Börse in Not Eine Seuche namens Subprime
Hamburg - Damals, im März, hatten Anleger die Sorgen am US-Immobilienmarkt noch abgeschüttelt wie eine lästige Mücke im Frühsommer. Ein paar Hypothekenanbieter wie New Century, die Geld an Kunden mit schwacher Bonität verliehen hatten, waren in Schwierigkeiten, nun ja. Nach einem kurzen Kursrutsch ging es nach wenigen Tagen wieder bergauf: Man will sich die Rekordjagd nicht von ein paar schlecht besicherten Krediten verderben lassen.
Doch nun kehren die Störenfriede zurück. Es sind viele, und sie sind womöglich ansteckend. Analysten an der Wall Street sprechen bereits von einem "subprime contagion": Nicht nur für den US-Immobilienmarkt, sondern für den gesamten Finanzmarkt besteht Ansteckungsgefahr.
S&P zieht die Bremse
Die Ratingagentur Standard & Poors (S&P) hat gestern die Bremse gezogen und angekündigt, dass sie zweitrangig gedeckte Hypothekenanleihen im Wert von insgesamt rund zwölf Milliarden Dollar überprüfen und möglicherweise herabstufen wird. Viel zu spät, behaupten Kritiker.
Die Kreditwächter gehen also davon aus, dass eine steigende Zahl von Krediten aus diesem Sektor nicht mehr zurückgezahlt werden kann und "ausfallen" wird: An der Wall Street reagierten die Indizes mit deutlichen Abschlägen, und auch der Dax beschleunigte am Mittwoch seinen Abwärtstrend.
"Kredite wie durchlaufende Posten behandelt"
Das Problem sind nicht nur steigende Zinsen und fallende Immobilienpreise, sondern vor allem die lockere Kreditvergabe in den USA.
Kunden mit geringen oder gar keinen finanziellen Reserven haben in den vergangenen Jahren von ihren Kreditinstituten großzügige Hypothekendarlehen erhalten: Nach einer Untersuchung von Goldman Sachs wurden 2005 fast 60 Prozent der variabel verzinsten Kredite an Kunden ohne Eigenkapital vergeben. Ein riskantes Spiel, das nur funktioniert, so lange die Zinsen niedrig bleiben und die Häuserpreise steigen. Derzeit geschieht in den USA jedoch das Gegenteil: Steigende Zinsen und fallende Immobilienpreise bringen zahlreiche Schuldner in Schwierigkeiten, es drohen Zwangsversteigerungen und - je nach Erlös - ein teilweiser Ausfall der Kredite.
Dass Schuldner auch mal zahlungsunfähig werden, gehört zum normalen Geschäft. Aus diesem Grunde gibt es Risikoprämien für Kredite: Je weniger finanzielle Sicherheiten ein Schuldner bieten kann, desto höher ist die Risikoprämie. Oder sollte sie zumindest sein.
Wie beim Hütchenspiel
Wie beim Hütchenspiel
Stattdessen schien das Risiko im schwunghaften Kreditvergabe-Spiel der Wall Street zeitweilig verschwunden. Viele Banken behielten die schlecht besicherten Kredite nicht in ihren eigenen Büchern, sondern verpackten sie neu, zum Beispiel in die jetzt von S&P herabgestuften Hypothekenanleihen (RMBS-Papiere), und reichten sie an andere Spieler weiter. Zum Beispiel an Hedgefonds.
"Darlehen wurden wie durchlaufende Posten behandelt", sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank. "Kreditwürdigkeitsprüfung empfanden viele Banken als Fremdwort." An der großzügigen Kreditvergabe und dem Weiterverkauf der Kredite an hochspekulative Investoren haben die großen US-Investmentbanken in den vergangenen Jahren glänzend verdient: So lange die Konjunktur brummte, Häuserpreise stiegen und Darlehen bedient wurden, schien es keine Verlierer zu geben.
Das Kreditrisiko schien verschwunden wie die Kugel in einem Hütchenspiel. Die Kunst bestand darin, Darlehen mit geringen Sicherheiten immer neu zu verpacken, zum Beispiel in "Collateralized Debt Obligations" (CDOs). "Strukturierte Kreditprodukte" heißen diese Hüllen, in denen in den vergangenen Jahren zahllose "subprime loans" zusammengepackt und meist an Hedgefonds weitergereicht wurden. Die Folge ist maximale Intransparenz.
"Auf Hedgefonds könnten Probleme zukommen", warnte kürzlich Alexander Dibelius, Deutschland-Chef bei Goldman Sachs, in einem Zeitungsinterview. "Wir wissen doch heute überhaupt nicht mehr, wer über welche Kapitalmarktinstrumente welche Risiken in seinen Büchern hat."
Doch nun werden die ersten Hütchen gelüftet, und das Risiko taucht wieder auf.
Investoren zum Verkauf gezwungen
Investoren zum Verkauf gezwungen
Zunächst erwischte es zwei Hedgefonds der US-Investmentbank Bear Stearns, die sich mit CDOs verspekuliert hatten. Bear Stearns musste 1,6 Milliarden Dollar in die Hand nehmen, um zumindest einen der Fonds zu retten. Weitere Hedgefonds-Krisen sind wahrscheinlich: Der Markt der CDOs in den USA hat ein Volumen von mehr als einer Billion Dollar, wobei jedoch nicht nur mit riskanten Subprime-Darlehen gehandelt wird.
Die jüngste Einschätzung der Deutschen Bank, wonach bei mit Subprime-Krediten besicherten CDOs Verluste zwischen 50 und 90 Milliarden Dollar drohen, ist wohl noch eher konservativ.
Die Herabstufung verschiedener Hypothekenanleihen durch die Kreditagentur S&P könnte am Markt eine Kettenreaktion auslösen. Viele Investoren sind zum Verkauf solcher Anleihen gezwungen, sobald das Kreditrating eine bestimmte Stufe unterschreitet. Doch neue Käufer zu finden dürfte nicht so leicht sein, sobald das Wort "Risiko" wieder laut ausgesprochen wird.
"Die Bereinigung der Exzesse wird sich in den kommenden Monaten negativ auf die Gewinne der Banken auswirken", sagt Hellmeyer. "In diesem Maße wird die Risikoaversion steigen und auch zu einer veränderten Kreditvergabepraxis führen."
Bremse für Verbraucher und für Firmenjäger
Kommt das Kreditvergabekarussell zum Stillstand, droht den globalen Finanzmärkten auch von anderen Seiten Ungemach. Der Großteil der US-Wirtschaftsleistung geht auf den privaten Konsum zurück: Schränkt der US-Bürger seinen Konsum ein, weil er entweder keine neuen Kredite mehr bekommt oder seine alten Kredite nicht mehr bedienen kann, dürfte die Wall Street sehr empfindlich reagieren. Die Banken dürften nach vier goldenen Jahren die nun möglichen Milliardenverluste aus ihrem laxen Kreditgeschäft durchaus verkraften. Doch fällt der Verbraucher als Wachstumstreiber aus, sind die Hoffnungen auf eine rasche Erholung der US-Wirtschaft hinfällig.
Weiterer Kurstreiber waren in der Vergangenheit Private-Equity-Fonds, die wie entfesselt Firmen gekauft und 2006 für einen Rekord im weltweiten M&A-Geschäft gesorgt haben. In der Regel sind solche Übernahmen zu einem großen Teil fremdfinanziert (leveraged buyout) - Fremdkapitalquoten von mehr als 80 Prozent waren in den vergangenen Monaten keine Seltenheit.
Auch damit dürfte Schluss sein, wenn die Zinsen steigen und die Risikoprämien zurückkehren. "In den USA werden die Deals, die mit hohem Einsatz von Fremdkapital finanziert werden, weniger attraktiv. Dies deutet auf eine Beruhigung der weltweiten M&A-Aktivität hin", sagt Gerhard Schwarz, Leiter Aktienstrategie bei der HypoVereinsbank. Die ersten Finanzierung geraten bereits in Schwierigkeiten: Ende Juni ist die Platzierung einer Schuldverschreibung geplatzt, mit der beteiligte Banken die Übernahme des Lebensmittellieferanten US Foodservice durch die Private-Equity-Gesellschaft KKR finanzieren wollten.
Am Aktienmarkt wird es unruhiger. Es muss nicht zwangsläufig zu einem Ausverkauf bei Hypothekenanleihen kommen, der Hedgefonds und Banken in Bedrängnis bringt. Doch das Problem der schlecht besicherten, rasch weitergereichten Kredite erweist sich als hartnäckig: Viele Mücken verschwinden erst nach dem Gewitter.