Kirchhofs Steuerreformkonzept Legalize it!
Paul Kirchhof als Finanzexperte im Kompetenzteam der Union macht Hoffnung auf eine bessere Steuerpolitik. Als Richter am Bundesverfassungsgericht hat er geholfen, dem Steuerstaat Grenzen zu setzen. Der Untergang der Vermögensteuer geht wesentlich auf sein Konto und auch der "Halbteilungsgrundsatz": Der Staat soll nicht mehr als etwa die Hälfte des Einkommens seiner Bürger besteuern. Und überdies hat er ein fertiges Steuerkonzept im Gepäck. Es hat zwar nicht viel mit den diffusen Steuerplänen der Union zu tun, ist aber äußerst sehenswert - und wer weiß? Vielleicht wird ja etwas draus, wenn Paul Kirchhof Finanzminister ist.
Statt der bisherigen 31 Einzelsteuern, stellen sich Kirchhof und sein Team als Ideal ein System mit nur noch drei Steuerarten vor: die Einkommensteuer, die einheitlich für natürliche Personen als und auch für Kapitalgesellschaften gelten soll, die Umsatzsteuer sowie die Erbschaft- und Schenkungsteuer. Dazu kommt noch als Ersatz für unsere Gewerbesteuer ein Zuschlag zur Einkommensteuer, der von den Gemeinden erhoben wird.
Dem Unfug am besten gleich ein Ende setzen
Fragwürdig findet Kirchhof Tabaksteuer, Mineralölsteuer, Branntweinsteuer, Ökosteuer und so weiter und so fort. Der Staat meint, unerwünschte Dinge besteuern zu müssen. Werden die Übel wirklich abgestellt, brechen plötzlich die Steuereinnahmen weg.
Der Gedankengang ist plausibel: Mit der Einführung der Ökosteuer wurde der umweltschädliche Energieverbrauch höher besteuert und auf diese Weise verteuert, um die Leute zum Sparen zu motivieren. Die neuen Steuereinnahmen stärken die Rentenkassen, damit die Rentenbeiträge, die als Lohnnebenkosten Teil der in Deutschland hohen Kosten für Arbeit sind, in Grenzen gehalten werden können.
Wird die Ökosteuer umweltpolitisch ein Erfolg - die Deutschen fahren nur noch in windgetriebenen Autos und heizen mit Wasserkraft, dann ist sie finanzpolitisch ein Misserfolg - Gelder für die Unterstützung der Rentenkasse fehlen, und es muss über eine neue Steuer nachgedacht werden, um die Löcher zu stopfen. Hier hat Kirchhof Recht: Besser gleich Schluss machen mit solchem Unfug.
Über Bord damit - aus sieben mach eins!
Auch das Durcheinander unserer sieben Einkunftsarten und die Sonderbehandlung von GmbH- und AG-Gewinnen mit der Körperschaftsteuer stört das Kirchhof-Team - also werfen sie es über Bord. Nach dem neuen Konzept gibt es eine einheitliche Einkommensteuer, die für alle Privatpersonen und alle Unternehmen gilt, also auch für GmbHs und AGs.
Jeder Bürger bekommt einen Grundfreibetrag von 8000 Euro. Einen Kinderfreibetrag gibt es nicht mehr, stattdessen 2000 Euro Kindergeld pro Kind pro Jahr. Wenn es ans Verdienen geht, wird jeder Privatperson noch ein Freibetrag, die "Erwerbskostenpauschale", zugestanden: weitere 2000 Euro im Jahr für Kosten, die ihr bei der Erzielung ihrer Einkünfte entstehen. Sind die Kosten höher, können sie gegen Nachweis geltend gemacht werden. Steuerpflichtige Einkünfte sind alles, was auf Grund von Arbeitskraft oder aus "Erwerbsgrundlagen zur Erzielung von Einkünften" erwirtschaftet wird.
Es geht also um Löhne und Gehälter, aber auch um Zinsen, Mieteinnahmen oder Veräußerungsgewinne beim Verkauf von Wertpapieren wie Aktien.
Renten besteuern, Beiträge dafür absetzen
In vollem Umfang besteuert werden auch alle Arten von Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten. Im Gegenzug lassen sich Zahlungen für solche Renten, die privat oder vom Arbeitgeber geleistet werden, steuerlich absetzen. Allerdings nur, soweit es sich um eine persönliche Rente handelt, die ab dem 60. Lebensjahr oder bei Erwerbsunfähigkeit zum Zuge kommt. Zahlungen an Lebensversicherungen zur Vermögensbildung werden nicht steuermindernd berücksichtigt. Es muss um Renten gehen, die mit dem Tod erlöschen. Wer fürs Alter oder seine Nachkommen Kapital ansammeln will, muss versteuertes Geld ansparen.
Drei Steuersätze: 15, 20 und 25 Prozent
Kirchhof und sein Team finden unsere Steuersätze zu hoch und mögen die Unterschiede nicht - also fahren sie die Sätze runter und besteuern (fast) alles zum gleichen Tarif. Der Einkommensteuersatz beträgt einheitlich 25 Prozent, wobei von den ersten steuerpflichtigen 5000 Euro Jahreseinkommen nur 60 Prozent herangezogen werden, von den nächsten 5000 Euro dann 80 Prozent. Das ergibt de facto einen Drei-Stufen-Satz: 15 Prozent Einkommensteuer bis 5000 Euro, 20 Prozent von 5000 bis 10.000 Euro und 25 Prozent für alles, was darüber liegt. Höher soll der Steuersatz nicht gehen.
Keine Extrawürste - gleiches Recht für alle!
Kirchhof mag Extrawürste bei Veräußerungsgewinnen und private Steuerabzüge nicht. Also: Gleiches Recht für alle! Weg mit den Abzügen! Voll besteuert werden Gewinne beim Verkauf von Wirtschaftsgütern, wenn sie der Erzielung eines Einkommens dienten. Damit wären auch Veräußerungsgewinne bei vermieteten Immobilien und bei Aktien immer steuerpflichtig.
Alle Aufwendungen, die auch nur zum Teil dem privaten Nutzen dienen, sind nicht abzugsfähig. Kilometerpauschale und häusliches Arbeitszimmer wären damit gestrichen, wohl auch Bewirtungskosten von Unternehmern.
Bei der Ehegattenbesteuerung gibt es keinen Splittingtarif, allerdings können Eheleute die Freibeträge untereinander übertragen. Verdient nur einer der Ehepartner, kann er den Grundfreibetrag von 16.000 Euro und die Erwerbskostenpauschale von 4000 Euro für beide geltend machen. Der Befund bei der Einkommensteuer bis hierhin: wohltuend aufgeräumt mit einfachen und niedrigen Steuersätzen.
Unternehmensbesteuerung - vollkommen neu
Die "steuerjuristische Person"
Völlig neu soll die Unternehmensbesteuerung geregelt werden. Selbstständig tätige Einzelpersonen werden durchweg gleich besteuert, die bisherige Unterscheidung zwischen gewerblich und freiberuflich fällt weg. Betreiben mehrere Leute ein Unternehmen oder eine freiberufliche Praxis gemeinsam, werden solche Gemeinschaften und Gesellschaften als "steuerjuristische Personen" behandelt.
Es fällt also auch die Unterscheidung zwischen verschiedenen Gesellschaftsformen bei der Steuer weg. Das gilt für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die häufig von Freiberuflern gewählt wird, genauso wie für OHG, KG, GmbH oder AG. Die Gewinne all dieser Gesellschaften werden einheitlich mit 25 Prozent belastet.
Freibeträge oder niedrigere Eingangssteuersätze soll es für die Gewinne von OHGs, KGs, GmbHs und AGs nicht geben. Die einzelnen Gesellschafter können ihre 8000 Euro Grundfreibetrag und die niedrigeren Steuersätze (15 Prozent und 20 Prozent) auf die ersten 10.000 Euro steuerpflichtige Einkünfte nutzen, indem sie ihren Anteil vom Gewinn bei sich persönlich besteuern lassen - und nicht beim Unternehmen.
Keine Doppelbelastung bei ausgeschütteten Gewinnen
Gute Idee für Firmen mit wenigen Beteiligten; nicht praktikabel bei Gesellschaften mit vielen Anteilseignern und bei unterjährigem Verkauf von Anteilen. Eine börsennotierte Groß-AG wird es kaum hinkriegen, die Wünsche ihrer Aktionäre zu berücksichtigen, ob der auf jeden Einzelnen entfallende Gewinn bei der AG oder bei ihm selbst besteuert werden soll. Den dafür nötigen Verwaltungsaufwand mag man sich gar nicht vorstellen. Siemens-Aktionäre müssen sich also über eine solche Option keine großen Gedanken machen.
Werden die versteuerten Gewinne der Gesellschaften an die Beteiligten ausgezahlt, bleiben diese Dividenden oder Entnahmen bei ihnen steuerfrei. Die steuerliche Doppelbelastung bei ausgeschütteten Gewinnen von GmbHs und AGs entfällt komplett. Besteuert wird nur einmal, und zwar bei der Gesellschaft. Da der Steuersatz bei Menschen aus Fleisch und Blut und solchen Kapitalgesellschaften gleich ist, werden alle Einkünfte auch gleich belastet.
Chapeau!
Die Sache mit dem Veräußerungsgewinn
Wie mit Veräußerungsgewinnen und -verlusten umgehen?
Werden Anteile an einer Gesellschaft, also einer "steuerjuristischen Person", verkauft, stellt sich die Frage, wie der Veräußerungsgewinn zu besteuern ist. Kommt beim Verkauf mehr heraus, als früher einmal gezahlt wurde, kann das auch daran liegen, dass die Gesellschaft in ihrem Vermögen noch Gewinne hat, die bereits versteuert sind. Oder für die Anteile wird viel gezahlt, weil zukünftige Gewinne erwartet werden, die - wenn sie denn kommen - noch besteuert werden.
In diesen Fällen bringt eine Steuer auf den Veräußerungsgewinn beim Anteilseigner in der Regel eine doppelte Belastung dieser Gewinne. Und das will man nicht. Andere Wertsteigerungen, bei Unternehmensanteilen, zum Beispiel durch Spekulation, sollen beim Verkauf aber besteuert werden.
90 Prozent des Verkaufspreises steuerfrei
Im Kirchhof-Modell ist deshalb der Veräußerungsgewinn steuerpflichtig, es werden aber mindestens 90 Prozent des Veräußerungspreises als Anschaffungskosten für die Anteile angesetzt. Verkaufe ich meine Siemens-Aktien für 100 Euro, gelten mit dieser Regel immer mindestens 90 Euro als Anschaffungskosten, selbst wenn ich dafür nur 20 Euro bezahlt habe; mein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn ist maximal 10 Euro. Damit werden höchstens 10 Prozent des erzielten Preises besteuert; bei einem Steuersatz von 25 Prozent ergibt das eine moderate Steuerlast von 2,5 Prozent. Habe ich für meine Siemens-Aktien 120 Euro bezahlt und verkaufe sie für 100 Euro wird der Verlust von 20 Euro bei meiner Einkommensteuer berücksichtigt, ich kann ihn gegen andere steuerpflichtige Einkünfte rechnen.
Die Regelung für Privatpersonen
Privatpersonen können Gewinne und Verluste verschiedener Einkunftsquellen in einem Jahr miteinander ausgleichen. Verdient jemand beispielsweise Geld als Angestellter und hat gleichzeitig Verluste aus einem halb leer stehenden Mietshaus, wird das verrechnet, besteuert wird der Saldo, in diesem Fall vielleicht gar nichts. Verluste einer Gesellschaft, können auf die Beteiligten übertragen und gegen ihre übrigen steuerpflichtigen Einkünfte gerechnet werden, wenn die Gesellschafter persönlich und unbeschränkt für die Schulden der Gesellschaft haften.
Für Aktionäre oder GmbH-Gesellschafter ergeben sich also - wie bisher - keine persönlichen Steuervorteile, wenn die Gesellschaften Verluste machen; in Zukunft soll das auch bei Kommanditisten von KGs gelten. Derzeit können sie Verluste der Gesellschaft gegen ihre persönlichen steuerpflichtigen Einkünfte rechnen, obwohl sie, ähnlich wie GmbH-Gesellschafter, nach Leistung ihrer Einlage nicht mehr für die Schulden der Gesellschaft geradestehen müssen.
Verlustvortrag soll möglich sein
Weitere Kirchhof-Regelungen: Verluste, die im selben Jahr nicht mit steuerpflichtigen Einkünften verrechnet werden, können ohne zeitliche Beschränkung vorgetragen - also mit steuerpflichtigen Einkünften von Folgejahren verrechnet - werden, aber nur zum Ausgleich mit späteren Gewinnen aus "derselben Erwerbsgrundlage", also aus demselben Unternehmen, Mietobjekt oder Ähnlichem. Auch hier gilt für alle Steuerpflichtigen - seien es natürliche Personen oder Gesellschaften welcher Art auch immer - das Gleiche.
Bei Unternehmen könnte das schwierig werden. Müssen wir bei einem Kreuzfahrtschiff zwischen verschiedenen Gewinn- und Verlustbereichen aufteilen - die Bar macht Gewinn, das Casino macht Verlust, seit der neue Croupier dort arbeitet, und an den Maschinenraum mögen wir gar nicht denken - oder ist das alles zusammen "ein Unternehmen" mit einer Erwerbsgrundlage?
Steuerbilanz - vollkommen neu
Das tatsächliche Vermögen der Unternehmen erfassen
Neue Ideen auch zur Gewinnermittlung bei Unternehmen: Es soll zwar weiterhin Bilanzen geben, mit denen der Vermögenszuwachs binnen eines Jahres als der steuerpflichtige Gewinn ermittelt wird - jedoch nicht wie bisher nach den Regeln des Handelsgesetzbuches (HGB) mit ein paar steuerlichen Abweichungen.
Das Kirchhof-Team will eine völlig neue Steuerbilanz entwickeln. Es geht darum, das tatsächliche Vermögen von Unternehmen zutreffender zu erfassen. Laut Kirchhof werden in der Handelsbilanz viele Vermögensmehrungen nicht gezeigt. Kosten für Dinge, die Unternehmen über mehrere Jahre nutzen, werden nach den HGB-Regeln sofort oder zu schnell steuermindernd abgeschrieben. Das soll sich ändern; die zu versteuernden Unternehmensgewinne würden danach höher.
Kaum Neues auf internationaler Ebene
Im internationalen Bereich nicht allzu viel Neues: Doppelbesteuerungsabkommen werden selbstverständlich respektiert. Gewinnausschüttungen von ausländischen Gesellschaften an deutsche Unternehmen und Privatpersonen werden hier nur besteuert, wenn die Steuer im Ausland weniger als die Hälfte der deutschen Steuer beträgt, wenn also dort der Körperschaftsteuersatz unter 12,5 Prozent liegt. Bei Gewinnausschüttungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten und bei Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) müssen die Gewinne bei den Gesellschaften nicht mit mindestens 12,5 Prozent besteuert worden sein, damit die Dividenden beim deutschen Anteilseigner steuerfrei sind. Es reicht, dass die Gewinne der im EU-Ausland für die Gesellschaft normalen Besteuerung unterlegen haben.
Langfristig müsse die Besteuerung international harmonisiert und angeglichen werden. Denn, so Kirchhof: Ein Wettbewerb, wer das attraktivste Steuersystem habe, sei letztlich für alle schädlich.
Nichts gegen internationale Steuerharmonisierung, aber dass zu viel Wettbewerb für alle von Übel sei, ist das klassische Argument für jede Forderung nach Wettbewerbsbeschränkungen. Das ist nicht überzeugend! Wettbewerb sorgt dafür, dass Dinge besser werden.
Ein erstes Fazit - verblüffend einfach
Ein erstes Fazit - verblüffend einfach
Das Kirchhof-Konzept ist verblüffend einfach, klar und geschlossen. Nur noch drei Steuern statt 31, das ist schon ein Wort. Der Vorschlag für die neue Einkommensteuer entspricht dem breiten Konsens, dass dort tüchtig aufgeräumt werden muss. Und dieses Konzept kann sich sehen lassen. Das fängt schon beim schieren Umfang des bereits fertigen Gesetzestexts an: Ein Einkommensteuergesetzbuch mit neun Abschnitten und insgesamt 23 Paragrafen, von denen keiner mehr als vier Absätze hat.
Einzige Ausnahme ist eine Abschluss- und Übergangsregelung, die mit sieben Ziffern aber auch im Rahmen bleibt. Damit werden Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Teile der Abgabenordnung sowie weitere Verordnungen und Ausführungsbestimmungen ersetzt. Die Gewerbesteuer gibt es nicht mehr, die Vermögensteuer gibt es nicht wieder. Ohne etwas steuerjuristischen Sachverstand ist die Sache zwar nicht zu durchschauen - aber welches Gesetz kommt ohne Juristen aus?
Gut ist das Konzept, die Doppelbelastung bei Gewinnen von Gesellschaften und deren Beteiligten zu vermeiden. Besteuert wird nur bei der Gesellschaft, also nur einmal. Da der Steuersatz auf den Gewinn der Gesellschaft mit dem Einkommensteuersatz beim Gesellschafter identisch ist, ist eine Gleichbehandlung aller Investitionsformen hergestellt - egal wo der Gewinn erwirtschaftet wird, egal ob oder wann er ausgeschüttet wird, und, und, und.
Fragen, die sich stellen
Warum nur 2000 Euro Kindergeld?
Warum gibt es keinen Kinderfreibetrag, sondern nur 2000 Euro Kindergeld pro Jahr? Ein Kind kostet oft deutlich mehr, etwa wenn es studiert. Allein der Bafög-Höchstsatz beträgt 6360 Euro pro Jahr, dazu bekommt der Student noch Kindergeld, wenn er nicht zu lange bummelt.
Die Kirchhof-Antwort ist einfach und plausibel: Bei einem Steuersatz von 25 Prozent entsprechen 2000 Euro Kindergeld pro Jahr einem Freibetrag von 8000 Euro. Damit ist der Gleichstellung Genüge getan. Die Sache wird eben nicht über weitere Steuerfreibeträge geregelt, die ausgerechnet Geringverdienern und einkommenslosen Personen nicht zugute kämen, sondern schlank und für jeden gleich über das Kindergeld.
Jeder Steuerabzug eine unerwünschte Extrawurst?
Wieso sollen Kosten, die teils der privaten Nutzung, teils der Erzielung von Einkommen dienen, nicht wenigstens anteilig die Steuer mindern? Es gibt ja schließlich einen Teil, der zur Einkunftserzielung aufgewendet wird? Wer will überhaupt feststellen, ob Ausgaben teilweise private Gründe haben? Gute Fragen, bei denen sich unser Steuersystem schon heute hoffnungslos verheddert und auf die noch kein Steuersystem eine Antwort gefunden hat, die alle befriedigt.
Wenn Kirchhof hier die Steuerabzüge radikal zusammenstreichen will, hat das Charme. Manches, das nervt, wäre vom Tisch. Zum Beispiel die endlose Diskussion um wie, wie viel, wie lange unserer Pendlerpauschale, bei der auch teilweise private Fahrtkosten steuermindernd berücksichtigt werden.
Kirchhof fragt nicht nach dem Wieviel. Er stellt die Frage: Wieso? Kommt die Antwort "Also das ist nicht so ganz einfach zu sagen; hierbei sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen ...", dann will das keiner wissen; also weg damit.
Die Vereinfachung hat auch ihren Preis
Die Vereinfachung hat auch ihren Preis
Schließlich gibt es für jeden einen pauschalen Freibetrag von 2000 Euro für Erwerbskosten. Wer solche Kosten tatsächlich nicht hat, hat beim 25 Prozent Steuersatz einen Vorteil von 500 Euro gegenüber dem, der tatsächlich 2000 Euro für Arbeitsmittel ausgegeben hat. Ist das gerecht? Vielleicht nicht so ganz. Aber vielleicht ist es ein vernünftiger Preis für die Vereinfachung.
Ein weiteres Plus: Der 2000-Euro-Freibetrag macht bei den meisten Arbeitnehmern den Einzelkostennachweis überflüssig - samt Belegen und begleitender Zettelwirtschaft, nebst Versuchung zum Schummeln sowie Verwaltungs- und Prüfarbeiten bei den Finanzämtern.
Angreifbar ist auch die Sache mit den Auslandsdividenden für Deutsche. Ein hier Ansässiger soll keine Einkommensteuer auf die Gewinnausschüttungen von einer ausländischen GmbH zahlen. Deren Gewinne sind aber manchmal nur sehr niedrig besteuert, wenn man es dort andersherum macht als bei Kirchhof: Der Gewinn des Unternehmens wird entlastet, weil die Dividende beim Gesellschafter voll der Einkommensteuer unterliegt. Nach Kirchhof würde auch in einem solchen Fall häufig keine Einkommensteuer auf die Dividende beim deutschen Gesellschafter fällig, weil auf die deutsche Besteuerung geguckt wird, bei der der Unternehmensgewinn ja bereits voll besteuert ist. Über die Grenze kommt es mit dieser Regel manchmal zu Verwerfungen.
Muss eine neue Methode der Gewinnermittlung sein?
Ob die Erfindung neuartiger Steuerbilanzen zwecks besserer Erfassung der Unternehmensgewinne weiterführt, kann auch bezweifelt werden. Schon jetzt gibt es diverse unterschiedliche Bilanzierungsstandards, die sich um die zutreffendste Gewinnermittlung rangeln. Ist da wirklich noch eine Methode erforderlich?
Bei vielen Kritikpunkten am Kirchhof-Konzept sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass Alternativlösungen meist zu komplizierteren Regelungen führen. Neue Fragen werden aufgeworfen und Anreize zu kunstvollen Gestaltungen gegeben, um Steuern zu mindern. Letztlich besteht die Gefahr, einen wesentlichen Pluspunkt in Sachen Steuergerechtigkeit schrittweise aufzugeben: die genial einfache Struktur.
Woran die Umsetzung scheitern könnte
Woran das Kirchhof-Konzept scheitern könnte
Der wohl entscheidende Mangel des Kirchhof-Konzepts ist die eher geringe Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung in näherer Zukunft.
Dreh- und Angelpunkt der Steuervereinfachung ist bei diesem Vorschlag die einheitliche Besteuerung aller Einkünfte, egal, wie sie erzielt werden. Entscheidende Grundlage dafür ist der einheitliche Steuersatz von 25 Prozent für alle Einkunftsarten, auch bei Einkünften von Gesellschaften, egal ob die Gewinne an Beteiligte verteilt werden oder nicht.
25 Prozent Spitzensteuersatz wohl nicht durchsetzbar
Bei der Gewinnbesteuerung von GmbHs und AGs, die entscheidend für internationale Investitionen ist, sind 25 Prozent ein konkurrenzfähiger Satz, viel höher sollte er wegen des internationalen Standortwettbewerbs nicht gehen. Der Spitzensatz für die persönliche Einkommensteuer ist hingegen mit 25 Prozent im internationalen Vergleich und vor allem mit Blick auf die Steuergeschichte Deutschlands extrem niedrig. Zwischen 1999 und 2005 ist der Höchstsatz bei uns von 53 auf 42 Prozent gefallen.
Ein Spitzensteuersatz von 25 Prozent hat beim jetzigen Stand der öffentlichen Steuerdiskussion wahrscheinlich keine sehr großen Chancen auf eine politische Umsetzung. Selbst wenn mit dem Kirchhof-Konzept echte oder vermeintliche Steuerschlupflöcher für Vielverdiener geschlossen werden, und sie damit im Ergebnis manchmal höhere Steuern zahlen würden als mit unserem jetzigen System.
Indes, trotzdem und dennoch: Dieses Konzept ist extrem reizvoll, und Paul Kirchhof ist ein kluger und überzeugender Vertreter seiner Ideen. Kleine Wunder würden Deutschland nicht schaden und eine Kirchhof-Steuerreform wäre sogar ein etwas größeres; das würde glatt für drei kleine Wunder zählen.