Goldman-Sachs-Kolumne Schonzeit läuft ab
Als die Beitrittsverträge vieler mitteleuropäischer Staaten Ende der 90er Jahre und Anfang der laufenden Dekade ausgehandelt wurden, schien noch alles klar zu sein: Nach erfolgtem Beitritt sollten die neuen EU-Staaten auf eine Aufnahme in Europas Währungsunion hinarbeiten. Nun aber scheinen es die etablierten Euro-Staaten mit der geplanten Aufnahme neuer Staaten nicht mehr eilig zu haben.
Im Gegenteil: Die jetzigen Mitgliedsstaaten der Währungsunion stehen den Euro-Kandidaten offenbar etwas reserviert gegenüber. Und das hängt mit einem generellen Unbehagen in Bezug auf die EU-Erweiterung zusammen.
Länder, die sich zu einer Währungsunion zusammenschließen, gehen bewusst einen großen Schritt in Richtung wirtschaftliche Integration und stärkerer wechselseitigen Abhängigkeit. Darüber hinaus hat die Währungsunion allerdings auch eine politische Dimension. Einige Euroland-Regierungen fürchten offenbar, dass die Währungsunion bei Aufnahme weiterer Länder zu einem reinen Handels- und Wirtschaftsinstrument werden könnte. Die politische Dimension dagegen, die Einheit Europas, drohe in den Hintergrund zu treten.
Tatsächlich scheinen Europas Zentralbanker und die EU Kommission die Beitrittskriterien zur Währungsunion in Zukunft strenger anwenden zu wollen als bisher. Von den nächsten Beitrittskandidaten Estland, Litauen und Slowenien hat offenbar nur Slowenien gute Chancen, beispielsweise die Inflationshürde zum Euro-Beitritt zu nehmen, deutete zuletzt EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia an. In der Vergangenheit hatten Europas Politiker mehr Nachsicht bei der Aufnahme in die Währungsunion gezeigt.
Das allerdings liegt auch daran, dass die Eurozone immer schwerer im Griff zu behalten ist, je mehr Staaten hinzukommen. Denn je größer die Unterschiede zwischen den Ländern der Euro-Zone, desto problematischer ist eine einheitliche Geldpolitik für alle. Driften beispielsweise die nationalen Inflationsraten der Euro-Staaten weiter auseinander, kann das die Europäische Zentralbank vor ernste Probleme stellen. Deshalb ist eine Aufnahme von Ländern, die diese Entwicklung verstärken würden, sicher nicht wünschenswert.
Damit liegen die Eurobanker auch nicht falsch. Vieles spricht dafür, dass die Inflationsraten in den neuen EU-Ländern Mitteleuropas auf Grund des Konvergenzprozesses auf Jahre hinaus über dem Durchschnitt der jetzigen Euro-Staaten liegen werden. Trotz des insgesamt geringen wirtschaftlichen Gewichts der mitteleuropäischen Länder ist es deshalb verständlich, dass die Europäische Zentralbank Staaten wie beispielsweise Estland oder Lettland erst in die Euro-Zone aufnehmen möchte, bis sich die Wirtschaft der Staaten dem europäischen Standard angenähert hat.
Außerdem hält die Zentralbank eine solide Finanzpolitik für den Erfolg der europäischen Währungsunion für unverzichtbar und will deshalb sicherstellen, dass neue Mitglieder eine gute finanzpolitische Ausgangsbasis haben. Eine Aufweichung der Inflationskriterien für Litauen könnte den Präzedenzfall für finanzpolitisch schwache Länder schaffen, die später der Währungsunion beitreten möchten.
Chance auf Nachsicht sinkt
Chance auf Nachsicht sinkt
Ein untergeordneter, aber dennoch wichtiger Faktor für Europas Notenbanker ist zudem die automatische Erweiterung ihres eigenen Managementgremiums bei Aufnahme neuer Euro-Staaten, ihres Direktoriums. Dies würde die bisher auf Einstimmigkeit beruhenden Zinsentscheidungen der Europäischen Zentralbank erschweren.
Der Fall Litauens wird zeigen, wie Europas Währungshüter und die Europäische Kommission zur Erweiterung der Euro-Zone stehen. Am wahrscheinlichsten ist eine strikte Anwendung der Maastricht-Kriterien - aber ohne Diskriminierung der neuen EU-Mitglieder. Falls Litauen oder ein anderes Land alle Kriterien erfüllt, dürfte es in die Eurozone aufgenommen werden. Wenn ein Land jedoch nur ein Kriterium nicht erfüllt, wird es dagegen warten müssen.
Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank für eine strenge Auslegung der Beitrittskriterien ist ein wichtiges Signal für Länder, die in den nächsten Jahren in die Währungsunion wollen. Die Slowakei strebt die Aufnahme für 2009 an, hat aber ein Inflationsproblem. Ungarn und Polen hoffen auf eine nachsichtige Handhabung des Defizitkriteriums.
Diese Hoffnung wird sich kaum erfüllen, und wir gehen davon aus, dass keines der beiden Länder in diesem Jahrzehnt die Hürden für die Mitgliedschaft zur europäischen Währungsunion nehmen wird. Tschechien hat mit seiner niedrigen Inflation und seinem verhältnismäßig hohen Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt vermutlich die besten Chancen, die Beitrittskriterien zu erfüllen.
Längere Wartezeiten könnten in manchen mitteleuropäischen Ländern den politischen Widerstand gegen den Euro verstärken. Dies gilt vor allem für Polen und Tschechien. Wenn aber die meisten Nachbarländer in die Euro-Zone aufgenommen werden, würde die Unterstützung für den Euro wahrscheinlich auch dort zunehmen.
Wir sind zuversichtlich, dass es zu einer Erweiterung des Euro-Raums kommen wird, auch wenn die etablierten Euro-Staaten offensichtlich auf Zeit spielt. Diese Zeit sollte genutzt werden, um strukturelle Reformen voranzutreiben. Die Unternehmen in den beitrittswilligen Ländern leisten hierzu bereits aktiv ihren Beitrag. Aber auch die Regierungen sind gefordert, wichtige Schritte in diese Richtung zu gehen.