Nach dem Übernahmeangebot der US-Technologiebörse Nasdaq für die London Stock Exchange verbuchen Europas Börsenbetreiber am Montag gewaltige Kursgewinne. Auch die Aktien der Deutschen Börse legen stark zu, denn durch die US-Begehrlichkeiten könnten die Frankfurter selbst zum Übernahmeziel werden.
New York/Frankfurt am Main - Neue Fusionsgerüchte haben die Aktien der europäischen Börsenbetreiber am Montag auf Rekordwerte getrieben. "Das Übernahmegesuch der US-Technologiebörse Nasdaq für die London Stock Exchange (LSE) bringt neue Fantasie in die gesamte Börsenlandschaft", sagte ein Händler in Frankfurt. "Die Börsenplätze müssen konsolidieren. Jetzt kommt eine neue Komponente hinzu, und Investoren setzen darauf, dass der nun erwartete Poker sich in noch höheren Bewertungen niederschlagen wird."
Die Nasdaq, die zweitgrößte US-Börse, hatte der Londoner Börse am vergangenen Freitag nach Börsenschluss ein Übernahmeangebot in Höhe von 2,4 Milliarden Pfund (3,5 Milliarden Euro) oder 950 Pence je Aktie in bar vorgelegt. Die LSE-Führung wies dieses Angebot zwar als unzureichend zurück. Mittlerweile hat jedoch der LSE-Großaktionär Threadneedle Gesprächsbereitschaft signalisiert.
"Wir sind bereit, mögliche Angebote von Interessenten zu diskutieren", teilte Michael Taylor mit, Chef des Wertpapierhandels der Threadneedle Investments. Dabei seien die langfristigen Interessen der Kunden vorrangig. Die britische Investmentgesellschaft ist der größte Anteilseigner der LSE mit einem Anteil von 13,8 Prozent.
Die Titel der LSE stiegen daraufhin am Montag erstmals über die Marke von zehn Pfund Sterling und gewannen in der Spitze 28 Prozent auf 1127 Pence. Die Nasdaq käme bei einer Übernahme der Londoner Börse weltweit wieder auf den zweiten Platz nach der New Yorker Börse. Eine Nasdaq/LSE-Gruppe würde dann vor die momentan auf Platz zwei befindliche Börse in Tokio rücken.
Laut einem Bericht der Onlineausgabe des "Wall Street Journal" erwägt die weltgrößte Börse jetzt ihrerseits, ein eigenes Gebot für die LSE vorzulegen. Der Chef der New York Stock Exchange (Nyse), John Thain, hat bereits vor Wochen angekündigt, Partner in Europa für sein Unternehmen zu suchen. Welche das sein könnten, ließ er zwar offen, rechnet sich aber offenbar Chancen aus, die Börse übernehmen zu können, die am Ende der erwarteten Börsenkonsolidierung in Europa ohne Partner dastehe.
Kapital genug für einen strategischen Zukauf in Europa hätte die Wall-Street-Börse. Sie hatte sich vergangene Woche mit dem elektronischen Marktbetreiber Archipelago zur Nyse Group zusammengeschlossen, war in eine Aktiengesellschaft umfirmiert worden und an die Börse gegangen. Das brachte ihr Milliarden Dollar ein.
In das Visier geraten
In das Visier geraten
In den Fokus der Anleger sind deshalb heute auch die Aktien der Deutschen Börse und ihres französisch dominierten Gegenspielers Euronext geraten. Beide Wertpapierhändler hatten sich zuletzt nicht über eine eigene Fusion einigen können. Die Gespräche scheiterten vor allem an der Frage des Börsensitzes der neuen Großbörse. Reto Francioni, Chef der Deutschen Börse, lud die Franzosen daraufhin öffentlich zu neuen Gesprächen ein, bisher gibt es allerdings kein Ergebnis.
Die Aktien der Deutschen Börse legten heute um hohe 9,8 Prozent auf 114,25 Euro zu. Marktteilnehmer spekulieren offenbar, dass die Amerikaner nun bei ihrer Suche nach einem geeigneten Börsenpartner in Europa den Frankfurter Börsenbetreiber als Übernahmeziel wählen könnten; die Deutsche Börse ist die bei weitem lukrativste Europas, allerdings auch die teuerste.
Mit dem heutigen Kursplus müsste ein Interessent gut elf Milliarden Euro für die Deutsche Börse zahlen, allerdings sind mehr als 67 Prozent ihrer Aktien im Streubesitz. Das würde möglichen Käufern das Geschäft erleichtern. Zum Vergleich: Die französisch dominierte Vierländerbörse Euronext kommt derzeit auf einen Börsenwert von knapp sieben Milliarden Euro, aber nur 57 Prozent der Aktien befinden sich bei freien Aktionären. Der französische, niederländische und belgische Staat halten dafür selbst 22 weitere Prozent aller Euronext-Aktien - ein entscheidendes Übernahmehindernis.
Dennoch profitieren auch die Titel des großen europäischen Gegenspielers der Deutschen Börse von den Übernahmespekulationen. Die Euronext-Papiere legen heute auf 60,20 Euro zu - das entspricht einem Plus von 9,5 Prozent. Und dem Aufschlag der Deutsche-Börse-Aktien.
Mit Bekanntwerden der US-Begehrlichkeiten ist ein Zusammenschluss von Deutscher Börse und Euronext nach Einschätzung von Analysten allerdings deutlich wahrscheinlicher geworden. "Wenn die Nasdaq bei der London Stock Exchange tatsächlich zum Zuge kommt, hätten die Deutsche Börse und Euronext einen potenten Wettbewerber direkt vor der Haustür", sagte Analyst Karsten Keil von Helaba Trust. "Diese Aussicht verstärkt auch von Investorenseite her den Druck auf Deutsche Börse und Euronext, sich zusammenzuraufen."
manager-magazin.de mit Material von dpa-AFX, reuters und vwd