Das Herbstgutachten der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute stellt eine wenig ermutigende Prognose aus. Schon 2005 dürfte die Konjunkturerholung wieder nachlassen. Überraschend waren die Zahlen nicht aber die Interpretationen gehen denkbar weit auseinander.
Berlin/Wiesbaden - Durchgesickert waren die Kernaussagen schon Tage vorher: In Deutschland hat sich die Wirtschaftserholung in diesem Jahr gefestigt, 2005 verliert der Aufschwung allerdings wieder an Fahrt. Die Bundesrepublik wird voraussichtlich zum vierten Mal in Folge den EU-Stabilitätspakt brechen. Am Arbeitsmarkt verbessert sich die Lage kaum, der Exportzuwachs schwächelt, gleichzeitig ist der private Konsum nach wie vor zu gering.
Mit der offiziellen Vorlage des Herbstgutachtens der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute sind die befürchteten Konjunkturprognosen nun offiziell - und zur Interpretation freigegeben. Die Reaktionen fielen denkbar unterschiedlich aus.
Fünf der sechs Institute erwarten 2005 ein Wachstum von 1,5 Prozent, nach 1,8 Prozent in diesem Jahr. Für den Rückgang machen die Experten unter anderem den hohen Ölpreis, die zögerliche Binnennachfrage und die im nächsten Jahr geringere Zahl an Arbeitstagen verantwortlich.
Lediglich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin weicht von der Gemeinschaftsprognose ab. "Das DIW prognostiziert für das kommende Jahr einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,0 Prozent. Es teilt die Auffassung der Mehrheit der Institute nicht, dass sich die Konjunktur im Jahr 2005 wieder abflacht, sondern geht von einer leichten Beschleunigung im Verlauf aus."
"2005 konjunkturell kein schlechtes Jahr"
Die Prognose stimmt wenig optimistisch, auch wenn die Wirtschaftsweisen betonen, das kommende Jahr werde "konjunkturell kein schlechtes Jahr". Denn am Arbeitsmarkt sehen sie kaum Veränderungen. "Die konjunkturelle Erholung hat bisher nicht zu einer Besserung der Lage am Arbeitsmarkt geführt", so das Fazit der Wirtschaftsforscher. "Zwar nimmt die Zahl der Beschäftigten seit Jahresbeginn 2004 langsam zu. Dies ist aber vor allem eine Folge der neuen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik wie Minijobs und Ich-AGs."
Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sei hingegen weiter gesunken, konstatieren die Gutachter. "Alles in allem dürfte die Zahl der Erwerbstätigen bis Ende 2005 weiter steigen, insbesondere im Niedriglohn- und Teilzeitbereich."
Ein Hauptgrund für die schwache Konjunkturbelebung ist nach Ansicht der Wirtschaftsexperten die Konsumflaute. Trotz Steuerentlastungen und besserer Arbeitsmarktperspektiven unterstellen die Institute nur einen geringen Anstieg der privaten Konsumausgaben. Er dürfte 2005 nur um 0,8 Prozent zulegen nach einer Stagnation im laufenden Jahr.
Bestätigt wird diese Sichtweise auch durch die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts zum deutschen Einzelhandel: Im August mussten die Händler im Vergleich zum Vorjahresmonat einen realen Umsatzrückgang von 0,9 Prozent hinnehmen. Ohne den Lebensmittelhandel allerdings erzielte die Branche ein Umsatzplus von real 0,7 Prozent - die Konsumflaute trifft also vor allem Waren des täglichen Bedarfs.
Risiko Ölpreis
Risiko Ölpreis
Ein weiteres Problem für das Wirtschaftswachstum sehen die Wirtschaftsweisen im Ölpreis. "Gemeinsam sind die Institute der Meinung, dass die Entwicklung des Rohölpreises ein wesentliches Risiko für die Prognose birgt. Hier wird ein Rückgang der Notierung bis Ende 2005 auf etwa 37 Dollar pro Barrel unterstellt", heißt es in dem Gutachten.
Bereits im September haben die hohen Ölpreise und teurer Stahl die deutschen Erzeugerpreise unerwartet deutlich ansteigen lassen. Mit einer Jahresteuerungsrate von 2,3 Prozent wurde der höchste Wert seit mehr als drei Jahren erreicht, teilte das Statistische Bundesamt mit. Deutlicher hatten die an die Hersteller gewerblicher Produkte gezahlten Preise zuletzt nur im August 2001 (+2,7%) angezogen.
Auch die Weltwirtschaft sehen die sechs Wirtschaftsforschungsinstitute mit kritischen Augen: "Ein weiterer Risikofaktor ist das hohe Leistungsbilanzdefizit der USA", heißt es in ihrem Herbstgutachten. "Käme es deshalb zu einer deutlichen Abwertung des US-Dollar, so würde dadurch die Weltkonjunktur gedämpft und die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft würde sich verringern; beides würde die deutsche Ausfuhr belasten."
Für die deutsche Haushaltspolitik sind die Aussichten nach Ansicht der Gutachter aber auch ohne weitere Verschlechterung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wenig ermutigend. "Das staatliche Defizit beträgt in diesem Jahr voraussichtlich knapp 83 Milliarden Euro", so das Herbstgutachten. Das entspricht 3,8 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. "Zwar ist für das kommende Jahr mit einer Abnahme auf 78 Milliarden Euro (Defizitquote 3,5 Prozent) zu rechnen. Jedoch wird damit die im Stabilitäts- und Wachstumspakt genannte Obergrenze im vierten Jahr in Folge überschritten, wenn nicht mehr gespart wird."
Doch den dringenden Sparappell der Wirtschaftinstitute wies Bundesfinanzminister Hans Eichel umgehend zurück. Zusätzliche konkrete Sparmaßnahmen machten aktuell keinen Sinn, sagte ein Ministeriumssprecher. Eichel wolle nach wie vor "alles daran setzten, 2005 das Drei-Prozent-Defizitkriterium wieder einzuhalten". Eine klare Übersicht über die Einnahmesituation im kommenden Jahr gebe es allerdings erst nach Vorlage der Wachstumsprognose der Bundesregierung Ende Oktober und der Steuerschätzung Anfang November. "Im Lichte dieser Erkenntnisse" werde dann beschrieben, wie das Defizitziel 2005 erreicht werde.
Ins gleiche Horn blies auch DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer: "In einer Situation des Nachfragemangels auf Haushaltskonsolidierung und weitere Lohnzurückhaltung zu setzen - wie es die Mehrheit der Institute tut - verlängert die Krise der deutschen Wirtschaft."
Clement sieht "fortgesetzte Erholung"
Clement sieht "fortgesetzte Erholung"
Handwerkspräsident Dieter Philip und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dringen dagegen auf weitere Reformen. Hundt unterstützte zugleich Forderungen nach Lohnzurückhaltung, mehr betrieblichen Öffnungsklauseln und nach einem Sparpaket. Der Präsident des Industrie-Verbandes BDI, Michael Rogowski, nannte es "erstaunlich, dass nach dreijähriger Stagnation und angesichts eines günstigen weltwirtschaftlichen Umfeldes die Wachstumsperspektiven für Deutschland so begrenzt blieben". Dies zeige, wie verunsichert Investoren und Verbraucher seien.
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wollte das Herbstgutachten dennoch positiv gewertet wissen. Er bezeichnete die Ergebnisse der sechs Wirtschaftsinstitute als Beleg für "eine fortgesetzte konjunkturelle Erholung".
Das prognostizierte Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent im kommenden Jahr entspreche der Einschätzung der Bundesregierung, sagte Clement. "Auch die Bundesregierung geht für das kommende Jahr davon aus, dass sich die außenwirtschaftlichen Impulse zunehmend auf die Binnenkonjunktur übertragen und das Wachstum an Breite gewinnt."
Die Opposition sieht das erwartungsgemäß anders: "Das Herbstgutachten unterstreicht, dass vom Aufschwung keine Rede sein kann", resümierte CDU-Fraktionschef Laurenz Maier und Michael Glos, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag ergänzte: "Mit dem Gutachten der Forschungsinstitute wird der regierungsamtliche Konjunkturoptimismus widerlegt."