Bankgeheimnis Ein Schweizer Mythos bröckelt
Bern - Die Herausgabe von Kundendaten der UBS an den US-Fiskus ist der vorerst letzte Akt einer jahrzehntelangen Abwehrschlacht, die die Schweiz um ihr Bankgeheimnis führt. Auf ausländischen Druck hat das Land immer wieder Konzessionen gemacht. Die Finanzkrise droht den Mythos Bankgeheimnis nun ganz vom Sockel zu stoßen.
Das Bankgeheimnis sei unantastbar wie eine Klosterfrau, stellte der sozialdemokratische Finanzminister Willi Ritschard in den 1980-er Jahren fest. Zwei Jahrzehnte später gab einer seiner Nachfolger, Kaspar Villiger, die Maxime heraus, die auf dem Finanzplatz offiziell heute noch gilt: "Das Bankgeheimnis ist unverhandelbar."
Das Entsetzen auf dem Finanzplatz war 2004 deshalb groß, als der Doyen der Schweizer Privatbankiers, Hans J. Bär, es wagte, das Bankgeheimnis in seinem Kerngehalt in Frage zu stellen. Das Bankgeheimnis mache fett, aber impotent, stellte der Doyen der Schweizer Privatbankiers in seiner Autobiografie fest. Die Schweizer Besonderheit, wonach zwischen Steuerhinterziehung als bloße Übertretung und Steuerbetrug als Strafdelikt unterschieden wird, bezeichnete Bär als unethisch.
Das Bankgeheimnis ist seit 1934 unverändert im Bankengesetz verankert. Ein Versuch, historische Relikte wie die Bestrafung der fahrlässigen Verletzung und des Anstiftungsversuchs fallen zu lassen, wurde vom Bundesrat begraben, nachdem das Volk zur weitergehenden sozialdemokratischen Bankeninitiative im Mai 1984 mit 73 Prozent Nein gesagt hatte.
Rund vier Fünftel der Bevölkerung bestätigen in Umfragen im Auftrag der Bankiervereinigung Jahr für Jahr, dass sie am Bankgeheimnis festhalten wollen. Dass auch Steuerflüchtlinge den Schutz des Bankgeheimnisses genießen sollen, wird in anderen Umfragen allerdings nur von einer Minderheit befürwortet.
Bankgeheimnis als Schweizer Käse
Auch wenn am Bankgeheimnis selber bisher nicht gerüttelt wurde, hat die Schweiz dessen Schutz in den vergangenen Jahrzehnten bereits so stark eingeschränkt, dass Kritiker das Bild vom löchrigen Schweizer Käse benutzen. Dies hängt damit zusammen, dass das Bankgeheimnis Straftäter nicht schützt und ihre Bankunterlagen auf dem Weg der Amts- und Rechtshilfe auch zur Strafverfolgung im Ausland zur Verfügung gestellt werden.
Seit den 1980-er Jahren führte die Schweiz eine Reihe von neuen Straftatbeständen ein, um zu verhindern, dass sich dubiose Akteure auf dem Finanzplatz hinter dem Bankgeheimnis verstecken können. Dabei reagierte die Schweiz fast ausnahmslos auf ausländischen Druck. So wurde in den 1980-er Jahren eine Strafnorm gegen den Insiderhandel an der Börse erlassen, nachdem die USA Schweizer Banken in der Insideraffäre Santa Fe mit einem Geschäftsverbot gedroht hatten.
Unter dem Eindruck der Skandale um die Gelder von korrupten Dritt-Welt-Potentaten folgte in den 1990-er Jahren eine Kaskade von Geldwäscheerlassen. Parallel zur Erweiterung des Strafrechts wurden auch die Mechanismen der Amts- und Rechtshilfe ausgebaut. Versuche der politischen Linken die internationale Zusammenarbeit auch auf Fälle von Steuerhinterziehung auszudehnen, wurden von der bürgerlichen Mehrheit des Parlaments aber stets abgeblockt - zuletzt im Frühling 2007 im Nationalrat.
Ausnahmen machte die Schweiz besonders im Falle der USA aber immer wieder. So leistet sie seit Jahrzehnten Rechtshilfe an die USA, wenn die Steuerhinterziehung in Verbindung mit dem organisierten Verbrechen steht.
Die Amtshilfe wurde 2003 nach langem Ringen in einem Zusatzprotokoll samt Fallbeispielen erweitert, die Kritikern zufolge darauf hinauslaufen, dass die Schweiz den USA auch Informationen liefert, die im Schweizer Recht als bloße Steuerhinterziehung gelten.
Finanzkrise zwingt zu Konzessionen
Heftig umstritten waren auch die Konzessionen der Schweiz an den US-Krieg gegen den Terrorismus nach dem 11. September 2001. Und in Erinnerung ist die Publikation von Tausenden von Bankkundendaten aus der Nazizeit, zu der sich die Schweiz im Zug der Untersuchung des Volcker-Komitees bereit erklärte.
Im Falle der indirekten Steuern machte die Schweiz auch bei den bilateralen Verhandlungen mit der EU eine heiß umstrittene Konzession. Im 2004 abgeschlossenen Betrugsabkommen wurde die Amts- und Rechtshilfe unter gewissen Bedingungen auf die Hinterziehung von indirekten Steuern ausgedehnt.
Im Gegenzug lenkte die EU bei der Zinsbesteuerung ein, was den Präsidenten der Bankiervereinigung und Genfer Privatbankier Pierre Mirabaud zur Aussage verleiten ließ, das Bankgeheimnis sei für mindestens 15 Jahre "betoniert". Der nun erfolgte "Sündenfall" in der UBS-Affäre, der Druck der OECD sowie der Nachbarländer Deutschland und Frankreich auf die als "Steueroase" angeprangerte Schweiz, machen deutlich, dass die Finanzkrise einen dicken Strich durch diese Prognose machen könnte.
Hinter vorgehaltener Hand werden auch in Behördenkreisen und auf dem Finanzplatz Alternativen zur Bankgeheimnis-Durchhalteparole erörtert. Kosten-Nutzen-Überlegungen werden angestellt und die Forderung erhoben, es gelte in internationalen Verhandlungen für die Lockerung des Bankgeheimnisses möglichst viel herauszuholen.
Balz Bruppacher, ap