Telekom-Ticker "Ich bin ich"
14 Uhr:
Kurz nach Bekanntgabe der Quartalszahlen der Deutschen Telekom geben sich die alten und neuen Konzernlenker gelöst, als sei die Rückkehr zu alter Herrlichkeit nur noch Formsache. Den Fotografen präsentiert sich ein strahlender Kai Uwe Ricke, begleitet vom Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dietrich Winkhaus, dem man die Angriffe der vergangenen Tage deutlich ansieht.
Dutzende Fotografen und Journalisten sowie zahlreiche TV-Kameras verfolgen den Einzug der Telekom-Spitze in den großen Saal der Bonner Konzernzentrale. Mit etwas verkniffem Gesicht marschiert Aufsichtsratschef Winkhaus voran, dahinter der neue Vorstandschef Kai-Uwe Ricke, locker plaudernd.
Auch der scheidende Chef Helmut Sihler wirkt gelassen, beinahe erleichtert. Finanzvorstand Eick dagegen ist sichtbar angespannt. Wen wundert's: Hat er doch einen Rekordverlust mitzuteilen, und auch innerhalb des Konzerns hat es schon manches Kräftemessen zwischen Eick und Ricke gegeben. Langsam bahnt sich die Truppe den Weg durch das Blitzlichtgewitter zum Konferenztisch.
14.05 Uhr: Winkhaus präsentiert den neuen Chef. Er will das Nachfolge-Drama der vergangenen Wochen, das auch ihm scharfe Kritik eingebracht hat, endgültig ad acta legen. Nach einem "kurzem Suchprozess von circa acht Wochen", erklärt der Aufsichtsratsvorsitzende ungerührt, habe man einen Kandidaten gefunden, "der das umfangreiche Anforderungsprofil der Deutschen Telekom erfüllt".
Aus diesem umfangreichen Profil verrät Winkhaus zunächst nur die offenbar entscheidenden Eigenschaften: Ricke sei "international ein bekannter Hund", er kenne "den Laden in- und auswendig" und sei, die Zuhörer vernehmen es mit Erstaunen, sehr "kommunikativ". Ricke gibt sich während der Laudatio betont locker, er zwinkert Gästen im Saal zu.
14.10 Uhr: Ein kurzer, aber herzlicher Dank des Aufsichtsratschefs an den scheidenden Telekomchef Helmut Sihler. Sihler habe "nicht als Interimschef gehandelt, sondern so, als ob er das Alter von Herrn Ricke hätte", meint Winkhaus. Der Alte antwortet mit einem kurzen Nicken, wirkt sehr souverän.
14.15 Uhr: Sihler lässt sich auch von einem bereits abgedrehten Mikrofon nicht irritieren. Er konzentriert sich darauf, den Neuen am ersten offiziellen Arbeitstag zu stärken und ihm viel Rückenwind zu geben: "Der Vorstand hätte keine bessere Wahl treffen können - wir alle wissen, dass noch viel zu tun ist." Ricke sei kein Kompromisskandidat, sondern ein Mann, der das Unternehmen "kraftvoll und konsequent" führen werde.
"Nur einer hat abgesagt"
"Nur einer hat abgesagt"
Sihler verzichtet darauf, das Kandidaten-Karussel der vergangenen Wochen ausführlich zu kommentieren. Alles Quatsch, so die Botschaft. Die Deutsche Telekom habe nur eine einzige Absage von einem potenziellen Kandidaten bekommen, sagt Sihler: Und dieser sei nicht einmal unter der Vielzahl der von den Medien genannten Kandidaten gewesen. Schadenfreude will Sihler aber gar nicht erst aufkommen lassen. Sachlichkeit und Selbstbewußtsein ist jetzt die Devise - das Hin und Her der vergangenen Tage soll schnell vergessen sein.
14.20 Uhr: Sihler spricht mit ruhiger Stimme. "Aus den Zahlen ergibt sich, dass ein Verkauf von Voicestream nicht nötig ist", beharrt der scheidende Chef, dem es während seiner kurzen Amtszeit sehr um das Sparen gegangen war. Ein Verkauf von Voicestream wäre "der falsche Weg, da die Gesellschaft in den USA erfolgreich agiert". Dies schließe den Weg einer Fusion mit einem anderen Unternehmen auf dem US-Markt nicht aus. Verbunden mit einer Teilentschuldung bleibe die Fusion von Voicestream eine mögliche Option für die Zukunft.
14.25 Uhr: Auch mit dem neuen Chef soll es bei der von Sihler eingeführten drei Prioritäten bleiben: Sparen, sparen, sparen. "Wir müssen unsere Kosten reduzieren. Dafür steht das Programm E3. Wir haben Kosten von 1,5 Milliarden Euro identifiziert, die bis Ende 2003 eingespart werden", erklärt Sihler weiter. Es klingt wie ein Vermächtnis. Ziel sei, die Verschuldung bis 2003 auf "den dreifachen Ebitda" zurückzuführen. "Dreifaches Ebitda" klingt ja auch nicht ganz so schlimm wie die gewaltige Summe von 50 Milliarden Euro.
14.30 Uhr: Karl-Gerhard Eick hat die unangenehme Aufgabe, die Bilanz für die ersten neun Monate zu erläutern. Er tut das mit der gewohnt ungerührten, unangreifbaren Art, unterstützt von der üblichen Flut von Overhead-Folien. Auch Ron Sommer hatte diese Praxis beherrscht.
Ein wenig versucht Eick das düstere Zahlenbild aufzuhellen: Der Cash-Flow und nicht der buchhalterische Verlust sei der beste Indikator der finanziellen Gesundheit eines Unternehmens. Doch so recht will darüber weder im Saal noch bei ihm selbst Freude aufkommen. Vielleicht liegt es auch daran, dass nicht er, sondern Kai-Uwe Ricke neuer Vorstandschef geworden ist. Ambitionen auf dem Chefsessel wurden Eick jedenfalls nachgesagt.
Ricke: "Wir müssen jetzt machen"
Ricke: "Wir müssen jetzt machen"
14.40 Uhr: Ricke ist am Zug. Er spricht in kurzen, knappen Sätzen. Keine Zeit für Plaudereien. Ein paar "persönliche Bemerkungen" will er hintanstellen - aber zunächst einmal der Blick aufs Geschäft.
"Die Lage der Deutschen Telekom ist ernst", beginnt Ricke. Ein Warnsatz, nicht überraschend, aber wahr. Und er fügt an: "Die Verschuldung zwingt uns zu raschem Handeln". Das ist die Basis.
Doch es gibt laut Ricke auch Chancen. Die operative Entwicklung des Unternehmens sei "extrem stark" gewesen. Weiteres Wachstum und "konsequente Entschuldung" zusammenzubringen, sei ein schmaler Grat. "Deshalb werden wir uns verändern müssen", sagt Ricke. Nur eine konsequent gemanagte Deutsche Telekom könne auch eine Cash-Maschine sein. Von dieser "Cash-Machine" träumen auch die Aktionäre.
Trotz aller Schwierigkeiten: Der neue Mann legt Wert auf einen energischen ersten Auftritt. Keine Entschuldigungen mehr, keine Klagen über die Schwäche der Branche und über den schwachen Kapitalmarkt. Ricke will nicht erklären, sondern verändern. "Die Stunde des Handelns ist gekommen. Wir müssen jetzt machen", beschließt Ricke seinen "strategic review".
14.55 Uhr: Dann findet Ricke dankbare, persönliche Worte. "Ich danke dem Aufsichtsrat, dass er mir den Vorsitz anvertraut hat. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich nehme die Herausforderung mit ganzem Herzen an", sagt Ricke mit fester Stimme.
Es gelte vieles zu verändern, das müsse schonungslos geschehen. Ricke will weder die Vergangenheit rechtfertigen, wie er sagt, noch zurückschauen. Sein Blick sei nach vorn gerichtet. Ihm gehe es um die Stärke des Konzerns. Und deshalb gelte es auch, "alte Zöpfe abzuschneiden". Das könne zu schmerzhaften Einschnitten führen.
Ist dies ein Wink an die Belegschaft, die nach jüngsten Plänen drastisch reduziert werden soll? Ricke nennt keine Zahlen. Doch alle Mitarbeiter müssten bereit sein, sich für den Konzern zu engagieren und aus der Sicht des Marktes zu denken.
"Bin kein Erfüllungsgehilfe"
15.05 Uhr: Ricke sagt, dass er mit hohen Erwartungen, aber auch mit "Vorurteilen zu rechnen" hat. Doch eines will er klar stellen: "Ich bin nicht der Erfüllungsgehilfe von irgendjemand."
Der Seitenhieb gilt den Journalisten, die sich auch am Donnerstag kritisch über den neuen Telekomchef geäußert haben. Wird doch bezweifelt, dass Ricke - Ziehkind von Ron Sommer und damit auch verantwortlich für den überteuerten Einkauf von Voicestream - den Konzern strategisch grundlegend neu ausrichten wird.
Anderseits, sagen kritische Stimmen, könne er gar nicht anders, als nun den von Sihler vorgegebenen Sanierungskurs, streng fortzusetzen. "Ich bin ich", schiebt Ricke nach, als ob es die Zuhörer im Saal noch immer nicht begriffen hätten.
An Selbstsicherheit fehlt es ihm indes nicht: "Einem Politiker geben sie 100 Tage Zeit um sich zu profilieren", wendet er sich an das Auditorium. "Die werde ich nicht brauchen, denn ich bin Insider. Aber bitte treffen sie keinen vorschnellen Urteile."
Was wird nun anders?
15.15 Uhr: Die Fragerunde beginnt. Journalisten löchern die Führungsriege auf dem Podium immer wieder mit Fragen zum Vorstand und der künftigen Organisation. Doch die Antworten bleiben unverbindlich. Niemand will die Katze aus dem Sack lassen.
Dabei hat der neue Telekom-Chef Ricke im Vorfeld der Pressekonferenz angekündigt, er wolle die Effizienz der einzelnen Geschäftsbereiche deutlich verbessern, dazu mehr Verantwortung übertragen, im Gegenzug aber die Dachgesellschaft sichtlich schlanker machen.
15.30 Uhr: Aus der Runde erkundigt sich jemand nach den Zahlen von T-Mobile in den USA. Hier hat Finanzvorstand Eick einen Neukunden-Zuwachs vom zweiten zum dritten Quartal um rund 870.000 gemeldet. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) ist jedoch in dem gleichen Zeitraum um 63 Prozent auf 107 Millionen Dollar gefallen.
Grund seien die hohen Kundengewinnungskosten, räumt Eick ein. Das zeigt, die aggressive Strategie der Kundengewinnung hat sich deutlich auf das Ergebnis niedergeschlagen eine offensive, aber riskante Strategie.
"Wir haben alles mitgetragen"
15.35 Uhr: Vorstandschef Ricke wird gefragt, ob er im Rückblick an Ron Sommer etwas zu kritisieren hätte. "Wir haben alle Entscheidungen von Sommer mitgetragen", sagt Ricke diplomatisch. Er verweist aber zugleich auf die sich dramatisch verschlechternde Entwicklung des Marktumfeldes. Das klingt dann doch wie eine Entschuldigung.
Interimschef Sihler greift ein. "Wir reden nicht mehr über die Vergangenheit, sondern über die Zukunft." Offenbar soll und darf der glücklos agierende Ron Sommer kein Thema mehr sein.
15.40 Uhr: Und dann doch wieder eine dieser bohrenden Fragen nach der Führungsstruktur, es ist die letzte Frage an diesem Tag. Diesmal richtet sie sich an Aufsichtsratschef Winkhaus. Ob er denn nicht gedenke zurückzutreten, angesichts der zurückliegenden Querelen um Ron Sommer und der schwierigen Suche nach einem neuen Vorstandschef. Winkhaus hatte sich unter anderem im Gespräch mit manager-magazin.de zunächst demonstrativ hinter Sommer gestellt, war nach dessem Rücktritt dann aber in die Kritik geraten.
Winkhaus antwortet knapp und selbstbewußt: "Ich bin heute Aufsichtsratsvorsitzender, morgen und übermorgen. Ich bin überhaupt nicht amtsmüde."
15.50 Uhr: Die Fragerunde ist beendet. Journalisten und Fotografen stürzen sich auf Ricke. Mikrofone strecken sich ihm entgegen. Die anfänglichliche Lockerheit ist aus seinem Gesicht gewichen. Er wirkt angespannt. Das Samsung-Foto-Handy wechselt von seiner rechten in die linke Hand und wieder zurück... Am liebsten möchte er weg. Doch so schnell wird er nicht davonkommen, das ist sicher.
Von Anne Preissner, Lutz Reiche und Kai Lange