Wirtschaftsspionage Mein Name ist Bond
Frankfurt/Main - Deutsche Firmen lassen sich leicht in die Karten schauen. An Geschäftsgeheimnisse kommt die Konkurrenz beinahe mühelos heran - sie schickt Spione. Viele Unternehmen sind gegen Angriffe von ausländischen Nachrichtendiensten und Industriespitzeln kaum gerüstet. Blauäugigkeit werfen Verbände und Sicherheitsexperten den Spitzen deutscher Konzerne vor. Nach Erkenntnissen von Verfassungsschützern richtet sich mehr als die Hälfte aller Spionage-Fälle gegen die private Wirtschaft. Den Datendiebstahl merken die Firmen meist zu spät, wenn die Konkurrenz eigene Neuentwicklungen auf den Markt bringt.
Im harten Kampf um Marktanteile läßt sich mit Industriespionage ein Vorsprung einfahren und dabei noch Geld sparen. Während ein Forschungsprojekt eines Pharmaunternehmens rund 150 Millionen Mark kostet, seien ausspionierte Ergebnisse schon für zwei Millionen Mark zu haben, schildert Klaus Dieter Matschke von der Frankfurter Gesellschaft für Sicherheitsberatung. "Wichtig ist heute, die Nase vorn zu haben, egal mit welchen Methoden. Politik und Militär gehören längst nicht mehr zu den wichtigsten Angriffszielen der Nachrichtendienste." Statt dessen gäben amerikanische, französische und russische Agenten abgehörte Daten an Wirtschaftsunternehmen ihres Landes weiter, ist der ehemalige Verfassungsschützer überzeugt.
Die wirtschaftlichen Schäden schätzt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf mehrere Milliarden Mark im Jahr. Bespitzelt würden "alle Unternehmen, die etwas Innovatives machen", berichtet auch die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft (ASW) in Bonn. "Aber der Schutz vor Spionage ist in deutschen Unternehmen schlecht." Der Einsatz komplizierter Paßwörter für den Zugang zum Computer oder von Chiffrier-Geräten werde häufig als unbequem empfunden, begründen ASW und BSI die laxe Einstellung zur Spionage-Abwehr.
Für Agenten von Geheimdiensten, die über millionenteure Abhör-Stationen verfügen, ist nach Experten-Meinung das unauffällige Eindringen in das ISDN-Netz der Firmen ein Kinderspiel. "Früher mußte man eine Putzfrau einschleusen oder einen Mitarbeiter bestechen", meint Frank Felzmann vom Bonner BSI. Heute würden Telefongespräche belauscht, Faxe und elektronische Post (E-Mails) abgefangen. Auch die Abstrahlung von Computermonitoren könne bis einhundert Meter Entfernung erfaßt und wieder in Text umgewandelt werden.
Satellitengestützte Abhörtechnik, Mini-Videokameras, Wanzen - so klein wie ein Reiskorn - und Richtantennen seien im Einsatz, berichtet der Abwehr-Experte Manfred Fink aus dem fränkischen Coburg. Selbst Kaffeekannen und harmlose Werbegeschenke dienen zur Tarnung raffinierter Überwachungs-Technik im Miniatur-Format. Im High-Tech- Zeitalter gibt es aber auch noch den angeworbenen Maulwurf. Nach Presseberichten soll ein hochrangiger Beamter der Deutschen Bundesbank jahrelang geldpolitische Pläne und Verhandlungsstrategien zum Euro an den britischen Geheimdienst weitergeleitet haben.
Vermeintliches Spezialwissen neuer Mitarbeiter könne ebenfalls zum Bumerang werden. Sprach- und Landeskenntnisse sollen für einen Wettbewerbsvorteil sorgen, statt dessen geraten Firmen an frühere Bedienstete sowjetischer Nachrichtendienste. Auch russische Spätaussiedler würden bevorzugt als Spione angeheuert, geht aus dem baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht hervor.
Vor allem seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende des Kalten Krieges seien die Firmen extrem leichtsinnig geworden, berichtet die Mainzer Vereinigung für Sicherheit in der Wirtschaft (VSW). Vielen falle es noch schwer, auf die neue Weltordnung zu reagieren. "Die Freunde von damals sind die Feinde von heute", lautet ein gängiger Spruch in der Sicherheitsbranche. Selbst die Verfassungsschutz-Ämter haben nach Darstellung des Frankfurter Unternehmensberaters Matschke das Personal für die Spionage-Abwehr abgebaut.
Die VSW stellt den Unternehmen in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland Fachleute zur Seite. Die Nachfrage sei allerdings sehr gering, klagt Geschäftsführer Günter Drexel. Zur Abwehr ungebetener Lauscher setzen einige Konzerne elektronische Chiffriergeräte zum Schutz von ISDN-Leitungen ein. Im Frankfurter Chemiekonzern Degussa würden vertrauliche Daten verschlüsselt, versichert eine Unternehmenssprecherin. Das weltweite Datennetz Internet sei zur Weitergabe wichtiger Informationen sowieso tabu.
Brisante Geschäftsgeheimnisse sollten ohnehin per Boten - selbst bei teuren Auslandsreisen - transportiert werden, rät Matschke. Weltweite Datennetze innerhalb der Konzerne, auf denen Konstruktionspläne und Kalkulationen rund um die Welt geschickt werden, seien besonders im Visier der Wirtschaftsspione.