Die Goldman-Sachs-Kolumne Eine Reform ist unabdingbar
Mit der Einführung des Euro trat gleichzeitig auch der sogenannte Pakt für Stabilität und Wachstum (Stabilitätspakt) in Kraft. In seinem Kern verpflichtet dieser Pakt die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion ihr Budgetdefizit unter der Marke von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu halten und mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben.
Der Stabilitätspakt verfolgt zwei Ziele: Das erste Ziel ist die Sicherstellung von nationaler Haushaltsdisziplin und der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen. Die Sicherstellung dieser Aspekte ist besonders wichtig, wenn die Politik einer Zentralbank auf 12 Nationen passen soll.
Das zweite Ziel ist, die nationale Fiskalpolitik als Instrument zur Glättung von Konjunkturschwankungen beizubehalten, solange das Resultat nicht dem ersten Ziel widerspricht. Die Abgabe der geldpolitischen Verantwortung an die EZB lässt den Ländern nur noch dieses Instrument zur Glättung ihrer Konjunktur: Relativ konstante Staatsausgaben könnten die konjunkturellen Schwankungen noch verstärken.
Es gibt keine sinnvolle ökonomische Begründung für die Forderung der Europäischen Zentralbank (EZB) nach einem ausgeglichenen Budget bis 2004. Stattdessen wird die Not der beteiligten Regierungen immer deutlicher: In Zeiten wirtschaftlicher Schwäche müssen sie ihre Haushalte konsolidieren und haben so keine Möglichkeit mehr, die schwache Konjunktur zu stützen.
Es hapert an der Umsetzung des Paktes
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist gut und richtig, nur an der Umsetzung hapert es. Indem die Regierungen den Pakt allzu wörtlich nehmen, wird sein Geist gebrochen. Das erklärte Ziel ist es, die Staatsdefizite unter normalen Umständen unter 3 Prozent des Brutto-Inland-Produkts zu halten und mittelfristig einen ausgeglichenen Budgethaushalt zu führen.
Allerdings führt die gegenwärtige wirtschaftliche Situation dazu, dass der Stabilitätspakt zur Farce wird. Einige Regierungen machen Versprechungen, die sie nicht halten können, während die EZB sich selbst betrügt, indem sie den Versprechungen Glauben schenkt.
Die derzeitigen Gefahren für den Stabilitätspakt gehen von den größten Ländern der Währungsunion aus: Deutschland kann einem Überschreiten der 3 Prozent Grenze für das Haushaltsdefizit in diesem Jahr kaum noch entrinnen, und Frankreich hat seine Erfüllung des Ziels mit unrealistischen Wachstumsvorgaben verbunden und inoffiziell den Ausgleich des Budgethaushalts auf 2006 verschoben.
Welche Änderungen nötig sind
In den Nachbarländern sieht es nicht besser aus. In Italien wurden Bilanzierungsfehler entdeckt, die den für 2003 geplanten Ausgleich des Haushaltsbudgets ebenfalls verschiebt, und das portugiesische Haushaltsdefizit von 2001 lag bei 4,1 Prozent - weit über der vom Pakt vorgeschriebenen Grenzen von 3 Prozent.
Diese Entwicklungen stellen die politische Sinnhaftigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Frage. Dabei ist seine grundsätzliche Idee für die Europäische Währungsunion gut und wichtig. Nur die Umsetzung verfehlt ihr ökonomisches Ziel. Es gibt unserer Ansicht nach keinen guten Grund dafür, dass die Länder des Euroraums bis 2004 einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen müssen.
Eine Reform ist wichtig für die Glaubwürdigkeit
Seit seiner Einführung 1999 sind ein paar kleinere Mängel im Stabilitätspakt sichtbar geworden. Damit er jetzt glaubwürdig bleibt, müssen diese Mängel behoben werden.
Der Hauptmangel ist die einseitige Orientierung am nationalen Budgetdefizit bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Schuldenstandes der Länder. Die ökonomisch entscheidende Frage ist vielmehr, wie hoch das Haushaltdefizit bei einer nachhaltigen Schuldenquote sein darf.
Auch die Europäische Kommission sieht die Mängel
Eine komplette Rückzahlung der Staatsschuld, die durch den engen Fokus auf das Budgetdefizit erreicht werden würde, ist politisch nicht glaubwürdig. Welcher Politiker würde auf Steuererleichterungen oder höhere Staatsausgaben verzichten, um Schulden zu bezahlen?
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt kann in seiner derzeitigen Form nicht bestehen bleiben. Das sehen inzwischen sogar die Europäische Kommission, die Mitgliedländer und auch die EZB ein.
Zwei Änderungen könnten Abhilfe schaffen
Wir schlagen zwei Reformen vor, die nicht einmal Änderungen am Wortlaut des Paktes erfordern:
Zum einen sollte die mittelfristige Budget-Situation an Bedeutung gewinnen. Sie muss so gestaltet sein, dass sie den Ländern eine nachhaltige Schuldenquote erlaubt. Im Sinne des Stabilitätspaktes wäre das eine Schuldenquote von unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für den Euroraum wäre dann ein Budgetdefizit von jährlich 1,5 Prozent vertretbar was schon sehr nah an dem derzeitigen Niveau ist.
Ein schrittweiser Abbau der Schuldenquote und eine Vorbereitung auf die demographisch bedingte zukünftige Mehrbelastung wäre mit diesem Defizit trotzdem gesichert. Die Zielvorgaben der Budgetdefizite der einzelnen Länder lägen dann zwischen null und 2 Prozent des BIP, je nach Schuldenquote des jeweiligen Landes.
Was für die Reform spricht
Deutschland läge dann mit einem anzustrebenden Defizit von etwa 2 Prozent im Mittelfeld, müsste aber auch für dieses Ziel noch ein paar Anstrengungen zur Budgetkonsolidierung unternehmen.
Zum zweiten müssten Budgetdefizite oberhalb von 3 Prozent leichter gebilligt werden, sofern sie von einer wirtschaftlichen Schwäche herrühren. Der Vertrag erlaubt schon jetzt eine Übertretung dieser Grenze, solange sie eine Ausnahme darstellt und nah bei 3 Prozent bleibt.
Reformen sind mit dem Geiste des Pakts vereinbar
Gerade deshalb ist es unpassend, die Regierungen in einer wirtschaftlichen Schwächephase zu einem Budgetausgleich zu zwingen, insbesondere wenn das Defizit noch unter 3 Prozent des BIP bleibt.
Die vorgeschlagenen Reformen sind voll mit dem Geiste des Stabilitätspakts vereinbar und würden die größten Mängel der derzeitigen Auslegung aus der Welt räumen. Sie beinhalten lediglich eine "ökonomischere" Interpretation des Paktes durch die Europäische Kommission, ECOFIN (den Rat der Finanzminister) und die EZB.
Wirtschaftliche Schwächung wäre fatal
Bleibt eine Reform des Stabilitätspaktes aus, müssen die Regierungen ihre Ausgaben in den nächsten zwei bis drei Jahren stark reduzieren. Dies könnte den Aufschwung in der europäischen Währungsunion und im Endeffekt auch den Stabilitätspakt gefährden.
Deutschland und Italien müssten zwar auch nach der von uns vorgeschlagenen Auslegung noch einige Anstrengungen unternehmen, um einen mittelfristig nachhaltigen Budgethaushalt zu erreichen. Es wäre jedoch fatal, diese Anstrengung in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche einzufordern.