Dax-Geflüster Importiertes Misstrauen
Düsseldorf/Hamburg - Es nützt alles nichts. Die guten Zahlen der größten Aktiengesellschaften zum Beispiel. Ob Allianz, Bayer oder Tui - gleich 24 der 30 Unternehmen, deren Titel im Frankfurter Aktienleitindex Dax enthalten sind, haben in den vergangenen Tagen von guten Geschäften berichtet - von so guten, dass selbst die teils hochfliegenden Erwartungen der Analysten nochmals übertrumpft worden sind.
Auch das Statistische Bundesamt weiß zumindest grundsätzlich Positives zu berichten. Die Wirtschaft in der Bundesrepublik habe im dritten Quartal erneut deutlich zugelegt. Nimmt man die ersten neun Monate dieses Jahres zusammen, addiert sich das Wirtschaftsplus verglichen mit dem Boomjahr 2006 auf mehr als 2,7 Prozent.
Der Zukunft deutscher Unternehmen trauen viele Anleger offenbar dennoch nicht. Die Firmen könnten künftig nicht mehr so viel verdienen wie in der Vergangenheit, hört man oft. Die guten Daten nützen bei dieser Stimmung daher nichts. In den vergangenen zwei Wochen büßte der Dax fast 400 seiner damals gut 8000 Indexpunkte ein. "Wir erleben einen importierten Vertrauensverlust aus Amerika", beschreibt Christoph Berger die Lage, Fondsmanager bei der Cominvest. "Deshalb werden die Kurse in Frankfurt am Main mittlerweile in New York gemacht", sagt auch Karsten Stroh, Leiter des Aktienteams von J. P. Morgan Asset Management in Frankfurt. "Die Vertrauenskrise der Anleger in Amerika hat jetzt die Bundesrepublik erreicht."
Tatsächlich droht vielen juvenilen Enddreißiger-Bankern erstmals in ihrem Berufsleben unangenehm Neues: Nach 63 sagenhaften Quartalen, in denen die Amerikaner mehr konsumierten als in der jeweiligen Dreimonatsperiode zuvor, droht Amerikas Wirtschaft nach Angaben der nationalen Statistikbehörde zu kippen - und zwar so richtig. Denn die Bürger der größten Volkswirtschaft der Welt sehen sich mittlerweile der üblen Kombination aus hohen Energiekosten, sinkenden Immobilienpreisen, abnehmenden Arbeitsplatzzahlen und zugeknöpften Banken bei der Kreditvergabe gegenüber. Das gab es zuletzt 1991. Und wie damals schlägt sich das zuerst in den besonders sensiblen Teilindizes der amerikanischen Börse nieder.
Das standhafte Deutschland
Das standhafte Deutschland
Während der große Standard & Poor's-500-Index (S&P 500) auf Jahressicht noch hauchdünn im Plus rangiert, sind die S&P-500-Branchenauswertungen für Finanztitel und die zyklischer Konsumunternehmen bereits zweistellig ins Minus gerutscht. Vor 16 Jahren rauschte anschließend der gesamte Index um etwa 8 Prozent auf Jahressicht in den Keller.
Sollte sich die Börsengeschichte in der Tendenz wiederholen, dürfte der Kurseinbruch auch andernorts auf der Welt zu spüren sein. Schließlich sind die Aktienmärkte weltweit durch die Globalisierung der Waren- und Handelsströme noch viel stärker miteinander verwoben, als es Anfang der 90er Jahre der Fall war. Die Bundesrepublik müsste das als international ausgerichteter Handelsstaat dann zu spüren bekommen - entsprechend steht der Dax unter Druck. "Die Anleger warten auf den besten Einstiegszeitpunkt, glauben aber nicht daran, den bereits jetzt zu sehen. Also warten sie ab", sagt Berger. "Und suchen nahezu nach negativen Aspekten der Quartalszahlen."
Die Skepsis umspannt allerdings nicht den gesamten Globus. Für Indien, China oder auch Brasilien gilt sie offenbar nicht. Die Länder glänzen unbeeindruckt von Amerikas Hypotheken- oder Immobilienkrisen mit teils zweistelligen Wachstumsraten, und die Schwellenlandbörsen sind im entsprechenden Rausch: Der meist beachtete Sammelindex der neuen Wirtschaftsstars, der MSCI Emerging Markets Index, hat in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 50 Prozent zugelegt. Allein seit dem 18. August mehr als 30 Prozent - das war der Tag, an dem Amerikas Notenbank aus Angst um die eigene Konjunktur die Leitzinsen hastig nach unten prügelte.
Dank der Verflechtung der Handelsnation Deutschland profitiert der Dax aber zugleich von dem scheinbar autonomen Boom der Schwellenländer. "Deutsche Firmen haben sich sehr gut geschlagen, weil der große Industriesektor viel in die aufstrebenden Länder exportiert", sagt William Davis, Herr der europäischen Aktien bei Threadneedle. "Und das wird sich so schnell auch nicht ändern. In den meisten Fällen ist der Optimismus der deutschen Unternehmen daher begründet."
Deutschlands Dax-Entwicklung ist deshalb nicht so paradox, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Zwar steht der Index unter Druck, denn die 30 Dax-Firmen machen im Schnitt bereits einen erheblichen Teil ihres Umsatzes im Ausland - auch in Amerika, wo es bergab zu gehen droht. Doch viele deutsche Firmen sind auch beliebte Schwellenlandlieferanten, etwa für Maschinen und Anlagen. Das stützt.
Und tatsächlich, verglichen mit Frankreichs CAC-40-Index, Italiens MIB 40, Großbritanniens FTSE 100 oder gar dem japanischen Nikkei-225 zeigt sich der Dax dann noch geradezu standhaft. Deren Minus fiel in den vergangenen zwei Wochen viel größer aus als die 300 Punkte, die der Dax einbüßte. Das importierte Misstrauen aus Amerika traf diese Wirtschaftsnationen also zuletzt noch viel stärker.
Zudem sollte bald auch die Binnenkonjunktur Deutschlands die Börse hierzulande endlich stützen, so die Einschätzung etlicher Experten. Immerhin konnte Deutschland unter allen westlichen Industrienationen die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr am deutlichsten senken. Für die Börse lässt das hoffen: "Es geht weiter aufwärts mit dem Dax", prognostiziert J.P.-Morgan-Mann Stroh. "Wenn auch nicht mehr so steil." Und der Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel sekundiert: "Wir rechnen damit, dass der Dax in den kommenden drei Monaten wieder die 8000-Punkte-Marke erreicht."