Konjunktur Zaungast Deutschland
Washington - Die Weltwirtschaft brummt, aber Deutschland bleibt nach der jüngsten Wachstumsprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor allem im kommenden Jahr Zaungast. Während die Weltwirtschaft dieses Jahr wahrscheinlich um 4,9 Prozent zulege und die Wachstumslokomotive USA um 3,4 Prozent, bleibe Deutschland mit 1,3 Prozent zusammen mit Italien (1,2 Prozent) Schlusslicht unter den großen Industrieländern, heißt es in dem am Mittwoch in Washington vorgelegten Weltwirtschaftsausblick (WEO).
Für 2007 korrigierte die Finanzorganisation die Prognose für Deutschland sogar so drastisch wie für kein anderes Industrieland nach unten: um einen halben Prozentpunkt auf 1,0 Prozent. Der IWF dämpfte die Länderprognosen zwar durchweg, rechnet aber weltweit noch mit 4,7 Prozent Wachstum, in den USA mit 3,3, in Großbritannien mit 2,7, in Frankreich mit 2,0 und in Italien immerhin noch mit 1,4 Prozent.
Die Bundesregierung hatte in ihrem jüngsten Monatsbericht gerade erst "zuverlässigen Auftrieb" durch die Weltwirtschaft konstatiert und will ihre eigene Prognose von 1,4 Prozent für 2006 Ende April deutlich anheben.
Anziehende Verbraucherausgaben sieht der IWF auch zum Ende des Jahres, wegen der geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die vorgezogenen Einkäufe würden das Wachstum 2007 aber kräftig dämpfen. Der IWF klagt seit Jahren über den zu schwachen privaten Verbrauch in Europa, insbesondere in Deutschland.
Reformen reichen nicht aus
IWF-Chefvolkswirt Raghuram Rajan mahnte die Bundesregierung zu größeren Reformanstrengungen. Deutschland habe zwar eine Reihe wichtiger Reformen angepackt. "Ambitioniertere Schritte wären aber nützlich."
Diese müssten auf mehr Wettbewerb auf den Gütermärkten und im Dienstleistungsbereich sowie einen flexibleren Arbeitsmarkt abzielen. Ziel sei eine höhere Beschäftigungsquote. Dazu müssten veraltete Regeln geändert werden. "Deutschland kann nicht seine Geschäfte an Sonntagen weiter geschlossen halten", nannte Rajan als Beispiel.
Schlechte Noten gibt der IWF für die abgeschwächte EU-Dienstleistungsrichtlinie. Ohne weitere Marktliberalisierungen und Arbeitsmarktreformen seien höhere Wachstumsraten in Europa kaum zu erreichen. Der Kontinent hänge stark von einer flotten Nachfrage der restlichen Welt ab - was die Länder besonderen Risiken aussetze, etwa einer Aufwertung des Euro, neuer Ölpreisrekorde oder anderer externer Schocks. In Ost- und Mitteleuropa warnt der IWF vor steigenden Leistungsbilanzdefiziten, vor allem in Bulgarien. Dies gelte auch für die Türkei.
Ölpreis keine Konjunkturbremse
Ölpreis keine Konjunkturbremse
Ansonsten sehen die IWF-Ökonomen aber rosige Aussichten. Die hohen Ölpreise seien nicht zur Konjunkturbremse geworden, zum Teil, weil der weltweite Verbrauch hinter den befürchteten Erwartungen zurückblieb. Der Inflationsdruck sei erstaunlich niedrig. "Gegenwind durch die hohen Ölpreise dürfte durch kontinuierlich steigende Investitionen ausgeglichen werden", heißt es in der Studie.
Der IWF warnt erneut vor den großen weltweiten Ungleichgewichten mit dem hohen Leistungsbilanzdefizit in den USA und Überschüssen vor allem in Asien. "Der US-Dollar muss von seinem derzeitigen Niveau bedeutend runter kommen, und die Währungen in den Überschussländern darunter in Asien und den Öl produzierenden Ländern - müssen aufgewertet werden", heißt es.
Der Europäischen Zentralbank (EZB) empfahl der IWF bis zu stärkeren Anzeichen für eine Konjunkturerholung im Euro-Raum von weiteren Zinserhöhungen abzusehen. "Unsere Empfehlung ist, erst deutliche Beweise für eine Konjunkturerholung abzuwarten, bevor der Prozess der Zinserhöhungen fortgesetzt wird", sagte Chefvolkswirt Rajan.
Die EZB hatte ihren Leitzins seit Dezember zwei Mal um jeweils 0,25 Punkte auf jetzt 2,50 Prozent erhöht. Rajan bezeichnete das aktuelle Zinsniveau in der Eurozone als "weiterhin sehr niedrig". An den Finanzmärkten wird im Juni der nächste Schritt und bis Jahresende ein Niveau von mindestens drei Prozent erwartet.
dpa, dpa-afx