Rentenkassen Auszahlung auf Pump
Berlin - Ein drohender Engpass zwingt die Rentenkassen, den Bund voraussichtlich schon im September um fast eine halbe Milliarde Euro zu bitten. "Es kann sein, dass im September ein vorgezogener Bundeszuschuss in der Größenordnung von 450 Millionen Euro in Anspruch genommen werden muss", bestätigte das Bundessozialministerium am Dienstag.
Zudem müsse möglicherweise noch ein Darlehen aufgenommen werden, warnte der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR). Die Wahrscheinlichkeit werde "eher größer als kleiner", dass die Rentenkassen zum Jahresende einen Kredit des Bundes benötigten, sagte VDR-Geschäftsführer Franz Ruland dem "Handelsblatt". "Wir leben von der Hand in den Mund", so Ruland
Die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt drücke die Einnahmen der Rentenkassen, hieß es zur Begründung. Im Juni waren die Einnahmen aus den Pflichtbeiträgen erneut um 0,6 Prozent gefallen. Die Schwankungsreserve liegt mit 890 Millionen Euro weit unter dem gesetzlichen Mindestwert von 3,2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: die monatlichen Ausgaben der Rentenkassen summieren sich auf rund 15,8 Milliarden Euro.
Die Bundesregierung sieht wegen der möglicherweise vorgezogenen Auszahlung der Bundesmittel keinen Grund zur Besorgnis. Allmonatlich überweist sie den Rentenkassen 5 Milliarden Euro aus Steuermitteln. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Werde die Auszahlung des Oktober-Betrags nun teilweise vorgezogen, handele es sich dabei um ein normales Instrument. "Das ist nichts Außergewöhnliches", sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundessozialministerium, Franz Thönnes. Die verlässliche Auszahlung der Renten sei auf jeden Fall gewährleistet. Zuletzt war ein solcher vorgezogener Zuschuss 1985 notwendig geworden.
"Wenn es ein Problem geben sollte, ist es auf 2005 beschränkt", hieß es beim Bundessozialministerium weiter. Gegenüber manager-magazin.de betonte eine Sprecherin, das Ministerium gehe davon aus, "dass sich die Beitragsentwicklung mit dem Anziehen der Konjunktur in den kommenden Monaten wieder bessert". Ab Oktober seien erfahrungsgemäß die Beitragseinnahmen wieder höher.
Ruf nach späterem Renteneintritt
Ruf nach späterem Renteneintritt
Zu einem darüber hinausgehenden Darlehen wollte sich das Ministerium nicht äußern. "Ich halte nichts davon, jetzt über Bundesgarantien zu spekulieren", so die Sprecherin. Auch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wollte zu den Finanzierungsengpässen auf Nachfrage keine Stellung nehmen.
Angesichts der neuerlichen Zweifel an der finanziellen Ausstattung der Rentenkassen warf Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), den Parteien "Konzeptions- und Mutlosigkeit" in der Rentenpolitik vor. Obwohl der Handlungsbedarf "mehr als offensichtlich" sei, werde das Thema in den Wahlprogrammen "nahezu ausgespart", sagte er dem "Handelsblatt": "Ehrlich ist das nicht." Konkret forderte Hundt eine Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters.
Rürup: "Rücklagen zu gering"
Ähnlich äußerte sich der Wirtschaftsweise Bert Rürup: "Wir brauchen zudem eine rasche Entscheidung, das gesetzliche Rentenalter ab 2010 gleitend auf 67 Jahre anzuheben." Der Rentenbeitrag werde auf absehbare Zeit nicht unter die gegenwärtigen 19,5 Prozent sinken. Dem "Handelsblatt" sagte Rürup, Vorrang vor möglichen Beitragssenkungen müsse der Aufbau der Schwankungsreserve haben. Das Problem liege darin, dass keine Rücklagen mehr vorhanden seien, um einen kurzfristigen Beitragseinbruch abzufedern.
CDU-Generalsekretär Volker Kauder kritisierte, die Schwierigkeiten seien seit langem absehbar. Die einzige Lösung seien mehr Arbeitsplätze und Wachstum. "Alles andere ist die Verteilung des Mangels." Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit allein löse kein Problem.
Der Sozialverband VdK warnte davor, dass die Reserve der Rentenzahlungen versiegt. "Eine Nullrunde folgt auf die nächste, während die Betroffenen zusätzlich immer neue Belastungen zu schultern haben", sagte VdK-Präsident Walter Hirrlinger. "Es rächt sich nun, dass entgegen aller Warnungen die Reserven nicht zügig wieder aufgefüllt wurden."
Der Bundeszuschuss zur Rente gehört seit dem Inkrafttreten der Rentenreform im Jahr 1957 zum System der gesetzlichen Alterssicherung. Damals betrug der gesetzlich fixierte Zuschuss des Bundes zu den Rentenfinanzen 3,4 Milliarden Mark. 2002 betrug die Summe der Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung rund 50 Milliarden Euro. Nach Berechnungen der BfA deckten die Zuschüsse des Bundes 1957 allerdings noch rund 32 Prozent der damaligen Rentenausgaben, 2002 lag der Finanzierungsanteil des Bundes an den Renten nur noch bei 26 Prozent.