Der Pharmakonzern Schering hat das Übernahmeangebot seines Konkurrenten Merck als zu niedrig zurückgewiesen. Jetzt spekuliert die Branche über einen Preispoker und einen Auftritt des Schweizer Konzerns Novartis als weißer Ritter. Viele Finanzexperten sehen Schering jedoch mit den gebotenen 77 Euro je Aktie bereits gut bedient.
Frankfurt am Main - Die Reaktion von Schering-Chef Hubertus Erlen auf das Merck-Angebot war brüsk - und wenig überraschend. "Das Angebot ist nicht im Interesse unserer Aktionäre und reflektiert nicht den wahren Wert von Schering", wetterte Erlen. 77 Euro je Aktie bietet die Merck KGaA den Schering-Aktionären. "Viel zu wenig", lautet die - in einem Übernahmegefecht freilich absehbare - Replik. Damit ist der Preispoker der beiden Pharma-Schwergewichte eröffnet.
Die Anleger gaben am Montag ein deutliches Votum ab: Binnen Minuten explodierte der Kurs der Schering-Papiere. Lag die Aktie am Freitag mit 66,74 Euro noch weit unter dem von Merck gebotenen Preis, notiert sie mittlerweile mit zeitweise mehr als 86 Euro um mehr als 25 Prozent höher. Mehr Geld als im Rahmen der Übernahme, so das Kalkül vieler Anleger, dürfte sich wohl so schnell nicht mehr herausschlagen lassen.
Denn anders als Schering-Vormann Erlen sehen viele Finanzexperten das Berliner Unternehmen mit den gebotenen 77 Euro sehr gut bedient. Am Sonntag hatte manager-magazin.de exklusiv über die Akquisitionspläne berichtet. Schering hatte daraufhin bestätigt, ein Angebot von Merck bekommen zu haben. Offiziell legte der Darmstädter Konzern seine Offerte am Montag vor.
Schon vor Bekanntwerden der Übernahmepläne hatte die Investmentbank Dresdner Kleinwort Wasserstein in einer Studie, die manager-magazin.de vorliegt, das Kursziel für die Schering-Aktie auf 70 Euro festgelegt und das Papier von "buy" auf "add" abgestuft. Von diesem Urteil rücken die Dresdner-Analysten auch nach der Merck-Offerte nicht ab. Das Barangebot liegt nach ihrer Ansicht deutlich über dem fairen Wert der Aktie.
Fairer Wert zwischen 65 und 70 Euro
Nach Einschätzung von Pharmaanalyst Carsten Kunold vom Bankhaus Merck Finck & Co. sollte die angestrebte Übernahme für die Merck KGaA finanziell problemlos zu stemmen sein. "Die Finanzierung ist darstellbar", schreibt auch Alexander Groschke von der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP). Seinen Berechnungen zufolge müsse Merck zur Finanzierung rund 11,2 Milliarden Euro Kapital aufnehmen.
Die gebotenen 77 Euro halten beide Experten aber bereits für einen "sehr guten Preis". Sie sehen den fairen Wert der Schering-Aktie bei 65 Euro. Gleichwohl wollte Kunold nicht ausschließen, dass Merck sein Angebot noch aufstocken könnte.
Denn Beobachter spekulieren nun, dass es zu einer Bieterschlacht um Schering kommen könnte. Die Investmentbanker von Dresdner Kleinwort Wasserstein halten ein höheres Angebot durch andere Interessenten - entweder ein anderes Pharmaunternehmen oder Kapitalgeber - für "wahrscheinlich". Auch die Analysten von Merrill Lynch wollten nicht ausschließen, dass sich noch ein Dritter in die angestrebte Übernahme einschalten könnte.
Einige Experten bringen die Schweizer Konzerne Novartis oder Roche ins Spiel, die als "weißer Ritter" bei Schering mit einem noch höheren Übernahmeangebot aufwarten könnten. "Novartis wurde sehr lange als Kandidat gehandelt, der Schering übernehmen könnte", sagte Merck-Finck-Experte Kunold. Allerdings könnte es hier zu Problemen mit den Kartellbehörden kommen, weil Novartis ebenso wie Schering einige Gynäkologiearzneimittel anbiete.
In Finanzkreisen wird auch das mit großen Problemen kämpfende Bad Homburger Pharma- und Chemieunternehmen Altana als Retter Scherings vor einer unfreundlichen Übernahme durch das MDax-Unternehmen Merck oder einem der internationalen Konzern wie Pfizer oder Novartis ins Spiel gebracht. Schering könne zusammen mit Altana eine deutsche Lösung zwischen zwei Dax-Unternehmen herbeiführen, wird spekuliert. Altana-Chef Nikolaus Schweickart hatte Ende Februar angekündigt, dass er selber das traditionsreiche Unternehmen umbauen will. Dabei soll der Chemiebereich an die Börse gebracht werden. Für das Pharmageschäft sucht er einen Partner.
"Kaum Synergien zu erwarten"
"Kaum Synergien zu erwarten"
Vom Sinn einer Übernahme von Schering durch Merck zumindest sind die von manager-magazin.de befragten Analysten nicht überzeugt. Sie richten ihren Blick vor allem auf die zu erwartenden Synergieeffekte - und die fallen nach Expertenmeinung allzu gering aus. Die meisten Kosteneinsparungen seien auch ohne den Deal zu machen, kritisiert etwa Dresdner Kleinwort Wasserstein.
Merck selbst beziffert die möglichen Synergieeffekte auf 500 Millionen Euro. Laut Merck-Finck-Analyst Kunold will der Darmstädter Konzern diese Summe bis zum Jahr 2009 realisieren. Ob sich dieses Potenzial tatsächlich heben lasse, sei offen, so Kunold. Möglicherweise habe Merck hier erhoffte Effekte aus dem laufenden Restrukturierungsprogramm von Schering mit eingerechnet, das ja noch nicht abgeschlossen sei.
Auch die Analysten von Merrill Lynch schrieben heute in einer Kurzstudie, sie sähen nur sehr geringes Synergiepotenzial bei einer möglichen Übernahme, da Schering in anderen Nischen tätig sei als Merck. Ähnlich äußerte sich Groschke von der Landesbank Rheinland-Pfalz (LRP). Die Schnittmengen beider Firmen seien sehr klein. Einzig die Aktivitäten in der Onkologie überlappten sich. Sehe man von Einsparmöglichkeiten in der Verwaltung ab, könne er nur geringe Kosten- oder Vertriebssynergien erkennen.
"Zu wenig in der Pipeline"
Andere Stimmen betonen dagegen, gerade das Fehlen von Überschneidungen sei ein gutes Argument für einen Zusammenschluss. Schließlich, so heißt es, gehe es Merck mit der geplanten Transaktion um die Verbreiterung seines Geschäftsmodells. "Aber auch damit wird das neue Unternehmen nicht der nationale Champion", urteilt LRP-Experte Groschke.
Für alle langfristig orientierten Schering-Aktionäre sei das Übernahmekonzept nicht überzeugend, heißt es bei Merrill Lynch. Merck erziele in seinem eigenen Pharmageschäft Margen von unter 10 Prozent und verfüge nur über eine schwache Produktpipeline.
Auch Schering bietet nach Ansicht von Dresdner Kleinwort Wasserstein langfristig nur mäßige Wachstumsaussichten. "Schering hat aus seinen Investitionen in die Produktpipeline wenig gemacht", so das Urteil der Investmentbanker. Ein potenzieller Blockbuster, so die Argumentation, sei derzeit nicht auszumachen.
Die bestehenden Produkte blickten nach Ansicht der Investmentbanker ebenfalls einer unsicheren Zukunft entgegen. Scherings Wachstumstreiber, die Anti-Baby-Pille Yasmin, sehe sich wachsender Konkurrenz durch Generika ausgesetzt. Das Multiple-Sklerose-Medikament Betaferon war mit 867 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr das wichtigste Produkt des Konzerns.
Der Marktanteil lag jedoch im Vergleich zu Konkurrenzprodukten von Serono oder Biogen nur auf Platz drei. Die Dresdner-Experten bezweifeln, dass umfangreiche laufende Studien die Marktposition des Medikaments weiter verbessern können. "Schering drängt sich nicht unbedingt als Partner auf", sagte LRP-Analyst Groschke - und liefert damit jenen Stimmen Munition, die die Merck-Offerte bereits als sehr großzügig einstufen.