Die Steuer-Kolumne Retten uns zwei Stunden?
Die Streitgespräche, ob nun zwei Stunden längere oder kürzere Arbeitszeit pro Woche Deutschland aus der Krise führen, sind müßig. Denn nicht die Arbeitszeit ist es, die uns Probleme bereitet, sondern die Arbeitskosten - und diese werden immer noch vorrangig durch die Lohnnebenkosten in die Höhe getrieben. Da würde selbst eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 42 Stunden pro Woche keine grundlegende Veränderung herbeiführen.
Auch der Meinung vieler Politiker, mit einer verlängerten Arbeitszeit dem Problem der Arbeitslosigkeit begegnen zu können, stehen Experten eher skeptisch gegenüber. So sieht Andreas Scheuerle von der Deka-Bank in der Online-Ausgabe des "Tagesspiegels" durchaus die Möglichkeit, dass eine verlängerte Arbeitszeit kurzfristig die Arbeitslosigkeit und damit die Konsumzurückhaltung sogar anheben würde. Positive Impulse würden erst mittel- bis langfristig zu erwarten sein.
Doch geht es überhaupt um Arbeitszeitverkürzung oder -verlängerung? Geht diese Diskussion nicht schon im Kern am Thema vorbei? Denn ein neues, starres Modell mit zwei Stunden rauf oder runter, wäre für die Wirtschaft keine Lösung. Unsere Unternehmen benötigen flexible Arbeitszeiten, die sich an den Arbeitsprozess anpassen und so eine langfristige optimale Maschinenauslastung gewährleisten.
Gewerkschaften haben den Kontakt verloren
Die Gewerkschaften sehen in der Flexibilisierung der Arbeitszeit einen Angriff auf den Flächentarifvertrag. Mit dieser Einstellung zeigen die Gewerkschaftsfunktionäre, dass sie irgendwann stehen geblieben sind und sich nicht mehr weiterentwickelt haben. Es kann nicht Sinn eines Tarifvertrages sein, die Arbeitsplätze einiger auf hohem Niveau zu halten - auf Kosten vieler, die von den Arbeitgebern nicht mehr finanziert werden können.
Natürlich sind die Gewerkschaften auch gegen eine generelle Erhöhung der Arbeitszeiten. Die Streikniederlage in den neuen Bundesländern dokumentiert aber auf das Deutlichste, dass sie sich leider immer weiter von den Interessen der Arbeitnehmer entfernen.
Flexibles Arbeitszeitmodell hilft
Aber auch die Arbeitgebervertreter scheinen die Probleme ihrer Klientel nicht mehr zu überblicken. Was wir benötigen, ist ein Höchstmaß an Flexibilität der Arbeitszeiten. Es kann nicht angehen, dass ein Betrieb in lauen Phasen Kurzarbeit beantragen und in der Hochsaison Aufträge ablehnen muss, nur weil Tarifverträge und Gesetze keine entsprechenden Arbeitszeiten zulassen.
Ein flexibles Arbeitszeitmodell hat auch für den Arbeitnehmer Vorteile. Längere zusammenhängende Freizeiten oder die Möglichkeit, Behördengänge, Arztbesuche, Einkäufe außerhalb der Rushhour durchzuführen, dürften auch im Sinne des Arbeitnehmers sein.
Es muss deshalb möglich sein, die Arbeitszeit auf 35 und weniger Stunden abzusenken und im Notfall diese Zeit auch wieder auf 45 und mehr Stunden anzuheben. Hierüber sollten die Beteiligten - Arbeitgeber und Arbeitnehmer - gemeinsame Modelle entwickeln.
Verdient "Made in Germany" noch den Premiumaufschlag?
Wo bleibt die Qualität?
Doch es gilt, noch einen anderen Aspekt einer genaueren Kontrolle zu unterziehen: Bei der Diskussion über Arbeit in Deutschland ist immer nur von der Quantität, nicht aber von der Qualität die Rede. Dabei war Deutschland auch in der Vergangenheit kein "Billiganbieter" auf dem Weltmarkt. Doch der Hinweis "made in Germany" war für den Käufer ein Qualitätskennzeichen, auf dass er sich verließ und auch verlassen konnte.
Heute ist dies nicht mehr der Fall. Andere haben aufgeholt, und der Qualitätsstandard deutscher Produkte kann nur noch als durchschnittlich angesehen werden. Diese "Durchschnittsqualität" reicht aber nicht aus, um im internationalen Wettbewerb als "Hochpreiser" bestehen zu können. Darum sollten die Lohn- und Gehaltsfestlegung verstärkt Komponenten beinhalten, die Qualitätsarbeit belohnen. Allerdings wird es kaum möglich sein, einen Qualitätsvorsprung aufzubauen, mit dem wir den Wettbewerbsnachteil der hohen Lohnnebenkosten ausgleichen.
Kommen wir an Arbeitszeitverlängerungen vorbei?
Der Standpunkt der SPD und der Gewerkschaften, dass man die Errungenschaften der Vergangenheit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfe, hat seine historische Existenzberechtigung. Doch geht es heute um mehr, als "nur" um höhere Löhne - es geht um den Erhalt der Existenz von vielen. Tatsache ist, dass wir - durch unsere Lohnnebenkosten - zu den Spitzenreitern bei den Lohnkosten gehören. Dass hier entschlackt werden muss, darüber sind wir uns einig.
In diesem Bereich hat der Arbeitnehmer bereits einige Vorleistungen im Rahmen der Gesundheitsreform getätigt und weiteres - wie etwa die Selbstfinanzierung des Krankengeldes - kommt auf ihn zu. Kann man ihm da noch unbezahlte Mehrarbeit zumuten?
Der Lohnverzicht und die EU
Die Antwort ist hart: Ja, man kann, es sei denn, er ist zum Lohnverzicht bereit. Denn die Bundesrepublik ist fest in die Europäische Union (EU) eingebunden. Ein Blick auf das Lohnkostenniveau innerhalb der Gemeinschaft macht aber schnell deutlich, dass unser Kostenniveau nicht zu halten ist.
Nach einer Studie des Statistischen Amtes der EU betrugen im Jahr 2000 die durchschnittlichen Lohnkosten pro Stunde in der EU 22,70 Euro. Die Bundesrepublik Deutschland liegt mit 26,54 Euro um knapp 17 Prozent über diesem Durchschnittswert. Nur Schweden und Dänemark liegen noch höher. Dem stehen als Billiglohnländer Spanien (14,22 Euro), Griechenland (10,40 Euro) und Portugal (8,13 Euro) entgegen. Schon in diesem Umfeld wird es schwer, die hohen Lohnkosten zu halten.
Bedenkt man aber, dass mit der EU-Öffnung nach Osten Billiglohnländer wie Polen (4,48 Euro), Tschechien (3,90 Euro) oder Ungarn (3,83 Euro) hinzukommen, wird unser Lohnniveau kaum zu halten sein. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: Lohnverzicht bei gleich bleibender Arbeitszeit oder verlängerte Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich.
Über die Verhältnisse
In den vergangenen Monaten wurde von allen Seiten betont, dass wir in der Vergangenheit über unsere Verhältnisse gelebt haben. Verfolgt man die Diskussion über Arbeitszeitverkürzung oder -verlängerung, erscheint dieses Eingeständnis ein Lippenbekenntnis.
Wer Schulden hat, muss diese irgendwann einmal bezahlen. Wer über seine Verhältnisse gelebt hat, der wird wohl auch um längere Arbeitszeiten nicht herumkommen.