken?
Wagner: Im klassischen Verständnis sind Banken Intermediär und Transmissionsriemen für Geld. Die Banken befinden sich in einem sozialen System, ein wichtiger Bestandteil davon ist das Wirtschaftssystem. Ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftssystems ist das Finanzsystem. Banken sind in diesem System für die Geldschöpfung zuständig. Sie sollen dieses Geld als Intermediär weiterleiten und transformieren. Die Rollenverteilung ist klar.
"Im Status quo erleben wir einen Zirkel"
mm.de: Und muss auch nicht geändert werden?
Wagner: Wir sehen derzeit, dass Banken ersetzbar sind. Wir können sie substituieren. Die Frage ist nur, ob wir das wollen.
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns das Rollenmodell anschauen, das Geschäftsmodell und die Regulierung dazwischen. Erst dann können wir sagen, was wir ändern müssen. Zudem müssen wir uns fragen, ob wir Wettbewerb im Finanzsystem brauchen, oder ob wir das gewinnorientierte Arbeiten dort abschaffen können.
mm.de: Haben Sie bereits ein Zwischenergebnis?
Wagner: Im Status quo erleben wir einen Zirkel: Boom-Bubble-Bust-and-Bailout und wieder von vorn. Das geht seit Jahren so. Das Ziel eines Finanzsystems sollte aber Nachhaltigkeit, das heißt Stabilität und Effizienz sein. Die Frage ist, ob wir dafür die richtige Struktur haben.
mm.de: Es scheint nicht so.
Wagner: Wir haben einen regulierten Finanzsektor, in dem aber fast alles möglich ist: Aktiengesellschaften und Genossenschaftsbanken, lokale und globale Banken, Spezialbanken und Universalbanken, und so weiter. Von diesen Beobachtungen ausgehend habe ich drei Szenarien entworfen, wie es weiter gehen könnte.
mm.de: Wie sieht Szenario eins aus?
Wagner: Wir verstaatlichen. Beispielsweise, indem wir Entlastungsbanken - sogenannte Bad Banks - gründen, die den Instituten helfen sollen, ihre Rolle zu erfüllen. Oder aber indem Staaten Anteile von Finanzinstitutionen kaufen, wie es gerade in Deutschland passiert.
Die Amerikaner hingegen kaufen ihre Staatsanleihen über die Fed an, und drucken auf diese Weise Geld. Das ist ein massiver Eingriff in das Rollenmodell. Eine weitere Möglichkeit ist die komplette Verstaatlichung des Finanzsektors.
mm.de: Was ist davon zu halten?
"Im Notfall werden nur die wichtigen Häuser gerettet"
Wagner: Die Folgen dieses Szenarios sind empirisch sehr gut untersucht. Sie sind vernichtend: fehlender Wettbewerb, Protektionismus, niedrigere Produktivität und geringeres Wirtschaftswachstum, um nur einige Konsequenzen zu nennen.
mm.de: Szenario zwei?
Wagner: Szenario zwei ist die alte Sektoreneinteilung der Amerikaner: Wir trennen Geschäfts- und Investmentbanken wieder voneinander.
mm.de: Was spricht dafür, was dagegen?
Wagner: Dafür spricht beispielsweise, dass auf diese Weise ein Schutzwall für die Ersparnisse aufgebaut wird, und dass Interessenkonflikte vermieden werden. Dagegen spricht, dass dieses Vorgehen die Rolle der Banken reduziert. Sie separiert die Branche in lokale Geschäftsbanken und die multinationalen Investmenthäuser. Das war für etwa 70 Jahre die Lösung in den USA. Die Frage ist nur, ob diese Trennung in einer immer stärker globalisierten und vernetzten Welt sinnvoll ist.
mm.de: Was bietet das dritte Szenario?
Wagner: In diesem Szenario gibt es große Institute, die systemisch relevant sind, und andere kleine Institute. Um die großen zu bestimmen, gibt es verschiedene Methoden, wie beispielsweise die grenzüberschreitende Wichtigkeit eines Instituts. Dieses Vorgehen schlägt der De-Larosière-Report vor. Eine andere Möglichkeit wäre, nur die Marktführer als systemrelevant zu definieren. Die dritte Möglichkeit wäre eine Einteilung nach der funktionalen Rolle, wie zum Beispiel der Rolle im Zahlungsverkehr.
Die systemrelevanten Institute werden stärker reguliert und beaufsichtigt, dafür werden sie im Notfall aber auch gerettet. Dann stehen dem moralischen Risiko wieder Tür und Tor offen: Wer weiß, dass er gerettet wird, verhält sich dementsprechend. Ich halte diese Idee für interessant, aber nur schwer für umsetzbar.
mm.de: Wäre dieses moralische Risiko eingrenzbar?
Wagner: Das ist eine Frage der Regulierung. Es gibt beispielsweise Untersuchungen, die zeigen, dass Systeme mit schmalen Einlagensicherungen stabiler sind als solche mit üppigen Fonds. Es ist also die Frage, wie man die Anreize setzt, oder wie eine Rettungsaktion gestaltet wird.
mm.de: Welches Szenario bevorzugen Sie?
Wagner: Im ersten Fall haben wir keine Marktwirtschaft mehr, im zweiten keine Konglomerate mehr, im dritten keine globalen Institute mehr. Ich denke, es müsste uns gelingen, den regulatorischen Rahmen so zu gestalten, dass wir die Probleme in den Griff bekommen, ohne große strukturelle Änderungen des Finanzsystems vornehmen zu müssen. Strukturelle Begrenzungen passen nicht in eine sich immer weiter globalisierende Wirtschaft.