Arbeitsmarktdaten Die Tricks der Arbeitsagentur
Dass wir uns in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden, dürfte inzwischen auch dem letzten Optimisten klar geworden sein. Dass es sich um eine ausgewachsene Krise handelt, versucht die Politik hingegen immer noch zu vertuschen. Und so werden auch jetzt Zahlen "zurechtgebogen". Doch um eine Krise von diesem Ausmaß zu bewältigen, muss man Tacheles reden. Darum sollten die Regierenden in Berlin endlich dem Motto einer alten Fernsehsendung folgen: "Sag die Wahrheit". Allerdings ist man davon weit entfernt, wie der Umgang mit den Arbeitslosenzahlen leider nur zu deutlich zeigt.
Die Agentur für Arbeit hat für den Monat April eine Arbeitslosenzahl von rund 3.585.000 bekannt gegeben. Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg rechnet in diesem Jahr mit durchschnittlich 3,7 Millionen Arbeitslosen und für 2010 mit 4,6 Millionen Menschen ohne Arbeit. So weit - so schlecht.
Aber was sagen diese Zahlen aus?Sind alle anderen entweder noch zu jung für den Arbeitsmarkt oder sind sie bereits Rentner und Pensionäre? Sind mit diesen Zahlen wirklich alle Arbeitslosen erfasst? Die Antwort ist ebenso klar wie bitter: nein.
Trick Nummer 1
Trick Nummer 1: Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik
Im Sozialgesetzbuch III (SGB III) findet sich im § 16 folgender Hinweis: "Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gelten als nicht arbeitslos" (§ 16 Abs. 2 SGB). Was ist damit gemeint?
Nun, hier handelt es sich um Menschen, die zum Beispiel an Qualifizierungsmaßnahmen oder Berufsberatungen teilnehmen. Sie werden nicht als arbeitslos geführt, weil sie während dieser Zeit nicht zur Vermittlung zur Verfügung stehen. Im April waren dies laut Bundesagentur 897.000 Menschen.
Rechnet man diese Gruppe, die ja nach der Maßnahme wieder arbeitslos wird, der offiziellen Arbeitslosenzahl hinzu, sprechen wir nun schon 4,482 Millionen Arbeitslosen.
Trick Nummer 2
Trick Nummer 2: die Altersfalle
Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr erreicht oder überschritten haben, werden ebenfalls nicht mehr als Arbeitslose erfasst, wenn sie ein Jahr Leistungen aus der Grundsicherung bezogen haben und ihnen in diesem Zeitraum kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsangebot gemacht werden konnte (§ 531 SGB III). Laut Bundesagentur für Arbeit belief sich die Zahl dieser Personen auf rund 15.000 Fälle, die wir ebenfalls der Arbeitslosenzahl hinzuzählen müssten - somit kommen wir jetzt auf 4,497 Millionen Menschen ohne Job.
Trick Nummer 3
Trick Nummer 3: Ein-Euro-Job
Und was ist mit sogenannten Ein-Euro-Jobbern? Man könnte annehmen, dass diese Gruppe in der offiziellen Zahl geführt wird, weil sie ja Arbeitslosengeld erhalten. Doch weit gefehlt. Sie arbeiten ja - wenn auch nur für einen Euro pro Stunde.
Eine Anfrage der Linken beantwortete die Bundesregierung im Mai vorigen Jahres dahin gehend, dass auf 100 Langzeitarbeitslose rund 12 Ein-Euro-Jobber kommen, die nicht in der Statistik auftauchen. Im Bericht vom April dieses Jahres meldet die Bundesagentur für Arbeit 964.000 Langzeitarbeitslose. Geht man von einem Satz von 12 Prozent aus, müssten also der Statistik noch einmal 114.680 Arbeitslose hinzugerechnet werden. Damit wäre die reale Arbeitslosenzahl jetzt schon auf 4.611.680 angewachsen.
Trick Nummer 4: Da geht doch noch was
Leider ist die Zahl von rund 4,6 Millionen Arbeitslosen immer noch nicht realistisch. Denn hier fehlen ja noch Jugendliche, die sich nicht bei der Agentur gemeldet haben, weil sie keine Ansprüche haben oder kranke Arbeitslose, die die Statistik ebenfalls nicht erfasst.
Die realistische Zahl liegt bei knapp sechs Millionen
Realistische Zahl: knapp sechs Millionen
Die realistische Zahl der Arbeitslosen in Deutschland dürfte derzeit bei knapp sechs Millionen liegen. Das bestätigt übrigens die Bundesagentur für Arbeit, die in ihrem Rechenschaftsbericht für April 2009 schreibt: "Nach einer vorläufigen Hochrechnung bekamen im April 5.988.000 erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen nach dem SGB III oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, 10.000 oder 0,2 Prozent mehr als vor einem Jahr."
Indes macht die Bundesagentur in ihrem Rechenschaftsbericht selbst deutlich, was sie unter "Arbeitslosen" versteht. Da heißt es nämlich: 51 Prozent bekamen Leistungen, ohne arbeitslos zu sein. Gründe dafür können unter anderem sein: vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, die Teilnahme an Maßnahmen der Arbeitsförderung, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von mehr als 15 Wochenstunden oder eine eingeschränkte Verfügbarkeit wie etwa durch Kindererziehung oder Schulbesuch.
"Sag die Wahrheit"
Unterstellen wir einmal, dass die Politikerinnen und Politiker dieses Verwirrspiel veranstalten, um die Bevölkerung zu beruhigen und Panik zu vermeiden. Das mag nachvollziehbar sein - der richtige Weg ist es aber nicht. Denn nur wenn wir alle die ganze Wahrheit kennen, dürften einschneidende Maßnahmen richtig verstanden werden. Und nur so könnten unvermeidlich schmerzhafte Schnitte auf mehr Akzepttanz beim Bürger treffen.
Die beiden Bundespräsidentschaftskandidaten von CDU und SPD haben sich zu der Problematik der sozialen Unruhen in Deutschland geäußert: Gesine Schwan (SPD) schloss dabei eine explosive Stimmung nicht aus. Der amtierende Bundespräsident Horst Köhler widersprach der Rivalin und ist davon überzeugt, dass man die Krise meistern kann.
Wer hat nun Recht? Letztlich beide: Ganz sicher sind Unruhen bei einer sich weiter verschärfenden Lage nicht auszuschließen - andererseits hat die Bundesrepublik die Kraft und die Möglichkeiten, auch diese Situation zu meistern und es macht wenig Sinn unnötig Öl ins Feuer zu gießen, indem man ein Horrorszenario an den Himmel schreibt.
Die Menschen in diesem Land haben die Kraft und den Willen, diese Krise zu meistern. Um dieses Ziel zu erreichen, darf man sie aber nicht mit Halbwahrheiten abspeisen. Nur wer die Wahrheit kennt, kann die Maßnahmen verstehen, die notwendig sind, um aus der Krise herauszukommen. Darum ist die Politik aufgefordert: "Sag die Wahrheit"!