Arbeitszeit Das Ende der Tabus
Wenn auch die IG Metall bei VW nur mit lautem Zähneknirschen dem neuen Haustarif zustimmte, fiel es hier doch noch relativ leicht. Denn die Einkommen der VW-Mitarbeiter lagen über denen der übrigen Branche. So räumte IG-Metall-Verhandlungsführer Hartmut Meine auch ein: "Wir entwickeln uns schrittweise auf ein in der sonstigen Autoindustrie übliches Tarifniveau zu." Er verbindet damit die Hoffnung, Produktionen aus dem Ausland zurückzuholen. Der bisherige Haustarif sicherte den Beschäftigten Einkommensvorteile von rund 10 Prozent gegenüber anderen deutschen Automobilbauern.
Für den Verzicht auf Lohnerhöhungen in den nächsten 27 Monaten erhalten die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter eine Arbeitsplatzgarantie bis zum Jahre 2011. Bei Neueinstellung werden niedrigere Löhne angesetzt als bei den bereits Beschäftigten. Hier werden die Löhne knapp über 82 Prozent des jetzigen Niveaus liegen.
Gewerkschaften müssen sich neu orientieren
Für die Gewerkschaften bedeutet der Abschluss bei VW eine Neuorientierung, die sicherlich schmerzlich ist. In der Vergangenheit war es üblich, mehr Geld für kürzer werdende Arbeitszeiten zu fordern. Die Gewerkschaften konnten sich deshalb als die Boten guter Nachrichten etablieren. Das ist vorbei. Die Arbeitsplatzsicherung hat einen vorrangigen Stellenwert. Die Mehrheit der Arbeitnehmer legt heute mehr wert auf einen sicheren als einen finanziell expandierenden Arbeitsplatz und nimmt hierfür auch Mehrarbeit in Kauf.
Doch noch scheint sich dies in Gewerkschaftskreisen nicht überall herumgesprochen zu haben. Vorschlägen in Richtung der Arbeitszeitverlängerung erteilte beispielsweise Verdi-Sprecher Harald Reutter am vergangenen Sonntag eine Absage.
Nach Reutters Meinung ist Arbeitszeitverlängerung der falsche Weg. Im Gegenteil, für ihn führt die Arbeitszeitverlängerung zum Abbau von Arbeitsplätzen. "Mit den Gewerkschaften ist das nicht zu machen", so Reutter.
Dennoch dürfte der VW-Abschluss Signale setzen, die in die Richtung führen, auf Lohnzuwächse zu verzichten und dafür Arbeitsplatzsicherung zu betreiben. Darum darf die Diskussion über die Arbeitszeitregelungen der Zukunft kein Tabuthema sein.
Feiertage dürfen kein Tabu sein
Viel Staub hat der Vorschlag von Hans Eichel aufgewirbelt, den Tag der deutschen Einheit auf den ersten Sonntag im Oktober zu verlegen. Manche sprachen bereits von "Vaterlandsverrat". Aber wäre es wirklich so skandalös, den Tag der deutschen Einheit auf einen grundsätzlich arbeitsfreien Sonntag zu verlegen?
Vor dem Hintergrund, dass die Wiedervereinigung sehr viel Geld kostet (dies ist eine Feststellung, kein Vorwurf), wäre es doch eigentlich ganz im Sinne der Einheit, dass wir an diesem Tag arbeiten, um so einen symbolischen Beitrag zur Wiedervereini-gung dieses Landes zu leisten.
Doch das Thema wurde ja bereits von Gerhard Schröder - wenn auch zähneknirschend - wieder zurückgezogen. Die Kirchen haben bereits davor gewarnt, religiöse Feiertage zu streichen und die Gewerkschaften werden sicher rebellieren, sollte man Hand an den 1. Mai legen.
Allerdings muss doch auch die Frage erlaubt sein, warum eigentlich Menschen an christlichen Feiertagen nicht arbeiten können, wenn sie darin doch gar kein religiöses Fest, sondern lediglich einen zusätzlichen Urlaubstag sehen? Denn die religiösen Feiertage wurden doch eigentlich eingeführt, damit die Christen an diesen Tagen ihrem Glauben gemäß zum Beispiel die Kirche besuchen, Gottesdienste abhalten, oder Prozessionen besuchen.
Von moslemischen Arbeitnehmern in diesem Land erwarten wir auch, dass ihnen der Glauben den einen oder anderen Urlaubstag wert ist - darf dieses "Opfer" nicht auch vom christlichen Arbeitnehmer verlangt werden?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht für die Abschaffung aller Feiertage, aber ich bin dafür, dass man offen und ehrlich diese Fragen diskutiert.
Mehrarbeit ist unvermeidlich
Rückkehr zur 40-Stunden-Woche?
Eine Abschaffung von Feiertagen ist nicht zwingend notwendig. Man wird sich aber darüber einig sein, dass Mehrarbeit unvermeidlich sein wird. Darum muss jetzt auch über längere Arbeitszeiten gesprochen werden.
Längere Arbeitszeiten bedeuten beispielsweise auch eine Rückkehr zur 40-Stunden-Woche. Eine Forderung die für eine ganze Reihe von Menschen in diesem Land gar keine Veränderung darstellt, da sie immer noch 40 Stunden die Woche und acht Stunden am Tag arbeiten. Geht es diesen Menschen schlechter, als jenen, die 37,5 oder gar nur noch 35 Stunden in der Woche arbeiten?
Würde man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens fragen, dürfte es Mehrheiten geben, die bereit sind, längere Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen, wenn dadurch der eigene Arbeitsplatz gesichert würde.
Die Frage nach dem Urlaub muss erlaubt sein
Die Deutschen haben einen durchschnittlichen Urlaubsanspruch von knapp über 29 Tagen. Der EU-Durchschnitt liegt knapp unter 26 Tagen, wenn man die neu hinzugekommenen Länder noch nicht einrechnet. In diesen Ländern liegt der Anspruch bei knapp 21 Tagen.
Europas Urlaubsweltmeister sind die Schweden und Dänen mit mehr als 30 Tagen. An dritter Stelle kommen dann schon die Deutschen. Bleibt die Frage, ob man hier nicht etwas tun könnte. In den meisten Betrieben hört man im ersten Quartal des neuen Jahres den berühmten Satz: "Ich muss noch meinen alten Urlaub nehmen." Muss ich wirklich?
Mehrarbeit darf keine Einbahnstraße sein
Wir werden um Mehrarbeit nicht herumkommen. Aber die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Mehrarbeit - in welcher Form auch immer - zu akzeptieren, darf keine Einbahnstraße sein. Auch hier müssen die Interessenvertretungen von Arbeitnehmern und -gebern nach Kompromissen suchen, die der Gesamtheit nutzen. So könnte man zum Beispiel festschreiben, dass zumindest ein Teil des durch die Mehrarbeit Erwirtschafteten in Arbeitsplatz sichernde beziehungsweise Arbeitsplatz erhaltende Investitionen gesteckt werden muss.
Genauso muss klar sein, dass bei wirtschaftlicher Aufwärtsentwicklung auch wieder in die umgekehrte Richtung nachgedacht werden darf und muss.
SPD-Wirtschaftsexperte Rainer Wend vertritt etwa die Meinung, dass man den Arbeitnehmern genug zugemutet habe und forderte: "Wir brauchen ein Paket zur Standortsicherung, in dem alle Seiten ihre Beiträge leisten - Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Staat."
Die Flexibilität ist entscheidend
Wer über Arbeitszeitmodelle nachdenkt, darf aber nicht nur die Länge der Arbeitszeit sehen. Entscheidend ist nicht, wie lange eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz anwesend ist. Viel wichtiger ist es, wie effektiv die Arbeit ist, die er in dieser Zeit leistet. Darum müssen wir auch die Frage der Flexibilität der Arbeitszeit neu diskutieren.
Es hat wenig Sinn, wenn ein Betrieb in Zeiten, in denen wenig Arbeit anliegt, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen muss, während diese Kräfte in saisonalen Hochzeiten mit Überstundenzuschlägen beschäftigt werden.
Auch in anderer Hinsicht spielt die Flexibilität eine entscheidende Rolle. So muss die Frage erlaubt sein, ob die traditionellen Flächentarifverträge noch zeitgemäß sind und es nicht vernünftiger ist, vermehrt auf Regional- beziehungsweise Haustarife zu setzen.