EZB Wim springt über seinen Schatten
Frankfurt am Main - Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen in der Euro-Zone am Donnerstag um 50 Basispunkte gesenkt und damit die Erwartungen an den Finanzmärkten erfüllt. Der für die Refinanzierung der Geschäftsbanken maßgebliche Mindestbietungssatz beim Zinstender sei von 3,25 Prozent auf 2,75 Prozent reduziert worden, teilte die EZB am Donnerstag nach ihrer turnusmäßigen Ratssitzung in Frankfurt mit.
"Unsicherheit gestiegen"
Duisenberg begründete die Leitzinssenkung um 0,50 Prozentpunkte auf 2,75 Prozent mit der seit der jüngsten Sitzung gestiegen Unsicherheiten. Das gesunkene Wirtschaftswachstum dämpfe auch die Preisentwicklung. Die Inflationsrate dürfte in den nächsten Monaten zwar noch über der Marke von 2 Prozent liegen, sagte der EZB-Präsident. Im weiteren Verlauf des Jahres hätten sich aber die Aussichten verbessert, dass die Inflationsrate unter die Marke von 2 Prozent falle. Das Wirtschaftswachstum dürfte im späteren Verlauf des Jahres 2003 wieder ihr Potenzialwachstum von 2 bis 2,5 Prozent erreichen.
Duisenberg kündigte zudem an, dass die geldpolitische Strategie der EZB im nächsten Jahr überprüft werden soll. Insbesondere die Orientierung der Geldpolitik am Wachstum der Geldmenge wurde von einige Volkswirten in der Vergangenheit kritisiert.
Der Leitzins lag nach einer Zinssenkungsrunde im vergangenen Jahr seit November 2001 auf diesem Niveau. Nach vielen deutlichen Signalen von EZB-Vertretern waren Finanzmärkte und Volkswirte zuletzt fest von einer Zinssenkung ausgegangen. Analysten hatten mehrheitlich auch einen Schritt von 50 Basispunkten prognostiziert.
Ein großer Zinsschritt kann der angeschlagenen Konjunktur nach Einschätzung von Volkswirten neue Impulse geben - vor allem ist es ein Vertrauenssignal für die pessimistischen Unternehmen, Verbraucher und Anleger. Dass die Verringerung des ohnehin niedrigen Zinsniveaus der Realwirtschaft direkt Auftrieb verleiht, bezweifeln allerdings viele Experten.
Wichtiger psychologischer Effekt
Der ursprünglich erwartete Konjunkturaufschwung fiel 2002 aus und wird wohl auch 2003 nur allmählich in Gang kommen. So hatte die EU-Kommission zuletzt nicht ausgeschlossen, dass die Wirtschaft der Euro-Zone im ersten Quartal 2003 erstmals seit dem Schlussquartal 2001 wieder leicht schrumpfen könnte.
Wie stark die Zinssenkung der Konjunktur auf die Beine helfen kann, ist unter Volkswirten aber umstritten. Viele argumentieren, die geldpolitische Lockerung helle mehr die trübe Stimmung in der Wirtschaft auf, als die Realwirtschaft selbst zu beflügeln. Ralph Solveen von der Commerzbank sagt dagegen mehr als nur psychologische Effekte voraus: "Den Banken hilft die billigere Refinanzierung, das kann zu besseren Kreditkonditionen führen und die Investitionen anregen."
Dies sei aber wegen der verzögerten Wirkung von niedrigen Leitzinsen erst Ende nächsten Jahres sichtbar. An den grundlegenden Strukturproblemen, die das Wachstum vor allem in Deutschland hemmen, könne die Notenbank aber nichts ändern.
Deutschland auf niedrige Zinsen angewiesen
Deutschland auf niedrige Zinsen angewiesen
In den vergangenen Wochen hatte es vor allem in Deutschland Forderungen an die EZB gegeben, die Leitzinsen zu senken. Die größte Volkswirtschaft der Euro-Zone leidet unter dem geringsten Wachstum, weist zugleich aber die niedrigste Inflation im Währungsgebiet auf. Das Bundesfinanzministerium begrüßte die Zinssenkung, die einen zusätzlichen Impuls zur Konjunkturbelebung darstelle. Volkswirte gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft Leitzinsen unter zwei Prozent bräuchte.
Ebenso wie den als Schlüsselzins geltenden Mindestbietungssatz beim Zinstender reduzierte die EZB den Zinskorridor für den Geldmarkt um einen halben Prozentpunkt. Die Sätze dafür betragen nun 1,75 (2,25) Prozent für Übernachteinlagen der Banken und 3,75 (4,25) Prozent für Übernachtkredite bei der Zentralbank.
Schon auf seinem Treffen am 7. November hatte der EZB-Rat das Für und Wider einer Zinssenkung intensiv diskutiert, sich aber noch nicht dazu durchringen können. Seither hatten mehrere EZB-Vertreter - darunter zuletzt auch Duisenberg - vorausgesagt, im kommenden Jahr werde Preisstabilität mit Inflationsraten unter zwei Prozent erreicht und damit die Bereitschaft zu niedrigeren Leitzinsen signalisiert.
Märkte reagieren verhalten
Der Dax, der zuvor 1,1 Prozent im Plus gelegen hatte, kletterte unmittelbar nach der Entscheidung um 1,9 Prozent ins Plus, reduzierte seine Gewinne anschließend aber wieder auf 1,1 Prozent. Der große Zinsschritt war eingepreist: Mittelfristig werden wohl keine weiteren folgen, hieß es. Mit dem schwachen Start der US-Börsen rutschte der Index sogar in die Verlustzone.
Nun müsse die Inflationsrate weiter sinken, damit sich "dieser große Zinssschritt" rechtfertige, sagte ein Marktbeobachter. Dazu seien auch flexiblere Arbeitsmärkte erforderlich. Die durchschnittliche Inflationsrate in den 12 Mitgliedsländern der Währungsunion ist im November zwar auf 2,2 (Vormonat: 2,3) Prozent zurückgegangen. Damit liegt der Wert aber immer noch über 2,0 Prozent - der EZB-Obergrenze für Preisstabilität.
Deutliche Zinssenkung nicht für alle sinnvoll
Die Experten der UBS Warburg und UFJ Bank sind in einer Studie zu dem Schluss gekommen, dass auf Grund der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Spanien und Griechenland eher eine Leitzinserhöhung sinnvoll wäre. Spaniens Wirtschaftsminister Rodrigo Rato hatte daher noch am Mittwoch gewarnt, eine Zinssenkung könnte schädlich für den Inflationsausblick seines Landes sein.Und auch für Italien, Frankreich und Irland könnte sich die starke Zinssenkung negativ auswirken.
Seit Beginn des Jahres 2001 hat die EZB in jetzt fünf Zinsschritten die Zinsen damit auf aktuell 2,75 Prozent gesenkt. Die US-Notenbank Fed hat im gleichen Zeitraum die Zinsen zwölfmal gesenkt: Dort beträgt der Leitzins nur noch 1,25 Prozent.
EZB: Übersicht über die Leitzinsänderungen Die Zinsschritte der Fed im Überblick