Dax-Geflüster Der hässliche Dreifachtriumph

Anleger verdienen derzeit viel Geld mit ihren Investments, vor allem an der Börse in New York: Drei wichtige Aktienindizes erreichten dort zeitgleich ein Rekordhoch. Doch genau darauf folgten in der Vergangenheit postwendend deutliche Kursverluste. Und die trafen mit etwas Verzögerung dann auch die Investoren hierzulande.
Von Karsten Stumm

Es ist nur eine Zahl, nur eine Momentaufnahme, doch sie hat die Republik elektrisiert: Der Aktienleitindex Dax der Frankfurter Wertpapierbörse hat die 7000-Punktemarke erreicht. Selbst die "Tagesschau" berichtete darüber, so, als wäre in Deutschland etwas Einmaliges passiert. Ist es aber nicht.

Die Börsen weltweit drehen auf, selbst die bisher trägsten Aktienmärkte unter ihnen hat es gepackt. So, wie die Börse in Shanghai zum Beispiel, die noch um die Jahreswende 2004/2005 Kursverluste verbuchte, während anderswo in der Welt bereits kleine Zwischenhochs gefeiert wurden. Und die Leitindizes der beiden weltweit führenden Handelsplätze in Tokio und New York haben längst vor dem Dax ungewöhnliche Kursmarken erreicht.

An Amerikas Leitbörse beispielsweise stieg zuletzt nicht nur der Standardwerteindex Dow-Jones-Industrial auf ein neues Rekordhoch. Zeitgleich mit dem US-Dax-Pendant erklomm auch der Dow-Jones-Branchenindex der Transportunternehmen sowie der Energieversorgungsfirmen ein Niveau, so hoch wie nie zuvor. Und solch ein durchgängiger Höhenrausch kam in der gemeinsamen 78-jährigen Geschichte der drei Dow-Jones-Aktienindizes nur höchst selten vor; nach Angaben von Dow Jones in New York nur an 21 Börsentagen in fast acht Jahrzehnten.

Zum Feiern ist den Anlegern an der Wall Street in New York deshalb allerdings nicht zumute. In ihnen steigt beim Blick auf diesen dreifachen Triumph eine fade Erinnerung auf.

Genau diese seltene Börsenkonstellation hätten Anleger in den Jahrzehnten zuvor als ein Warnsignal vor dem drohenden Abschwung werten können. Der nämlich folgte in der Vergangenheit verblüffend oft etwa ein Jahr nachdem die drei Indizes zeitgleich Rekordhochs erreichten. Damit nicht genug: Nur wenig später drückten die Kursrückgänge in Übersee dann auch auf die Aktienpreise in Frankfurt am Main.

Aufschwung paradox

Aufschwung paradox

Manche Aktienexperten glauben jetzt Gründe dafür gefunden zu haben, warum sich die Börsengeschichte wiederholen könnte. Sie fürchten ausgerechnet das, wovon die Bundesbürger nach vielen Jahren Wirtschaftsflaute hierzulande nicht genug bekommen können: gute Geschäftsergebnisse gerade auch deutscher Unternehmen.

Ihr Kalkül dabei: Verdienen die Firmen in Amerika, Japan und der Bundesrepublik weiterhin so kräftig wie zuletzt, dann kämen die Zentralbanken der drei anführenden Wirtschaftsgebiete nicht um Zinserhöhungen herum. Und die könnten erst zu einer abrupten Bremse für den Immobilienmarkt speziell in Amerika führen, dann zu Kursverlusten der Weltleitbörse in New York und anschließend zu sinkenden Notierungen an den übrigen bedeutenden Aktienmärkten der Welt.

"Es wäre unserer Meinung nach tatsächlich riskant, wenn wir nun zu gute Wirtschaftsdaten aus Europa, Japan und den USA erhalten würden", sagt beispielsweise William Davis, Chef für europäische Aktien bei der britischen Fondsgesellschaft Threadneedle.

Dann, lieber Herr Davis, haben wir leider keine guten Nachrichten aus Deutschland. Wichtige Konzerne hierzulande verdienen weiterhin bemerkenswert viel Geld, und die Wirtschaft wächst deutlich.

So hat zuletzt etwa der Münchener Versicherungsriese Allianz einen Rekordgewinn von mehr als sieben Milliarden Euro geschafft - und will weiter kräftig zulegen; die Aktien der Allianz zählen überdies zu den wichtigsten Anteilscheinen, deren Kursschwankungen den Punktestand des deutschen Standardwerteindex Dax beeinflussen.

Damit nicht genug. Das weltgrößte Chemieunternehmen BASF hat erstmals in der Firmengeschichte die Umsatzschwelle von 50 Milliarden Euro übertroffen, ebenso beim operativen Ergebnis einen Rekordwert eingefahren - und will weiter zulegen. Auch der Automobilzulieferer Continental sowie der Börsenbetreiber Deutsche Börse glänzen mit Gewinnrekorden und stellen noch bessere Ergebnisse für die kommenden Monate in Aussicht.

Weiter auf Wachstumskurs

Weiter auf Wachstumskurs

Mittlerweile führt der Konjunkturaufschwung hierzulande auch dazu, dass viele Menschen einen Arbeitsplatz finden, die danach suchen. So zählte das Statistische Bundesamt in Deutschland zuletzt rund 39,7 Millionen Erwerbstätige. Das waren 452.000 mehr als zum gleichen Vorjahreszeitpunkt.

"Und im Jahresdurchschnitt rechnen wir mit weiteren 500.000 Arbeitslosen weniger als im Vorjahr", sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags. Sein Chefvolkswirt Axel Nitschke hob dann auch flugs seine Wachstumsprognose für die Bundesrepublik in diesem Jahr von zuvor 1,5 auf nunmehr 2,3 Prozent an.

Das aber ist genau der Fortschritt, den Börsenpessimisten fürchten. Sie glauben, dass die Zentralbanker zum Schutz vor höherer Inflation nun für höhere Zinsen sorgen müssten - und damit leider nebenbei die Aktienkurse an den bedeutendsten Börsen der Welt unter Druck setzen werden.

Tatsächlich rechneten zuletzt nahezu alle prominenten Volkswirte hierzulande damit, dass Europas Währungshüter die Leitzinsen im kommenden Monat anheben werden. Mehr als die Hälfte der Experten, die von der Nachrichtenagentur Reuters Monat für Monat nach ihrer Meinung zur Zinsentwicklung befragt werden, erwartet sogar, dass die Euro-Banker im Folgemonat nachlegen müssen. Ob Amerikas Notenbank ihre Zinsen ebenfalls erneut anheben wird, ist derzeit nicht so sicher.

"Falls das passieren wird, halte ich durchschnittliche Kursverluste der Dax-Aktien zwischen 5 und 15 Prozent in den kommenden Monaten für möglich, auch wenn Amerikas Notenbank in den vergangenen Jahren zig mal die Zinsen heraufsetzte und das der Börse nicht unbedingt geschadet hat", sagt Stephan Thomas, Fondsmanager bei Frankfurt Trust. "Aber irgendwann wird der Punkt gekommen sein, an dem das Ertragswachstum der Unternehmen durch die Zinserhöhungen gebremst wird. Und das könnte dann auch die Kurse drücken."

In einem Jahr werden wir das wissen, würden die Börsenpessimisten hinzufügen.

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