Dax-Kolumne Firmenjäger aus Deutschland
Noch vor wenigen Monaten schien es so, als müssten Deutschlands Unternehmen kollektiv in Deckung gehen. Heuschreckenschwärme schwirrten über dem Land, Finanzinvestoren aus England und den USA, die mit viel Cash Jagd auf deutsche Firmen machen.
Zu den gefürchteten Private-Equity-Fonds gesellten sich ausländische Global Player wie die Unicredito , die sich im Wege eines M&A-Deals (Mergers and Acquisitions) mal eben für rund 18 Milliarden Euro die HypoVereinsbank einverleibte. Die Verunsicherung ist so groß, dass sogar Europas größter Autobauer Volkswagen den Sportwagenbauer Porsche zu Hilfe rief, um nicht Opfer einer feindlichen Übernahme zu werden.
Kein Grund, in Panik zu verfallen. Dass ausländische Investoren im vergangenen Jahr mehr als 70 Milliarden Euro für Firmenkäufe und Firmenbeteiligungen in Deutschland ausgegeben haben, ist zunächst einmal ein gutes Zeugnis für den Standort. Deutsche Unternehmen sind in der Mehrzahl profitabel, wettbewerbsfähig oder haben zumindest alle Voraussetzungen, nach einer Phase der Restrukturierung wieder enorm wettbewerbsfähig zu sein: Anderenfalls würde kein ausländischer Investor in Deutschland zur Landung ansetzen. Neben direkten Beteiligungen greifen ausländische Fonds auch gern bei deutschen Aktien zu - ein guter Teil der Kursrally im Dax geht auf ihr Konto.
Dax-Konzerne strotzen vor liquider Kraft
Die Einkaufstour in Deutschland ist zudem nur die halbe Geschichte. Inzwischen sind deutsche Unternehmen selbst wieder kräftig auf Einkaufstour im Ausland. Ihre potenziellen Kriegskassen sind, gespeist von kräftig gestiegenen Gewinnen, prall gefüllt. Allein Eon und DaimlerChrysler könnten nach Berechnungen der Universität Halle im Ernstfall jeweils mehr als 30 Milliarden Euro locker machen: Auf diese Höhen summieren sich die liquiden Mittel und das von den Aktionären für mögliche Übernahmen genehmigte Kapital. Doch auch Siemens , die Deutsche Telekom und SAP strotzen vor liquider Kraft.
Deutsche Konzerne haben keinen Grund, über die Globalisierung und global agierende Firmenjäger zu lamentieren. Sie mischen selbst kräftig mit im globalen Übernahmekarussell.
ThyssenKrupp: Übernahme-Drama um Dofasco
Linde und BASF: Aggressive Einkaufstour
Neue Beispiele für diese Einkaufslust gaben die Dax-Konzerne Linde und BASF in dieser Woche. Linde bietet elf Milliarden Euro für den britischen Industriegasehersteller BOC - dieser ist mit weltweit 30.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 4,5 Milliarden Pfund kein kleiner Fisch. Um die Übernahme finanziell zu stemmen, müsste Linde wahrscheinlich sein Gabelstaplergeschäft verkaufen, wird in Frankfurt gemunkelt. Doch im Geschäft mit technischen und medizinischen Gasen sind ohnehin bessere Renditen zu erzielen.
Eine steigende Rendite verspricht sich auch BASF-Chef Jürgen Hambrecht und hält deshalb an der Fünf-Milliarden-Offerte für das US-Unternehmen Engelhard fest. Noch sträubt sich der Katalysatorenhersteller aus New Jersey, der seine Wurzeln im hessischen Hanau hat und Werke in Hannover und Nienburg betreibt, gegen den mächtigen "Firmenjäger" aus Germany.
Behält BASF dennoch die Oberhand, wäre es die bislang größte feindliche Übernahme eines deutschen Unternehmens in den USA. "Bei BASF ist viel Cash vorhanden, das mit einer Übernahme von Engelhard jetzt angelegt werden könnte", so Analyst Carsten Kunold von Merck & Fink.
ThyssenKrupp: Übernahme-Drama um Dofasco
Die stattlichsten Kursgewinne der deutschen Firmenjäger verbuchte aber in dieser Woche der Stahlkonzern ThyssenKrupp.
Der Stahlkocher war zunächst im Bieterkampf um den kanadischen Konkurrenten Dofasco abgeblitzt und musste das Feld der belgischen Arcelor überlassen: Der Kurs der Aktie zog kräftig an, da Anleger auf eine Ausschüttung der Barreserven hofften. Schließlich hatte erst vor wenigen Wochen der Energiekonzern Eon eine Sonderausschüttung im Wert von mehr als drei Milliarden Euro angekündigt, nachdem die Übernahme von Scottish Power geplatzt war.
Schlucken und geschluckt werden
Doch auf die Ausschüttung dürften Thyssen-Aktionäre wohl nun noch länger warten. Kaum hat Arcelor die Übernahme von Dofasco bekannt gegeben, legte der weltweit größte Stahlhersteller Mittal Steel aus Indien ein Angebot für Arcelor vor.
Schlucken und geschluckt werden. Sollte der Riesenfisch Mittal den großen Fisch Arcelor schlucken, könnte die noch nicht verdaute Beute von Arcelor, Dofasco, doch noch an den kleineren Fisch ThyssenKrupp fallen. Eine entsprechende Vereinbarung haben ThyssenKrupp und Mittal bereits angedeutet. Die Aktie hat auf Wochensicht um knapp 20 Prozent zugelegt: Anleger sind elektrisiert vom immer schnelleren Übernahmepoker in der Branche.
Die dicken Deals deutscher Unternehmen
Die dicken Deals der deutschen Unternehmen
Der Thriller um Thyssen und Dofasco darf jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass andere deutsche Konzerne bereits still und leise zahlreiche freundliche Übernahmen durchgezogen haben.
Adidas hat den US-Konkurrenten Reebok für 3,8 Milliarden Dollar übernommen und dafür in dieser Woche auch das OK der europäischen Wettbewerbshüter erhalten. Der Dialyse-Hersteller Fresenius Medical Care verleibte sich für die gleiche Summe die US-Gruppe Renal Care ein, die Deutsche Bahn und der Elektronikkonzern Siemens gaben jeweils rund eine Milliarde Dollar für den US-Logistiker Bax Global sowie die US-Gruppe CTI aus, und die Deutsche Post griff sich für 7,3 Milliarden Euro den britischen Logistiker Exel.

Engelhard: BASF bietet 4,9 Milliarden Dollar für den US-Chemiekonzern
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Renal Care: Für 3,9 Milliarden Dollar griff FMC im Mai 2005 zu

Reebok: Adidas schluckte den Konkurrenten für 3,8 Milliarden Dollar
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Bax Global: Die Bahn investierte 1,1 Milliarden Dollar für den US-Logistiker
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CTI Molecular: Für rund eine Milliarde Dollar ging der Zuschlag an Siemens
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Milliardendeals: Deutsche in Kauflaune Bitte klicken Sie auf ein Bild, um zur Großansicht zu gelangen. |
Dass der Finanzkonzern Allianz am heutigen Freitag meldete, für rund eine Milliarde Euro 2,5 Prozent der Anteile an Chinas größtem Finanzhaus ICBC zu erwerben, fällt angesichts dieser Bilanz fast schon unter ferner liefen.
Ausgewogene Bilanz
Deutsche Unternehmen könnten in diesem Jahr wieder ebenso viel Geld für Zukäufe im Ausland investieren, wie Ausländer hierzulande für Anteilskäufe ausgeben, bestätigte Holger Bross von Merrill Lynch in einem Gespräch mit der "Welt". Bereits 2005 hätten die Deutschen ihre Investitionen im Ausland auf knapp 48 Milliarden Dollar verdoppelt - Adidas und FMC stehen nicht allein.
Übernahmen allein sind keine Garantie für Erfolg. Dass große Mergers and Acquisitions auch Geld vernichten können, haben Aktionäre von DaimlerChrysler in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren. Nach dem Abschied von der "Welt AG" und dem Ausstieg beim japanischen Partner Mitsubishi versucht der neue Daimler-Chef Dieter Zetsche, nach der Sanierung von Chrysler in den USA nun auch den Gesamtkonzern wieder auf Rendite zu trimmen.
Aktionäre von BASF und Linde müssen sich noch in Geduld üben. Offen ist, ob die Übernahmen überhaupt gelingen - ob sie langfristig die Renditen steigern, steht ohnehin in den Sternen. Aktionäre von ThyssenKrupp können das weitere Pokerspiel um Mittal, Arcelor und Dofasco schon etwas entspannter verfolgen, denn die Kursgewinne dieser Woche sprechen eine eindeutige Sprache. Vielleicht kommt bald ein Angebot für ThyssenKrupp selbst auf den Tisch? Möglich. Gesichert ist dagegen, dass deutsche Unternehmen wieder kräftig mitmischen.