Wall Street Machtspiele behindern Reformen
Washington - Als die Wall-Street-Skandale in diesem Frühsommer so richtig hochkochten, kündigte die US-Regierung mit großen Fanfaren hartes Durchgreifen an. Es gilt, an den Märkten eine der schlimmsten Vertrauenskrisen seit der Großen Depression vor 80 Jahren zu meistern. Doch der Chef der Weltpapier- und Börsenaufsicht (SEC), Harvey Pitt, der den Sumpf trocken legen soll, tappt von einem Fettnäpfchen ins andere. Stattdessen lehrt ein junger Staatsanwalt in New York die Wall-Street-Firmen auf eigene Faust das Fürchten.
Es geht um ein atemberaubendes Arsenal an Tricks und Schummeleien, mit denen sich Unternehmen und Banken in den Boomzeiten der 90er Jahre auf Kosten der Kleinanleger bereicherten. Da war der inzwischen praktisch aufgelöste Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen, dessen Beraterabteilung beim Kunden Enron Millionenbeträge kassierte, während die Buchprüfungsabteilung angesichts höchst dubioser Bilanzpraktiken beide Augen zudrückte.
Aktien zum Vorzugspreis
Da waren Banken, deren Analysten gegen besseres Wissen Aktien von Unternehmen hochjubelten, die gute Kunden der Investmentabteilung waren. Und da waren Banker, die Bossen ihrer besten Firmenkunden bei Börsengängen Aktien zum Vorzugspreis zuschanzten. Die Manager machten Millionengewinne, und dankten es mit neuen Aufträgen.
Am Anfang warfen Kritiker Pitt zu große Nähe zu den Wall-Street-Firmen vor, denen er jetzt die Leviten lesen sollte. Pitt war bis zu seiner Ernennung als Anwalt und Lobbyist genau für diese Firmen tätig. Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, als ruchbar wurde, dass der bullige, bärtige Pitt sich gerne zum Lunch mit alten Freunden traf, während sich in seinem Büro die Klageschriften gegen deren Firmen stapelten. Pitt gelobte Besserung - und setzte sich dann prompt in die Nesseln als Kämpe des anderen Lagers.
Kontroverse um Chefposten
Bei der jüngsten Kontroverse geht es um den Chefposten der neuen Aufsichtsbehörde für Wirtschaftsprüfer. Pitt diente den Job John Biggs an, Chef eines New Yorker Pensionsfonds, der Wirtschaftsprüfern ein Korsett mit strengen Regeln verpassen will. Die Branche heulte auf und setzte ihre Gönner in der Republikanischen Partei in Marsch.
Die Behörde brauche einen "moderateren" Chef, ließ Michael Oxley, einflussreicher Vorsitzender im Ausschuss für Finanzdienste, wissen, und zwang Pitt damit, das Jobangebot an Biggs zurückzuziehen. Seinen Kandidaten angesichts des Drucks fallenzulassen und das Angebot sogar zu leugnen, hat wiederum die Demokraten auf die Barrikaden gebracht. "Bestenfalls legt er arrogante Gleichgültigkeit an den Tag, schlimmstenfalls ist er unethisch", schrieben die Topdemokraten im Kongress, Tom Daschle und Richard Gephardt, an Präsident George W. Bush und verlangten, dass Pitt gefeuert wird.
100 Millionen Dollar Strafe
"Während seine früheren Verirrungen hauptsächlich seiner eigenen Glaubwürdigkeit schadeten, beschädigt er jetzt die neue Aufsichtsbehörde und die ganze SEC" schrieb die Zeitschrift "BusinessWeek" in einem Kommentar. "Sein Handeln rückt den Tag in weitere Ferne, an dem Investoren wieder das Vertrauen haben können, dass es an den amerikanischen Märkten ehrlich zugeht."
Das Hin- und Her gibt den Wall-Street-Firmen dennoch kaum eine Verschnaufpause. Dafür sorgt Staatsanwalt Eliot Spitzer (43). Zuerst nahm er das Brokerhaus Merrill Lynch in die Mangel. Mit beschlagnahmten E-Mails bewies Spitzer, dass Analysten die Aktien lukrativer Kunden hochjubelten, die sie in Wirklichkeit als "Müll" bewerteten. Das Unternehmen zahlte 100 Millionen Dollar Strafe.
Interessenkonflikte verhindern
Dann verklagte er fünf ehemalige Chefs von Telekomunternehmen auf 1,5 Milliarden Dollar. Das Geld sollen sie gemacht haben, als Investmentbanker ihnen im Gegenzug für lukrative Aufträge begehrte Aktien von Börsenneulingen zuschanzten. Auch die betroffenen Banken will Spitzer demnächst zur Kasse bitten.
Spitzer hat auch der SEC mit seinem aggressiven Vorgehen inzwischen Beine gemacht. Pitt kündigte unlängst gemeinsam mit Spitzer einen Plan an, um Interessenkonflikte bei den Wall-Street-Firmen in Zukunft zu verhindern.
Christiane Oelrich, dpa
SEC: Manager kämpfen ums Vertrauen Harvey Pitt: Börsen-Marshall in Nöten