Wall Street Das Wunder von Michigan
Hamburg - Eine Telefonbefragung von 500 US-Bürgern bewegt Monat für Monat Milliarden an den Börsen. Sollte Jim Brown aus Talahassee den Autokauf zurückstellen oder Debbie Miller aus Baraboo künftig auf die Familienpackung Cornflakes verzichten, kann das auch für den Börsenwert des Münchener Versicherers Allianz weit reichende Folgen haben.
Stimmungsindikatoren als Weltereignis
In der nervösen Börsenwelt gewinnen Stimmungsindikatoren immer größere Bedeutung. Für ihren jeweils zur Monatsmitte ermittelten Konsumklima-Index befragt die Universität von Michigan 500 US-Konsumenten und eine weit größere Zahl von Analysten und Investmentbankern wartet begierig auf die Ergebnisse.
Heute ist wieder Showtime: Nachdem der Index im vergangenen Monat auf das Zehnjahrestief von 77,6 Punkten gefallen war, erwarten Analysten heute mindestens eine Erholung auf 78,1 Punkte. Ersten Angaben um 15.45 Uhr zu Folge soll der Index sogar auf 83,2 Punkte gestiegen sein.
Ein paar Punkte aufwärts, nun ja. Doch die Börse liebt Psychologie, und allein der schöne Begriff Zehnjahrestief ruft nach einer Trendwende. Tiefer soll es nicht mehr gehen, zumal die US-Boys inzwischen nach Bagdad vorgerückt sind. Verbraucher schöpfen Mut, die Nachfrage steigt und schon bald steht die US-Konjunktur wieder unter Dampf. So einfach ist das und deshalb sind ein paar Punkte mehr aus Michigan so wichtig.
Einzelhandel: Umsätze kräftig gestiegen
Im Schatten des Michigan-Orakels stehen heute die US-Einzelhandelsumsätze, die im März um 2,1 Prozent gestiegen sind. Dies ist deutlich mehr als der von Analysten erwartete Anstieg von 0,6 Prozent. Vor allem die Autohersteller haben im März mit Preisnachlässen geworben und dürften die Gesamtumsätze nach oben getrieben haben.
Eine etwas verbesserte Verbraucherstimmung und anziehende Umsätze im Einzelhandel - dieses Szenario lässt die Augen vieler spekulativer Investoren glänzen, weil sie auf eine ähnlich deutliche Erholung der Börsen hoffen wie in den Monaten nach den Anschlägen vom 11. September.
Kursniveau ist bereits hoch
Dies würde jedoch bedeuten, dass die US-Börsen von einem aktuell bereits hohen Niveau auf ein extrem hohes Niveau steigen müssen. Mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 27 für das laufende Jahr sind amerikanische Aktien bereits jetzt bewertet wie zu Boom-Zeiten und fast dreimal so teuer wie deutsche Aktien. Das deutlich dynamischere Wachstum der USA rechtfertigt auch einen Bewertungsvorsprung. Doch angesichts des Doppeldefizits der USA (300 Milliarden Dollar Defizit im Staatshaushalt, 500 Milliarden Dollar Defizit in der Leistungsbilanz) fragen sich manche, ob eine Boom-Bewertung wirklich gerechtfertigt ist.
General Electric: Wie teuer darf es sein?
Auch GE hat Probleme
Der Mischkonzern General Electric, der heute einen Umsatz- und Gewinnrückgang gemeldet hat, bringt es gemeinsam mit Microsoft auf annähernd die gleiche Börsenbewertung wie alle 850 deutschen börsennotierten Unternehmen zusammen. Dass teure Aktienoptionspläne und Löcher in den Pensionskassen die Bilanzen vieler US-Unternehmen schon bald deutlich belasten dürften, scheint kaum jemanden zu stören.
GE hat im ersten Quartal des laufenden Jahres neun Prozent weniger verdient als vor einem Jahr. Grund dafür sei vor allem der Einbruch im Gas-Turbinengeschäft, einer Sparte, die zuvor zu den hohen Gewinnen des Dow-Jones-Schwergewichtes beigetragen hatte. Mit dem Rückgang des Gewinns auf 3,2 Milliarden Dollar von 3,5 Milliarden Dollar vor Jahresfrist lag der Konzern aber im Rahmen der Erwartungen. Der Gewinn je Aktie rutschte auf 32 Cents von 35 Cents.
An der Wall Street hängt alles
Die US-Börsen bewegen sich auf dünnem Eis - doch Europäer haben keinen Grund, sich darüber zu freuen. "Amerika ist der wichtigste Treiber der Weltwirtschaft", betont Philipp Vorndran, Leiter globale Strategie bei Credit Suisse Asset Management. Die meisten europäischen Volkswirtschaften hinkten hinterher und könnten nur darauf hoffen, dass die USA die weltweite Konjunktur wieder in Schwung bringt - gelingt dies nicht, stürzen auch sie mit. "Wir sollten das Defizit der USA lieben und auch künftig weiter finanzieren denn ohne dieses Defizit wird der europäische Export nicht funktionieren", sagt Vorndran.
Für den Strategen von CSFB ist es nicht verwunderlich, dass deutsche Aktien derzeit etwa auf dem gleichen Niveau bewertet sind wie die Emerging Markets in Asien. Erst wenn sich Deutschland zu wirklichen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Sozialsystemen durchringe, könnte Europas größte Volkswirtschaft aus eigener Kraft Impulse setzen. Bis dahin, so ist zu befürchten, blickt auch der deutsche Aktionär gebannt gen Michigan.