Gesundheitsreform Nägel mit Köpfen
Was nicht nur Fachleute befürchteten, wird jetzt von der Politik bestätigt: Die Gesundheitsreform ist keine. Die Einschnitte verschaffen nur eine Atempause. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt räumt denn auch ein, dass 2010 eine neue Gesundheitsreform greifen müsse. Spätestens dann wird man Nägel mit Köpfen machen müssen und für uns alle heißt es: "Umdenken".
Die jetzigen Vorschläge sollen nach Meinung von Frau Schmidt bis 2007 halten. Für eine Neuordnung hofft sie auf die Zustimmung der breiten Bevölkerung, denn - so Ulla Schmidt - die sei "in puncto Reformbereitschaft weiter als Lobbyisten und Verbandssprecher".
Dies dürfte sogar stimmen. Doch es bleibt die Frage, ob die Reformbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger nicht schwindet, wenn sie feststellen müssen, dass sie die Reformen bezahlen müssen, während Lobbyisten und Verbände mehr oder weniger ungeschoren davonkommen.
In der Diskussion wird derzeit die so genannte Bürgerversicherung hoch gehandelt. Doch ist das ein Reformansatz?
Wie soll man die neue GKV finanzieren?
Wer die Zahl der Beitragszahler erhöht, erhöht auch die Zahl der Leistungsberechtigten. Ob sich das unterm Strich rechnet, darf bezweifelt werden. Eine Antwort auf die demografische Frage gibt die Bürgerversicherung - so wie sie jetzt gehandelt wird - nicht.
Ein anderes Modell stellt die Kopfpauschale in den Mittelpunkt. Hierbei zahlt jede Bürgerin und jeder Bürger den gleichen Betrag in eine gesetzliche Versicherung ein. Dies würde eine Entlastung bei den besser Verdienenden bringen, während Geringverdiener stärker belastet würden.
Gerne schaut man im Rahmen dieser Diskussion auch nach Schweden. Hier wird eine Proportionalsteuer von rund zehn Prozent des Einkommens erhoben. Das Gesundheitssystem wird größtenteils aus Steuermitteln finanziert.
Man unterscheidet in Schweden eine primäre und die Regional- beziehungsweise Provinzialkrankenpflege. Für Arztbesuche und Medikamente wird eine geringe Selbstbeteiligung gefordert, die aber nur bis zum Erreichen einer bestimmten Jahresgrenze gezahlt werden muss.
Bei welchen Punkten man ansetzen kann
Über die verschiedenen Modelle nachzudenken, kann nicht falsch sein. Doch sie werden das Problem nicht lösen können, so lange man nur oder zumindest überwiegend über die Einnahmenseite nachdenkt. Doch es ist höchste Zeit, auch die Ausgabenseite unter die Lupe zu nehmen.
In der Vergangenheit haben wir uns im Gesundheitswesen viele Dinge geleistet, von denen wir Abschied nehmen müssen. Aber es gibt mehrere Punkte, bei denen man ansetzen kann und muss:
Verwaltungskosten senken
Verwaltungskosten der Gesetzlichen Krankenversicherung
Die Verwaltungskosten der GKV liegen zwischen fünf und sechs Prozent. Im Vergleich dazu liegen diese Kosten in unseren Nachbarländern zwischen zwei bis drei Prozent, also unter der Hälfte. 2001 waren die Verwaltungskosten auf 7,6 Milliarden Euro angestiegen, seit 1989 sind die Kosten in den alten Bundesländern um über 50 Prozent angestiegen.
Dabei geht es hier nicht um die immer wieder angesprochenen "Glaspaläste" - es geht um den gesamten Kostenapparat, und ob die Möglichkeiten der modernen Verwaltung voll ausgeschöpft werden, um die Kosten zu senken.
Abrechnungsmodus ändern
Abrechnungsmodus der Ärzte
Bisher rechnen die Ärzte über ihre kassenärztlichen Vereinigungen ab. Eine direkte Abrechnung findet nicht statt, so dass die Kontrolle erschwert wird.
Doch auch bei den Ärzten gibt es "schwarze Schafe", vor der die Allgemeinheit geschützt werden muss. So berichtete Anfang des Jahres das TV-Magazin "Panorama" über Mediziner, die für bereits verstorbene Patienten weiter Leistungen abrechneten.
Fachleute sind sich sicher, dass solche oder ähnliche Fälle häufiger vorkommen. Sicherlich darf hier kein Pauschalurteil über Ärzte gefällt werden. Doch die Forderung nach transparenteren Abrechnungsmodellen muss aufrechterhalten werden.
Mehr Wettbewerb bei den Apotheken
Mehr Wettbewerb bei den Apotheken
Die Apotheken stehen nicht im Wettbewerb zueinander, was sich in den Preisen niederschlägt. Dies ist aber auch nicht immer zu Gunsten der Apotheken zu sehen. Warum soll ein Apotheker nicht eine Kette von Apotheken führen dürfen und über günstigere Einkaufspreise auch günstigere Kundenpreise anbieten können?
Spätestens jetzt, wenn nach den neuen Vorschlägen der Anteil der selbst zu zahlenden Medikamente weiter zunimmt, muss dieses Thema angegangen werden. Dazu gehört auch die Diskussion, in wie weit Internetapotheken die klassische Apotheke ergänzen, beziehungsweise in Einzelbereichen sogar ablösen können.
Leistungskataloge überdenken
Leistungskataloge überdenken
In den Eckpunkten der geplanten Reform wurden ja bereits das Krankengeld und der Zahnersatz aus dem Leistungskatalog herausgenommen. Doch es stellt sich die Frage, ob nicht in anderen Bereichen ein noch viel höherer Handlungsbedarf besteht.
Wenn beispielsweise Kuren zu "Urlaub auf Krankenschein" werden, kann dies doch nicht im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung sein. Der Vergleich ist im Übrigen nicht sehr weit hergeholt, schließlich haben die Krankenkassen die so genannte "Ambulante Badekur" in früheren Zeiten als "Kurlaub" ihren Mitgliedern schmackhaft gemacht.
Krankenhaustage reduzieren
Krankenhausaufenthalte verkürzen
Im internationalen Vergleich ist die Verweildauer in deutschen Krankenhäusern zu lang. Im Jahr 2000 lagen die Deutschen mit 9,6 Tagen im Vergleich zu 30 OECD-Ländern am längsten im Krankenhaus.
Die kürzeste Verweildauer gab es übrigens in den nordischen Ländern: Norwegen und Schweden hatten durchschnittlich fünf Krankenhaustage und Finnland gar nur 4,4 Tage vorzuweisen. Auch hier müssen Wege gefunden werden, um Deutschland im Vergleich zumindest ins Mittelfeld zu bringen.
Kopfbeiträge und Privatversicherung
Kopfbeiträge und Privatversicherung
Die Privatkassen wehren sich, wenn es um eine allgemeine, alle Schichten der Gesellschaft umfassende GKV geht. Sie sehen sich ihrer Existenzgrundlage entzogen. Doch in einem neuen Krankenkassensystem wird auch die Privatversicherung ihren Platz behalten.
Denkbar wäre beispielsweise ein Modell, bei dem alle einen Festbetrag zahlen. Geringverdiener könnten dabei berücksichtigt und entlastet werden. Mithilfe dieser Festbeträge wird eine Krankenversorgung finanziert, die sicherstellt, dass jeder Kranke die Hilfe bekommt, die notwendig ist.
Leistungen, die darüber hinausgehen, können privat zusatzversichert werden. Hier könnte eine Variante eingebaut werden, nach der zusätzliche Privatversicherungen für die Gesundheitsvorsorge steuerfrei gestellt werden.
Was es nicht mehr geben wird
Was es nicht mehr geben wird
Wovon wir uns auf jeden Fall verabschieden müssen: Die Rundumversorgung, die für alles und jedes aufkommt.
Ziel muss ein finanzierbares Gesundheitswesen sein, das alle Kosten abdeckt, die notwendig sind, um den Menschen gesund zu erhalten. Aber es wird keine Gesundheitskasse als "Vollkasko" geben. Wer dies wünscht, der muss die Mehrleistungen, die das Maß des Notwendigen überschreiten, aus eigener Tasche finanzieren.
Standort Deutschland: Das Krisen-ABC