Zinserhöhung Greenspan hat's nicht eilig
Washington - Die US-Wirtschaft ist nach Worten Greenspans inzwischen in eine Phase kräftigeren Wachstums eingetreten, die höhere Leitzinsen erfordern könnte. "Wie ich kürzlich anmerkte, müssen die Fed-Zinsen ab einem gewissen Punkt steigen, um einem womöglich aufkommenden Inflationsdruck vorzubeugen", sagte Greenspan in Washington bei der Anhörung im Wirtschaftsausschuss von US-Repräsentantenhaus und Senat. Zugleich betonte er jedoch, bisher gebe es noch keinen Inflationsdruck.
Mit ihrem am Mittwochabend vorgelegten "Beige Book" wiederholte die US-Notenbank (Fed) im Wesentlichen die Einschätzung ihres Präsidenten vom Nachmittag. Die Fed beurteilt die Entwicklung der US-Wirtschaft in ihrem jüngsten Konjunkturbericht optimistisch und hat für die Zeit bis Anfang April eine breite Erholung festgestellt.
"Die wirtschaftliche Aktivität hat landesweit von Mitte Februar bis Anfang April zugenommen", heißt es in dem am Mittwoch vorgelegten "Beige Book", in dem die Fed die Wirtschaftsbedinungen ihrer zwölf Bezirke regelmäßig zusammenfasst. "Es gab ein breites Wachstum, wobei der Einzelhandel bemerkenswert zulegte und die Industrie sowie Bergbau, Energie, Tourismus und Dienstleistungen ebenfalls wuchsen." Das "Beige Book" dient dem für die Geldpolitik verantwortlichen Offenmarktausschuss der Fed (FOMC) als wichtige Grundlage für seine Zinsentscheidungen.
Nach Greenspans optimistischen Aussagen zur Konjunktur am Dienstag hatten die Akteure an den Finanzmärkten am Mittwoch klarere Hinweise auf eine bevorstehende Zinserhöhung erwartet. Aktien und Renten erholten sich deshalb am Mittwochnachmittag von ihren vorangegangenen Kursverlusten. Der Dollar verbilligte sich zum Euro wieder, nachdem die Gemeinschaftswährung am Morgen noch ein Jahrestief von 1,1815 Dollar erreicht hatte.
Aktienmärkte zunächst im Rückwärtsgang
Der Dax schloss am Mittwoch 0,9 Prozent leichter bei 4026 Zählern. An der Wall Street zeigten sich die Märkte auch nach Vorlage des "Beige Book" weithin erholt. Der Dow Jones notierte gegen 20.30 Uhr (MEZ) mit 0,1 Prozent im Plus bei 10326 Punkten. An der Technologiebörse kletterte der Nasdaq Composite um 0,7 Prozent auf 1991 Zähler.
"Die Aussage von Greenspan, dass er keine Anzeichen für einen breiten Inflationsdruck sieht, hat die Furcht vor einer heftigen und schnellen Zinserhöhungen gedämpft", sagte Carsten Klude, Aktienstatege bei MM Warburg.
Der US-Leitzins liegt seit Juni 2003 auf dem tiefsten Stand seit 46 Jahren von nur noch 1,00 Prozent. Die Fed hatte den Satz für die Bankenrefinanzierung seit Januar 2001 in 13 Schritten reduziert, um die US-Wirtschaft vor dem Absturz in eine schwere Rezession zu bewahren. Jüngste Konjunkturdaten bestätigten, dass sich der Mitte 2003 begonnene Aufschwung in den USA fortsetzt und verstärkt. Zuletzt war an den Märkten deshalb über den August als Termin für die erste Zinserhöhung spekuliert worden.
Bereitschaft zu einer strafferen Geldpolitik
Bereitschaft zu einer strafferen Geldpolitik
Greenspan verdeutlichte grundsätzliche Bereitschaft der Notenbank zu einer strafferen Geldpolitik, bewertete die Inflationsgefahr jedoch als gering. Bisher habe die anhaltende Phase niedriger Leitzinsen kein Umfeld für deutliche Preiserhöhungen geschaffen. "Aber die Federal Reserve erkennt, dass ein nachhaltiger Aufschwung das Bewahren der Preisstabilität erfordert, und wird handeln, wenn notwendig, um dieses sicherzustellen."
Die Phase sinkender Inflationsraten sei scheinbar vorüber, doch die hohe Produktivität, geringe Arbeitskosten und ungenutzte Kapazitäten in der US-Wirtschaft dämpften den Preisanstieg. Dies erlaube der Fed, maßvoll im Hinblick auf die Inflation vorzugehen. Die Notenbank habe die Zinsen nicht so niedrig gehalten, weil die Inflation verschwunden sei, sondern da wegen der Kostenstrukturen in der Wirtschaft ein rascher Preisanstieg weit und breit nicht in Sicht gewesen sei.
Der Notenbankchef äußerte sich erneut sehr zuversichtlich über die Konjunktur. "Die Aussichten für anhaltendes solides Wachstum in der nächsten Zeit sind gut", sagte er. Nach einer langen Schwächephase bessere sich scheinbar auch die Lage am Arbeitsmarkt. In den Unternehmen wachse die Zuversicht über das Anhalten der Wirtschaftserholung.
Das Rätselraten geht weiter
Nach Einschätzung von Analysten bewegt sich die Fed auf eine Zinserhöhung zu, hat damit aber keine Eile. Greenspan schlage keinen alarmierten Tonfall an, sagte Tim O'Neill, Chefvolkswirt von der BMO Financial Group in Toronto.
Das Ratespiel darüber, wann die Fed erstmals die Zinsen wieder anheben wird, werde weitergehen, sagte Steven Wood, Chefvolkswirt von Insight Economics. Greenspan habe nicht die Wendung der Notenbank wiederholt, sie könne mit einem Abgehen von ihrer expansiven Geldpolitik geduldig warten, stellte Alan Ruskin von 4Cast Ltd heraus. "Das ist entscheidend. Die Fed ist nicht mehr weit von einer geldpolitischen Straffung entfernt", sagte er. Damit sei zwar nicht schon im Juni, aber vielleicht im August zu rechnen.
Der scheidende Fed-Gouverneur von San Francisco, Robert Parry, dämpfte unterdessen die Sorge über die Folgen höherer Leitzinsen. "Wird die Wirtschaft weiter wachsen, wenn die Zinsen steigen? Meine Schlussfolgerung ist, ich glaube, sie wird."