Versicherungsgesetz Neues Jahrhundertwerk?
Berlin - Versicherungskunden sollen künftig mehr Rechte erhalten und stärker von ihren eingezahlten Prämien profitieren. Das sieht ein Gesetzentwurf für eine Reform des fast hundert Jahre alten Versicherungsvertragsgesetzes vor, den Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) am Donnerstag in Berlin vorstellte. So will sie die Kündigung und den Widerruf von Versicherungen erleichtern. Insbesondere Lebensversicherungen sollen verbraucherfreundlicher und rentabler werden: Kunden hätten künftig erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf Beteiligung an den so genannten stillen Reserven, die Versicherungskonzerne mit ihren Einlagen erwirtschaften.
Zypries verspricht sich von dem Entwurf "für alle Versicherungsnehmer eine bessere Situation". Die Lebensversicherung, die eine große Bedeutung für die Altersversorgung hat, wird von Grund auf modernisiert: Für Kunden wird der Anspruch auf Überschussbeteiligung im Gesetz verankert, so wie es das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Juli gefordert hatte. Die Kunden müssen laut Zypries "angemessen" an den so genannten stillen Reserven beteiligt werden. Diese entstehen aus der Differenz des Buchwertes und des Zeitwertes etwa von Immobilien und Aktien. Künftig muss der jeweils aktuelle Wert der stillen Reserven offen gelegt werden; die Hälfte wird zudem mittels der Überschussbeteiligung an die Kunden ausgeschüttet.
Auch gehen Inhaber einer Lebensversicherung bei einer vorzeitiger Kündigung des Vertrags nach ein oder zwei Jahren laut Zypries künftig nicht mehr leer aus. Bisher erhält der Versicherungsnehmer in einem solchen Fall häufig keinen Cent zurück, weil die Unternehmen Abschlusskosten oder Stornogebühren voll in Rechnung stellen. Künftig sollen diese Kosten besser über die Laufzeit der Verträge verteilt werden. Laut Bund der Versicherten werden vier von fünf Kapitallebensversicherungen vorzeitig gekündigt. Der Bundesgerichtshof hatte im Oktober vergangenen Jahres eine kundenfreundlichere Regelung gefordert.
Die Neuregelung zu Lebensversicherungen betrifft zahlreiche Verbraucher: In Deutschland hat statistisch jeder Bürger mehr als eine Lebensversicherung. Insgesamt gibt es rund 95 Millionen Verträge mit einer Kapitalanlage von mehr als 600 Milliarden Euro.
Auch für andere Versicherungskunden gibt es zahlreiche Neuerungen. So sieht das Gesetz eine Abkehr vom so genannten Alles-oder-Nichts-Prinzip vor. Danach sollen Versicherungsnehmer künftig nicht mehr leer ausgehen, wenn sie bestimmte Vertragsbedingungen fahrlässig verletzt haben. Der Entwurf sieht stattdessen ein abgestuftes Modell vor, das den Grad des Verschuldens berücksichtigt. So müsste etwa eine Hausratversicherung laut Zypries bei einem Einbruch auch dann zahlen, wenn der Kunde es zuvor aus Fahrlässigkeit versäumt hatte, auf ein Baugerüst an seinem Haus hinzuweisen, durch das sich das Einbruchrisiko erhöhte.
Was alles anders wird
Was alles anders wird
Versicherer oder Versicherungsvermittler werden künftig zu einer umfassenden und richtigen Beratung verpflichtet. Verletzen sie diese Pflicht, hat der Verbraucher ein Schadenersatzrecht. Zudem müssen dem Kunden anders als bisher üblich alle Vertragsbestimmungen vor Abschluss des Vertrags bekannt sein. Die Widerrufsfrist wird überdies auf zwei Wochen verlängert, bei der Lebensversicherung sogar auf 30 Tage.
Mit Zypries' Vorlage wird das Versicherungsvertragsgesetz aus dem Jahr 1908 der aktuellen Rechtslage angepasst. Das neue Gesetz soll nach Vorstellungen der Ministerin Anfang 2008 in Kraft treten. Allerdings muss es zuvor noch in der großen Koalition abgestimmt werden und das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Es gilt dann auch für bereits laufende Versicherungen. "Ich rechne nicht mit sehr strittigen Debatten", sagte Zypries. Die geplanten Regeln im Einzelnen, beginnend mit den Bestimmungen für alle Versicherten:
Widerrufsrecht. Für alle Versicherungsverträge gilt künftig ein Widerrufsrecht von zwei Wochen. Rechtzeitig vor Vertragsschluss müssen die Verbraucher alle wesentlichen Informationen erhalten. Das Beratungsgespräch muss dokumentiert werden. Verletzen Versicherungen oder Vermittler ihre Beratungspflicht, müssen sie Schadenersatz zahlen.
Auskunftspflicht. Der Versicherte muss künftig nur die Angaben machen, nach denen der Versicherer schriftlich gefragt hat.
Schadensfall. Bislang verlor ein Versicherter bei grober Fahrlässigkeit seinen Versicherungsschutz. Dieses "Alles-Oder-Nichts-Prinzip" soll künftig abgestuft werden, je nach Schwere der eigenen Schuld.
Haftung. Bei allen Pflichtversicherungen können Ansprüche künftig direkt beim Versicherer angemeldet werden. Wenn beispielsweise ein Rechtsanwalt einen Fehler macht und sein Mandant einen Schadenersatzprozess verliert, kann dieser künftig direkt die Berufshaftpflichtversicherung des Anwalts auf Schadenersatz verklagen.
Sonderregeln für Lebensversicherungsverträge:
Rücktritt. Abgeschlossene Verträge können innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. In den ersten Jahren sollen die Verträge zudem leichter zu kündigen sein.
Prämienerstattung. Bislang erhält ein Versicherter bei einer Kündigung nach einem Jahr seine eingezahlten Beiträge zumeist nicht zurück, weil die Versicherung diese mit ihren so genannten Abschlusskosten verrechnet. Künftig dürfen diese Kosten nicht mehr voll nach einem Jahr erhoben, sondern müssen auf fünf Jahre verteilt werden.
Berechenbarkeit. Die Unternehmen sind künftig auch verpflichtet, ihren Versicherten in "realistischen" Modellrechnungen mitzuteilen, welche Summe sie am Ende der Versicherungszeit in etwa ausgezahlt bekommen.
Überschüsse. Jahrelanger Streitpunkt zwischen Verbraucherschützern und Versicherungen war die Frage, ob Versicherte auch dann an Gewinnen der Unternehmen beteiligt werden sollen, wenn diese in so genannten stillen Reserven geparkt werden. Wenn sich diese Summe aus den Beiträgen der Versicherten speist, soll künftig die Hälfte sofort auf ihren Konten gut geschrieben werden.
manager-magazin.de mit Material von afp, dpa und reuters