Finanzkrise Wenn Fannie und Freddie wanken
Hamburg - Bear Stearns war nur ein müder Aufgalopp. Als die US-Notenbank Mitte März die taumelnde Investmentbank durch einen Notverkauf an den Konkurrenten JP Morgan Chase vor der Pleite rettete, atmeten viele Investoren auf. Nach einer solch spektakulären Rettungsaktion, so lautete die von vielen Bankvorständen geschürte Hoffnung, müsste die Kreditkrise doch halbwegs überstanden sein.
Weit gefehlt. Vier Monate später geht es nicht mehr um irgendeine Investmentbank mit knapp 400 Milliarden Dollar in den Büchern. Diesmal geht es um die beiden weltgrößten Immobilienfinanzierer, die gemeinsam Hypotheken im Wert von 5,3 Billionen Dollar angehäuft haben. Das ist rund die Hälfte aller ausstehenden Hypotheken in den USA und entspricht rund einem Drittel des US-Bruttoinlandsprodukts.
Fannie Mae und Freddie Mac sind das Herz und die Seele des US-Hypothekenmarkts. Fallen sie, kollabiert der Markt. Diesmal geht es also richtig zur Sache, und diesmal wird es deutlich teurer.
Rettungsplan in höchster Not
Verständlich, dass US-Regierung und US-Notenbank sogleich in höchster Not einen Rettungsplan ausgerufen haben. Die beiden Hypothekenbanken sollen bei Bedarf Geld direkt von der US-Zentralbank bekommen - zu günstigen Zinsen von 2,2 Prozent. Zusätzlich will Finanzminister Henry Paulson den Kreditrahmen der beiden Institute von derzeit 2,25 Milliarden Dollar erhöhen sowie im Notfall Anteile an den beiden Instituten kaufen, um den wankenden Riesen in der aktuellen "Stressphase" beizustehen.
Dies verschafft Investoren eine Atempause. Doch eine Rettung ist das noch lange nicht: Das sehen offenbar auch die Investoren an der Wall Street so. Die Aktie von Fannie Mae, die am Montag bei 12,80 US-Dollar an der Wall Street gestartet war, gab im Handelsverlauf ihre Gewinne wieder ab, Dow Jones und Nasdaq Composite schlossen im Minus. Die dunklen Wolken sind nicht vertrieben.
Grund für die Schieflage von Fannie Mae und Freddie Mac ist nicht nur der Absturz der US-Immobilienpreise, sondern vor allem die Zwitternatur der beiden halbstaatlichen Institute.
Gefährliches Wachstum
Gefährliches Wachstum der Mischwesen
Fannie Mae und Fannie Mac spielen seit Jahren nach eigenen Regeln, haben aber ebenso wie viele private Banken den Blick für das Risiko verloren.
Ihr ungehemmtes, aggressives Wachstum war gestützt auf staatliche Privilegien: Nun droht ein Bumerang in einem bisher unbekannten Ausmaß.
Warum sind Fannie Mae und Freddie Mac so groß, so anfällig und damit so gefährlich geworden? 1938 gründete Präsident Franklin D. Roosevelt als Teil des "New Deal" die "Federal New Mortgage Association" (FNMA) mit dem Ziel, mehr Amerikanern durch günstige Finanzierungen zu einem eigenen Haus zu verhelfen. Das Kürzel FNMA, ausgesprochen "Fannie Mae", wurde später offizieller Firmenname. 1970 kam als "Zwillingsbruder" die Federal Home Loan Mortgage Corporation (FHLM), genannt "Freddie Mac", hinzu.
Das Prinzip: Fannie Mae und Freddie Mac kaufen anderen Banken Hypothekendarlehen ab und besorgen sich das Geld dafür durch Anleihen auf dem Kapitalmarkt. Banken können damit Hypothekenkredite weiterreichen, die damit verbundenen Risiken loswerden und Platz für neue Kredite an Häuslebauer schaffen.
Dieses System hat über viele Jahre blendend funktioniert und US-Bürgern eine günstige Hausfinanzierung ermöglicht. Auch seit Beginn der US-Immobilienkrise sind Fannie und Freddie praktisch die einzigen Institute, die Hypothekendarlehen refinanzieren und den Markt damit am Leben halten.
Mit billigem Geld Risiken aufkaufen
Mit billigem Geld Risiken aufkaufen
Doch Fannie und Freddie sollen nicht nur für die nötige Liquidität am US-Immobilienmarkt sorgen. Seit ihrer Privatisierung und ihrem Gang an die Börse (Fannie Mae im Jahr 1970, Freddie Mac 1989) sollen sie auch den Gewinn ihrer Anleger maximieren. Eine Aufgabe, die sie durch aggressives Wachstum in Zeiten des Booms zu lösen versuchten.
Die Riesen wurden immer größer, das Fundament, auf dem sie standen, immer brüchiger. Die Strategie schien auf den ersten Blick verlockend. Die Zentralbank gab ihnen Zugang zu billigem Geld, ihre Sonderstellung mit Fed und Regierung im Rücken sorgte für ein exzellentes Kreditranking.
Was lag näher, um mit dem vielen billigen Geld hoch verzinste Anleihen zu kaufen, um von der Zinsdifferenz zu profitieren und Anleger zufriedenzustellen? Dass sich damit auch wachsende Risiken in den Büchern anhäuften, sah das Management sehr gelassen. Viele private US-Investmentbanken haben noch im Frühjahr 2008 die Möglichkeit genutzt, problematische Hypothekenkredite mit einem Abschlag bei Fannie und Freddie loszuwerden.
1 Dollar Kapital für 1000 Dollar Risiko
Mit dem Fall der Immobilienpreise schmilzt auch das Buchvermögen von Fannie und Freddie im Rekordtempo. Seit Sommer 2007 haben sie nach Berechnungen von CNN bereits mehr als 12 Milliarden Dollar abschreiben müssen. Nun rächt sich die Strategie, auf der Jagd nach Rendite immer mehr Risiken anzuhäufen, ohne - im Vertrauen auf die schützende Hand der Fed - ausreichende Rückstellungen dafür zu bilden.
Die Verhältnisse sind aberwitzig: Einem Dollar Eigenkapital stehen bei Fannie und Freddie jeweils fast 1000 Dollar an Krediten und Garantien gegenüber. Bei Bear Stearns waren es nicht einmal 40 Dollar.
Zu groß, um sie sterben zu lassen
Zu groß, um sie sterben zu lassen
Fannie und Freddie, die beiden Riesen, sind seit der Jahrtausendwende nicht nur durch Falschbilanzierungen aufgefallen. Sie müssen sich zudem laufend über neue Anleihen am Kapitalmarkt refinanzieren. Dies wird für beide immer schwieriger: Reiche Staatsfonds aus den Schwellenländern haben sich bereits bei der Refinanzierung großer US-Banken wie der Citigroup die Finger verbrannt und dürften nun erst einmal die Taschen geschlossen halten.
Wenn aber niemand mehr den beiden Hypothekenfinanzierern vertraut und ihnen niemand mehr Geld geben will, bleibt der US-Regierung nichts anderes übrig, als die beiden Institute wieder zu verstaatlichen.
Denn die Mischwesen Fannie und Freddie sind zu groß geworden, um sie einfach sterben zu lassen.
US-Regierung und Notenbank haben die Kontrolle über die jahrelang gehegten Zwitter verloren. Seit dem Frühjahr hat die US-Aufsicht die Vorschriften für die beiden Häuser immer weiter gelockert - bislang ohne Erfolg. Sie gelten als "tragende Säulen" des Immobilienmarkts, doch das Material, das sie angemischt haben, ist nicht tragfähig.
Stürzen die beiden, würde der US-Immobilienbank endgültig kollabieren. Sie müssen also gerettet werden, um jeden Preis, den notfalls der Steuerzahler bezahlen muss. Einer Studie von Lehman Brothers zufolge benötigen Fannie und Freddie rund 75 Milliarden Dollar frisches Kapital. Wie übersichtlich und leicht zu handhaben war doch die Krise von Bear Stearns.
Kreditkrise: Höher reizen und bluffen Im Zeitraffer: Stationen der Krise