Rentenreform Möglich - aber auch nötig?
Unsere Rentenversicherung ist angeschlagen, sie droht sogar zu kippen. Das liegt zum Beispiel an der veränderten Fertilitätsrate, also der Kinderzahl pro Frau. Für einen konstanten Erhalt einer Gesellschaft geht man von einem Wert von 2,1 Kindern aus. Im Jahr 2000 lag dieser Wert in Westdeutschland bei 1,41 und in Ostdeutschland bei 1,2. Seit 1970 sterben in Deutschland weniger Menschen als Kinder geboren werden.
Das liegt einerseits daran, dass bei uns verstärkt Kinder geplant werden und aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen auf Nachwuchs verzichtet wird. Andererseits führen verbesserte Lebensumstände und eine effizientere Medizin dazu, dass die Alten noch älter werden.
Die Misere wird anhand einer wissenschaftlichen Kennzahl deutlich. Der so genannte Altersquotient definiert die Relation der 65-jährigen und Älteren im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Die Komission des Wirtschaftsprofessors Bert Rürup hat berechnet, dass dieser Faktor im Jahr 2000 noch bei 24,2 Prozent lag. Auf einen Menschen, der 65 oder älter war, kamen also rund drei jüngere Personen. Für das Jahr 2040 wurde jedoch bereits ein Faktor von 52,6 Prozent berechnet, so dass dann über die Hälfte der Bevölkerung die 65-Jahre-Grenze überschritten hat.
Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass pro gezahlter Rente immer weniger Arbeitnehmer immer mehr von ihrem Einkommen zur Finanzierung der Rente der Alten abtreten müssten. Eine Entlastung der Rentenversicherungen ist also unumgänglich.
Interessant aus politischer Sicht ist, dass ausgerechnet der Sozialdemokrat Müntefering den Vorstoß in der Rentendebatte wagt. Als Anwalt der Älteren bringt sich dagegen der 57-jährige CSU-Politiker Horst Seehofer ins Spiel. Im Bayerischen Rundfunk sagte er, dass die schrittweise Erhöhung des Rentenalters im Koalitionsvertrag von der Beschäftigungslage in Deutschland abhängig gemacht wurde. Seehofer wörtlich: "Ich finde, wir sollten in der Politik einmal lernen, gefasste Beschlüsse auch einzuhalten und nur dann zu verändern, wenn sich die Situation grundlegend verändert."
Doch Seehofer ist in den eigenen Reihen mit seinen Äußerungen nicht unumstritten. Vom 25-jährigen Jens Spahn -Fraktionsobmann der CDU/CSU im Gesundheitsausschuss - wurde er bereits als "Sozialromantiker mit Positionen aus den 80er Jahren" abgestemtpelt. Nach seiner Meinung könne Seehofer damit höchstens noch Vorsitzender einer Rentnerlobby werden. Die Gestaltung verantwortungsbewusster Politik für die Zukunft sei damit aber nicht mehr denkbar.
Keine Arbeitsplätze vorhanden
Keine Arbeitsplätze vorhanden
Vielleicht sollten wir einmal fragen, ob die Rente ab 67 überhaupt zumutbar ist, und hier sind mehrere Komponenten zu berücksichtigen: Zum einen lässt der gesundheitliche Zustand der Menschen durchaus eine um zwei Jahre verlängerte Lebensarbeitszeit zu. Gleichzeitig verlangt der höhere Anspruch bei der Ausbildung ebenfalls seinen Preis. Schon heute gibt es Fälle, in denen die schulische Bildung (inklusive Studium) und die Ausbildung im Betrieb zusammen länger sind, als die Zeit, in der in die Sozialversicherungen eingezahlt wird. Beide Faktoren sprechen also für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
Ist die Arbeit bis 67 aber auch möglich? Derzeit arbeitet ein Großteil der Anspruchsberechtigten nicht einmal bis zum 65. Lebensjahr, sie gehen viel früher in Rente. Das liegt zum einen daran, dass üppige Vorruhestandsbezüge für viele Leute attraktiver sind als weiter zu arbeiten. Zum anderen aber auch daran, dass für Arbeitnehmer selbst weit unter dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in den meisten Betrieben keine Arbeitsplätze mehr vorhanden sind. Eine Verrentung mit dem 55. oder 57. Lebensjahr ist heute keine Seltenheit.
Experten gehen deshalb schon jetzt bei einer früheren Einführung des späteren Rententermins von einer Klagewelle vor den Arbeitsgerichten aus. Man befürchtet, dass viele Betriebe versuchen werden, ältere Mitarbeiter über eine vertraglich geregelte Arbeitszeit bis zum 65. Lebensjahr loszuwerden.
Hier zeigt sich wieder, dass nahezu unsere gesamten sozialen Probleme mehr oder weniger stark von der Lage am Arbeitsmarkt abhängen. So lange es nicht genügend Arbeitsplätze gibt, so lange stellt die spätere Verrentung nichts anderes als eine Kürzung der Rente durch die Hintertür dar. Dies aber ist den Rentenempfängern nur schwer zu vermitteln.
Sicherlich haben wir einen Generationenvertrag, der besagt, dass die arbeitende Generation die Finanzierung der Rentnerinnen und Rentner übernimmt. Dennoch wird jeder, der in die Rentenversicherung eingezahlt hat, dies so empfinden, wie er es ausdrückt: "Ich habe in meine Rentenversicherung eingezahlt." Die Situation der Betroffenen sieht deshalb derzeit so aus, dass man als Arbeitnehmer, der mit 55 arbeitslos wird, doppelt bestraft wird. Da er keine Arbeitsstelle mehr bekommt, muss er, nach Ablauf des Arbeitslosengeldes, rund elf Jahre vom Arbeitslosengeld II leben - übrigens auch bezahlt von den Steuerzahlern, also der arbeitenden Generation.
Erfahrungen nutzen
Erfahrungen nutzen
Hinzu kommt, dass in diesen Jahren nur ein geringer Beitrag von der Agentur für Arbeit gezahlt wird, was zu einer geringeren Rente im Alter führt. Die oder der Betroffene wird also zweimal bestraft. Gibt es Lösungen? Die entscheidende Frage, bei der Veränderung der Rente ist, wie man diesen Schritt in Einklang mit dem Arbeitsmarkt bringt. Was zunächst nur schwer zu vermitteln scheint, ist auf den zweiten Blick durchaus lösbar.
Schon heute wird eingestanden, dass ältere Menschen über ein Erfahrungspotenzial verfügen, das gerade jüngeren Existenzgründern nutzen kann. Bei der Einführung der neuen Arbeitslosenregelungen lautete der Slogan "Fördern und Fordern". Hier wäre ein Potenzial der Förderung, und private Coaching-Einrichtungen gibt es bereits. Sie unterstützen Existenzgründer - Arbeitsplatzbeschaffer von morgen - auf dem Weg zum wirtschaftlichen Erfolg. Was spricht dagegen, solche Agenturen von Seiten der Agentur für Arbeit zu fördern und dort speziell erfahrene ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzusetzen?
Das Argument, deren Wissen sei überaltert, zieht hier nicht. Erstens sind die meisten älteren keine Tattergreise, die am pulsierenden Leben dieser Zeit nicht mehr teilnehmen; vielfach sollten sie ja auch noch knapp zehn Jahre bis zur gesetzlichen Rente arbeiten. So stellen die Über-50-Jährigen in der PC-Branche eine der interessantesten Zielgruppen dar. Seniorinnen und Senioren von heute nehmen am Leben teil und sind flexibel genug, um zu erkennen, wo ihre Erfahrungen noch nützlich sind und wo nicht.
Gleichzeitig gibt es aber auch Bereiche, in denen noch immer ähnliche oder gleiche Gesetze wie in der Vergangenheit gelten. Hier kommt der Erfahrungsvorsprung der älteren Mitmenschen voll zum tragen.
Gleichzeitig muss man darauf hinweisen, dass die Rentenproblematik nur ein Teilaspekt des Gesamtproblems der Sozialversorgung durch den Staat darstellt. So sehen nach Erhebungen des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung 14,6 Prozent der Deutschen in der Pflege von älteren Menschen eine öffentliche Aufgabe und wollen diese in Pflegeheimen unterbringen. 14,8 Prozent stimmten der These "Es ist nicht Aufgabe der Kinder, sich um alte Eltern zu kümmern" zu.
Erschreckende Werte, die verdeutlichen, dass es durchaus eine "Abschiebementalität" gibt, die zu Lasten und auf Kosten der Gesellschaft geht. Ebenso wie Deutschland kein kinderfreundliches so ist es auch kein altenfreundliches Land. Hier aber sind die politischen Möglichkeiten der Veränderung mehr als begrenzt. Hier sind wir alle als Menschen gefordert.