Strompreis "Wettbewerb funktioniert nicht"

Die Strompreise in Deutschland könnten um mindestens 20 Prozent niedriger sein, sagt Christian von Hirschhausen. Der Energiewirtschaftsexperte erklärt im Interview mit manager-magazin.de, warum dies nicht der Fall ist und wie leicht Energiekonzerne den Preis in die Höhe treiben können.

mm.de: Herr von Hirschhausen, was ging Ihnen spontan durch den Kopf, als Sie Ihre letzte Stromabrechnung in der Hand hielten?

von Hirschhausen: Der Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt funktioniert nicht, jedenfalls nicht so, wie er funktionieren sollte.

mm.de: Warum nicht?

von Hirschhausen: Was die Liberalisierung angeht, hinkt der deutsche Strommarkt im Gegensatz etwa zum britischen oder US-amerikanischen zehn bis 15 Jahre hinterher. Der deutsche Markt leidet an Kinderkrankheiten, die andere Märkte längst hinter sich haben.

mm.de: An Kinderkrankheiten kommt man bekanntlich kaum vorbei. Gilt das nun zwangsläufig auch für einen Strommarkt?

von Hirschhausen: Wenn ein Markt sich von einem monopolistischen zu einem wettbewerblichen wandelt, ergeben sich nahezu unvermeidbar marktbeherrschende Positionen. Das ist einfach so. Im Ergebnis führt das zu Strompreisen im Großhandel, die höher sind als sie unter Wettbewerbsbedingungen wären.

mm.de: Strom in Deutschland könnte also deutlich günstiger sein?

von Hirschhausen: Ja. Im europäischen Vergleich sind die Strompreise in Deutschland zu hoch und der Markt reagiert nicht ausreichend wettbewerblich auf Änderungen der Fundamentals. Das hängt wie gesagt mit der Struktur der Großhandelsmärkte zusammen. Zum anderen erhöht aber auch eine erhebliche Steuerlast, die zwischen dem Großhandel und dem Endkunden entsteht, das Preisniveau.

mm.de: Mangelnder Wettbewerb als ein Argument für zu hohe Strompreise. Ist dies der entscheidende Grund?

von Hirschhausen: Mangelnder Wettbewerb ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Strompreise vergleichsweise hoch sind und vor allem kaum auf veränderte Signale reagieren. In England etwa fallen oder steigen die Strompreise sehr schnell analog zu den Rohstoffpreisen. Sie reagieren auch sehr viel schneller auf Knappheit oder CO2-Preise, also Preise für gehandelte CO2-Emissionsrechte, die den Strompreis ebenfalls beeinflussen. In Deutschland können wir das nicht beobachten. Unsere Schlussfolgerung lautet daher: Der Wettbewerb in Deutschland funktioniert nicht ausreichend.

mm.de: Mit Blick auf die Strompreisbildung ist die Leipziger Strombörse EEX in die Schlagzeilen geraten. An der EEX wird etwa nur ein Fünftel der deutschen Stromkapazität gehandelt. Trotzdem scheinen die dort gebildeten Preise den ganzen Strommarkt stark zu beeinflussen. Wie ist das möglich?

von Hirschhausen: Die Leipziger Strombörse ist der einzige Ort, an dem nachvollziehbare Preise veröffentlicht werden. Schon allein aus dieser Perspektive hat sie Signalwirkung für alle anderen Akteure und ist deshalb jenseits der besagten 20 Prozent von erheblicher Bedeutung für den Rest des Strommarkts. Das heißt, der an der Börse gebildete Strompreis gilt in der Regel auch für die meisten Stromgeschäfte außerhalb dieses Markts.

mm.de: Heißt das, wenn jemand an der Strombörse Preise manipulieren sollte, hätte dies auch Auswirkungen auf den gesamten Markt?

von Hirschhausen: Ja, aufgrund der Bedeutung des Spotmarkts für den Terminmarkt und beider Märkte für den gesamten deutschen Strommarkt ist diese Preisinformation besonders sensibel - auch natürlich für Marktmachtausübung.

mm.de: Die EEX hat den Vorwurf, an der Börse werde der Strompreis von großen Energieversorgern manipuliert, scharf zurückgewiesen. Für wie realistisch halten Sie mögliche Manipulationen?

von Hirschhausen: Die Möglichkeiten sind die gleichen, die sich auf allen hochkonzentrierten Märkten ergeben. Wer ein hohes Maß an Marktmacht besitzt, kann zwei Dinge tun. Erstens: Er bepreist seine Güter höher als dies bei regulärem Wettbewerb möglich wäre. Zweitens: Die andere Strategie besteht darin, den Strom kostengünstig produzierender Kraftwerke an der Börse nicht anzubieten, wodurch teurer produzierende Kraftwerke zugeschaltet werden müssen. Das letzte zugeschaltete Grenzkraftwerk setzt den Preis und treibt ihn damit für den gesamten Markt in die Höhe.

"Erhebliche Gewinne in einem unvollständigen Markt"

mm.de: Welche Differenzen können sich dabei ergeben?

von Hirschhausen: Bietet das Grenzkraftwerk den Strom für 60 Euro je Megawattstunde an, erzielen auch alle vorgelagerten Kraftwerke diese 60 Euro, obwohl sie den Strom womöglich nur für 15 bis 30 Euro je Stunde produzieren. Das heißt, auf diesem Weg lassen sich Deckungsbeiträge für die günstiger produzierenden Kraftwerke erzielen; diese werden in einem wettbewerblichen Markt zur Deckung der Fixkosten benötigt, bei einem unvollständigen Markt ergeben sich dadurch aber erhebliche Gewinne.

mm.de: Halten Sie den Stromhandel in Deutschland für transparent?

von Hirschhausen: Die gegenwärtige Diskussion zeigt, dass die Transparenz noch verbessert werden sollte. Es geht ja nicht darum, Betriebsgeheimnisse zu veröffentlichen. An anderen Strombörsen ist es aber selbstverständlich, die Angebotskapazitäten und zum Beispiel die Kraftwerksausfallzeiten bei Wartung zu veröffentlichen, sodass der Markt nicht einem Insiderhandel unterliegt. Es geht um Transparenz und nicht darum, bestimmte Unternehmen zu diskriminieren. Es geht um ordnungspolitische Maßnahmen, die auch auf anderen Märkten greifen. Hier sollte sich etwas ändern in Deutschland.

mm.de: Werden die Strompreise fallen, wenn die Anbieter- und Abnehmerstruktur durchsichtiger wird?

von Hirschhausen: Ja. Bei einem vollständigen Wettbewerb müssten die Strompreise in der Mittel- und Spitzenlast um bis zu 20 Prozent sinken. Es gibt allerdings weitere Aspekte, die auf das Wettbewerbsniveau Einfluss haben.

mm.de: Welche?

von Hirschhausen: Das ist zum einen die vertikale Trennung zwischen der Stromerzeugung und dem Stromtransport - also dem Netzbereich ...

mm.de: ... was EU-Kommissare und auch andere Politiker laut fordern ...

von Hirschhausen: Das ist eine alte Forderung. Wir sind jetzt am Ende der Diskussion. Die Trennung wird kommen, davon bin ich überzeugt.

mm.de: Werden die großen Energiekonzerne der Trennung von Produktion und Netz so ohne Weiteres zustimmen?

von Hirschhausen: Ihnen wird kaum etwas anderes übrig bleiben, da es einen europaweiten Konsens hierzu gibt. Die Brüsseler Wettbewerbshüter vertreten zudem die Auffassung, dass dies auch eigentumsrechtlich möglich ist. Wie gesagt, mit Blick auf die Liberalisierung des Strommarkts laufen wir der internationalen Entwicklung zehn bis 15 Jahre hinterher. Deshalb ist es relativ einfach festzustellen, was passieren wird.

mm.de: Neben dem Netzverkauf wird auch diskutiert, dass eine staatlich kontrollierte Gesellschaft sich der Netze annimmt, sie betreibt, investiert und dann die Gewinne an die Besitzer ausschüttet. Wäre damit mehr Wettbewerb garantiert?

von Hirschhausen: Wohl nur bedingt. Ich halte diese Lösung nicht für gut, weil sie eine Zwittersituation festschreibt. Da verbleiben die Netze formell im Eigentum der Energieversorger, die de facto aber unabhängig betrieben und ausgebaut werden sollen. Besser wäre aber eine echte Trennung, die für den Netzbetreiber auch bessere Anreize setzt, die Netze effizient auszubauen und zu betreiben.

mm.de: Und wenn die Energiekonzerne in Europa ihre Netze nun grenzübergreifend bündelten und unter der Aufsicht eines Regulierers betreiben würden?

von Hirschhausen: Auch das liefe auf eine Zwitterlösung hinaus, die dem eigentlichen Ziel - nämlich mehr Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt - nicht förderlich ist.

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